Sprachliche Verirrungen

Das sind die "Unwörter des Jahres" seit 2009


Das "Unwort des Jahres" gibt es seit 1991.

Das "Unwort des Jahres" gibt es seit 1991.

Von Redaktion idowa und mit Material der dpa

Bereits seit 1991 kürt eine ehrenamtliche Initiative das "Unwort des Jahres", meist eine sprachlich oder gesellschaftlich fragwürdige Stilblüte. Laut der Verantwortlichen soll esaktuelle Diskussionen abbilden und gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen.

Die "Unwort-Aktion" ist ein Projekt von vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Darmstadt. Vor der Wahl kann jede Bürgerin und jeder Bürger Deutschlands schriftlich und mit Quellenangabe Vorschläge einsenden. Aus diesen Einsendungen wählt eine Jury dann jedes Jahr im Januar das Unwort des vergangenen Jahres. Am Dienstag, den 11. Januar 2021, gibt die Initiative das 29. Unwort bekannt - das des Jahres 2020.

idowa hat für Sie die Unwörter der vergangenen zehn Jahre zusammengefasst, jeweils mit einer Kurzform der Jury-Begründung:

  • 2009 - "Betriebsratsverseucht": Dieses Wort wurde laut Jury von Abteilungsleitern verwendet, um Aktivitäten von Betriebsräten zu diffamieren. Diese als "Seuche" zu bezeichnen, sei "ein zumindest sprachlicher Tiefpunkt im Umgang mit Lohnabhängigen."
  • 2010 - "Alternativlos": Dieses zeitweise gern in der Bundespolitik verwendete Wort suggeriere zu Unrecht, dass keine Diskussion mehr notwendig sei, erklärt die Jury. Es sei 2010 zu oft verwendet worden und drohe, "die Politik-Verdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken."
  • 2011 - "Döner-Morde": Dieser Begriff ist für die Mordserie der rechtsextremistischen NSU-Terroristen verwendet worden. Mit der "sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung" würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt, sagt die Jury hierzu.
  • 2012 - "Opfer-Abo": Die "Unwort"-Jury kritisiert, der Begriff stelle Frauen pauschal unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterin zu sein. Wetter-Unternehmer Jörg Kachelmann hatte die Wortschöpfung, die seine Frau Miriam erfunden habe, unter anderem in einem "Spiegel"-Interview verwendet. Darin ergänzte er: "Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täterinnen wurden."
  • 2013 - "Sozialtourismus": Das Grundwort "Tourismus" suggeriert in diesem Fall laut Jury fälschlich eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reise. Der Ausdruck diene primär der Stimmungsmache, diskriminiere Menschen, "die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu".
  • 2014 - "Lügenpresse": Wie die Jury erklärt, sei dieses Wort nicht nur bereits im Ersten Weltkrieg zu Propaganda-Zwecken verwendet worden und zudem nationalsozialistisch vorbelastet, sondern auch eine "pauschale Verurteilung" der Medien. Prominent verwendet wurde und wird das Wort von der "Pegida"-Bewegung. Nach Ansicht der Juroren verhindert es fundierte und angemessene Medienkritik und gefährdt so die Pressefreiheit.
  • 2015 - "Gutmensch": Dieser Begriff wurde im Zuge der Flüchtlingsbewegungen 2015 prominent. Als "Gutmenschen" seien demnach jene verunglimpft worden, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagierten. Der Vorwurf des "Gutmenschentums" diffamiert laut Urteil der Jury Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als "naiv, dumm oder weltfremdes Helfersyndrom".
  • 2016 - "Volksverräter": Die Jury urteilte hier, dass das Wort ein "Erbe von Diktaturen" sei - unter anderem der Nationalsozialisten. Das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft würden mit ihm abwürgt. Zudem sei das Wort "Volk" hier nicht als Bevölkerung eines Landes, sondern meist als ethnische Kategorie gedacht.
  • 2017 - "Alternative Fakten": Dieses Wort geht auf Kellyanne Conway zurück, eine ehemalige Beraterin von US-Präsident Donald Trump. Mit dem Begriff sollen aus Sicht der Jury Falschbehauptungen auf die gleiche Ebene wie nachprüfbare Fakten gestellt und so politisch salonfähig gemacht werden. In Deutschland wird das Wort auch zur Kritik an dieser Praxis genutzt - ein Vorhaben, das die Jury mit der Wahl unterstützen wollte.
  • 2018 - "Anti-Abschiebe-Industrie": Dieser Begriff wurde laut Jury im Mai 2018 durch den CDU-Politiker Alexander Dobrindt "als offensichtlicher Kampfbegriff in die politische Diskussion eingeführt" und dient dazu, Menschen anzugreifen, die abgelehnten Asylbewerbern Rechtsbeistand leisten. Der Ausdruck "Industrie" suggeriere zudem, es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte "produziert". Das Wort zeige, "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben habe".
  • 2019 - "Klimahysterie": Mit dem Wort würden Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert, sagte die Sprecherin der Jury der sprachkritischen Aktion, Nina Janich, zur Begründung. "Er pathologisiert pauschal das zunehmende Engagement für den Klimaschutz als Art kollektiver Psychose."
  • 2020 - "Corona-Diktatur" und "Rückführungspatenschaften". "Rückführungspatenschaften" sei ein Begriff der EU-Kommission. Das Wort sei zynisch und beschönigend. Mit Rückführung sei nichts anderes gemeint als Abschiebung und die Patenschaft sei ein eigentlich positiv besetzter Begriff. Der Begriff der "Corona-Diktatur" sei seit Beginn des öffentlichen Diskurses in der Pandemie von selbst ernannten "Querdenkern" und rechten Propagandisten gebraucht worden, um regierungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung zu diskreditieren.

Die ausführlichen Jury-Begründungen und alle "Unwörter des Jahres" seit 1991 können Sie auf der Webseite der Initiative nachlesen: http://www.unwortdesjahres.net/