Straubing

Nachtschicht beim BRK - Nein, da ist keine Leiche drunter


Tragenteam drei macht vor Schichtende noch einen letzten Rundgang und schaut nach dem Rechten.

Tragenteam drei macht vor Schichtende noch einen letzten Rundgang und schaut nach dem Rechten.

Von Regina Hölzel

Kurz vor 18 Uhr füllt sich der kleine stickige Raum im Keller der Festwache am Hagen. In ein paar Minuten ist Schichtwechsel beim Roten Kreuz. Die Nachtschicht am ersten Volksfestsamstag ist für viele Ortsgruppen Tradition. Auch die Bergwacht Bogen ist mit vor Ort. Unter der Führung von Christian Richter sind sie als "Tragenteam 3" unterwegs.

Vier dieser Teams sind in jeder Schicht unterwegs. Jedes hat eine Trage mit einem Metallaufbau und einem gelben Überzug aus Plastik dabei. Diese Hülle sorgt immer wieder für Verwirrung. Aus der Menge ertönen regelmäßig Rufe wie: "Krass, haben die eine Leiche dabei?" Nein, auf der Trage ist keine Leiche. Wenn die Hülle zugeklappt ist, ist auch kein Patient darunter. Dafür aber ein Sanitätsrucksack, ein Defibrillator und alles, was das Team sonst noch so brauchen könnte.

Richter ist ein erfahrener Teamführer. In diesem Jahr ist der Mann mit den kurzgeschorenen Haaren zum 13. Mal als Sanitäter am Gäubodenvolksfest. Aufhören kommt für ihn aber nicht in Frage. "Manchmal überlegt man sich schon: Das war's, ich mag nicht mehr. Aber wenn die Mail mit der Einladung kommt, ist man dann doch etwas aufgeregt," erzählt er. Auch sein Sohn Tobias ist mit im Team. Er übernimmt die medizinische Betreuung der Patienten. Außerdem sind noch Nicole Welz und Janik Scholtis dabei.

Noch ist es ruhig am Volksfestplatz. Die Tragenteams wechseln nur hin und wieder den Standort. Der Weg durch die Menge ist nicht immer leicht. Richter geht voraus und schreit mit fester Stimme: "Rettungsdienst! Gasse bilden!" Nicht alle wollen weichen. Ein paar böse Worte fallen auch. Im Großen und Ganzen werden die Helfer aber mit Respekt behandelt und durchgelassen. Noch haben sie es zum Glück nicht eilig. Team drei bezieht Stellung am Schützenhaus. In einem kleinen Baucontainer sind vier Stühle und ein paar Verbandsmaterialien, falls etwas ausgeht. Bis auf die Ausgabe der Blasenpflaster, um die alle fünf Minuten jemand bittet, gibt es noch nichts zu tun. Janik Scholtis macht pro ausgegebenem Pflaster einen Strich auf einer Liste. Eine Gruppe, die vorbeizieht, schließt Wetten ab, wer von ihnen heute noch auf dieser Trage landet. Ein junger Mann, der betrunken und leicht verwirrt wirkt, setzt sich vor der Gruppe auf den Boden und erzählt in unzusammenhängenden Sätzen eine Geschichte. Dann wankt er weiter. Nicole Welz setzt sich auf einen der Stühle und seufzt. "Heute ist ja gar nichts los. Da hatten wir schon ganz andere Dienste."

Als hätte die junge Frau es geahnt, rückt Tragenteam drei kurz später zum ersten Notfall aus. Eine Frau habe wohl Kreislaufprobleme, heißt es im Funkspruch. Im Laufschritt schiebt der Trupp die Trage durch die Menschenmassen. Jetzt geht es etwas ruppiger zu. Wer nicht zur Seite geht, wird mal mehr, mal weniger sanft weggeschoben. Ein Mitarbeiter der Security wartet schon und führt Richter zum Einsatzort. Dort angekommen, stellt sich alles als harmlos heraus. Der Patientin geht es schon besser, sie will nicht mit zur Wache. Aber das war nur der Startschuss.

Rettung wird zum öffentlichen Spektakel

Ab jetzt geht es Schlag auf Schlag. Ein junger Mann muss nach einer Schlägerei zur Wache, tiefe Schnittverletzungen sind an der Tagesordnung. Natürlich hat der eine oder andere zu tief ins Glas geschaut. Nur eine verletzte Frau wird auf der Trage geschoben, den anderen Patienten ist es lieber, selber zu laufen. Wenn man sich anhört, wie Patienten auf der Trage von Umstehenden angepöbelt werden, ist das auch verständlich.

Als es durch die Menge geht, zeigen immer wieder Leute mit dem Finger auf die Patientin. Rufe wie: "Schau her, de oide Saufsau" fallen. Janik Scholtis schiebt sich ein paar mal vor die Linse einer Handykamera, um die Patientin abzuschirmen.

Viele Patienten weigern sich auch ganz, mit auf die Wache zu kommen. Tobias Richter kennt das Spiel schon. Er erklärt: "Wenn die Leute nicht mitwollen, können wir sie auch nicht zwingen." Gerade wenn Angehörige dabei sind, die versprechen, die Patienten heimzubringen, ziehen die Sanis oft wieder ab. Natürlich checken sie erst, ob es dem Patienten tatsächlich halbwegs gut geht.

Etwa eine Stunde lang bricht eine Flut an Einsätzen über die Tragenteams herein. Dann ist auf einmal wieder Ruhe. Als gegen Mitternacht die Musik aufhört zu spielen, kommt es noch zu einer Rauferei, dann ist Durchatmen angesagt. Um kurz vor 2 Uhr geht Team drei noch eine Runde über den fast menschenleeren Festplatz, checkt die Lage und stellt an einer der Stationen den Müll vor die Tür. Die Wege sind mit Bechern, Papptellern und einigen weggeworfenen Pizzastücken bedeckt, ein oder zwei kleine Grüppchen Jugendlicher stehen noch herum. Zurück an der Festwache heißt es dann: umziehen, Feierabend, bis zum nächsten Einsatz. Die Bergwacht Bogen wird auch nächstes Jahr wieder mit dabei sein.

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Tragenteam drei vor Schichtbeginn. Von Links: Nicole Welz, Christian Richter, Tobias Richter, Janik Scholtis

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Tragenteam drei macht vor Schichtende noch einen letzten Rundgang und schaut nach dem Rechten.

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