Vormarsch der Taliban

Afghanistan: Abzug von Personal und Ortskräften unter Druck


600 britische Militärs werden zur Unterstützung des Abzugs der britischen Truppen aus Afghanistan entsandt.

600 britische Militärs werden zur Unterstützung des Abzugs der britischen Truppen aus Afghanistan entsandt.

Von mit Material der dpa

Die Taliban erobern in raschem Tempo immer größere Teile Afghanistans. Für westliche Staaten, die eigenes Personal und afghanische Ortskräfte ausfliegen wollen, ist Eile angesagt.

Westliche Staaten beschleunigen ihre Bemühungen, um eigenes Personal und afghanische Ortskräfte vor den rasch vorrückenden Taliban in Sicherheit zu bringen.

Das US-Außenministerium kündigte an, dass die dazu gedachte Verstärkung für die US-Truppen in Afghanistan von rund 3.000 Soldaten bis Sonntag größtenteils in Kabul sein werde. Der britische Premier Boris Johnson sagte, Mitarbeiter der britischen Botschaft sollten Kabul binnen Tagen verlassen. Auch Deutschland will laut Außenminister Heiko Maas das Botschaftspersonal auf das "absolute Minimum" reduzieren. Mit zwei Flugzeugen sollen Personal und auch Ortskräfte ausgeflogen werden.

Die militant-islamistischen Taliban haben mittlerweile mehr als die Hälfte der 34 Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle gebracht. Am Donnerstag und Freitag fielen mit Herat und Kandahar auch die dritt- und zweitgrößte Stadt des Landes an die Islamisten. Mit Pul-i Alam in der Provinz Logar haben die Taliban auch eine Provinzhauptstadt nur rund 70 Kilometer südlich der Hauptstadt Kabul eingenommen.

USA und Großbritannien ziehen Personal ab

Die USA hatten bereits am Donnerstag angekündigt, ihr Botschaftspersonal zu reduzieren und rund 3.000 zusätzliche Soldaten an den Flughafen in Kabul zu entsenden. Auch London will rund 600 Soldaten schicken, um die Rückführung von Briten zu sichern. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums schloss nicht aus, dass auch Bundeswehrsoldaten zur Absicherung einer Rückholaktion zum Einsatz kommen könnten. Die Bundeswehr halte Kräfte bereit, die "im Falle eines Falles zur Verfügung stehen", sagte er.

Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, betonte, die US-Streitkräfte könnten täglich Tausende Menschen aus Kabul evakuieren. Die Kapazität für den Lufttransport sei "kein Problem", sagte Kirby. Nach seinen Worten ist Kabul derzeit nicht "unmittelbar bedroht". Die Taliban versuchten, die Hauptstadt zu isolieren.

Auch Großbritannien will die Mitarbeiter der Botschaft in Kabul in den kommenden Tagen größtenteils abziehen. Das sagte Premier Johnson nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitskabinetts (Cobra) zur Lage in dem zentralasiatischen Land in London. Gleichzeitig solle ein Team des Innenministeriums entsandt werden, um die Ausreise von Afghanen zu organisieren, die für die britischen Streitkräfte tätig waren. Botschafter Laurie Bristow und ein kleines Team blieben im Land, würden aber an einen "sichereren" Ort in Kabul umziehen, teilte die britische Regierung weiter mit. Medienberichten zufolge sind noch etwa 4.000 Briten in Afghanistan.

Seehofer: "Für jedes Verfahren offen"

Auch die Bundeswehr und deutsche Institutionen beschäftigten in Afghanistan viele Ortskräfte, ihnen soll nun die Ausreise erleichtert werden. Wie zuvor Außenminister Maas sagte auch Innenminister Horst Seehofer (CSU), dass die Identitätsfeststellung und die Vergabe von Visa notfalls auch in Deutschland erfolgen könnte. "Wir sind für jedes Verfahren offen. Am Bundesinnenministerium scheitert keine Einreise von Ortskräften", sagte Seehofer der "Süddeutschen Zeitung". Grünen-Chef Robert Habeck forderte in der Zeitung, hier müssten auch Menschen aus Afghanistan einbezogen werden, die über Firmen, also nicht direkt für die Bundeswehr oder andere deutsche Institutionen gearbeitet haben.

US-Regierung sieht mangelnde Kampfbereitschaft

Derweil warf die US-Regierung der afghanischen Führung und den Sicherheitskräften angesichts des Vormarsches der Taliban mangelnde Kampfbereitschaft vor. Es sei "beunruhigend" zu sehen, dass die politische und militärische Führung nicht den "Willen" gehabt habe, sich dem Vormarsch der militanten Islamisten zu widersetzen, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Kirby, dem Sender CNN. Die USA hätten den "fehlenden Widerstand" durch die afghanischen Streitkräfte nicht vorhersehen können. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien den Taliban in Bezug auf Ausrüstung, Training und Truppenstärke überlegen und verfügten über eine eigene Luftwaffe.

UN-Generalsekretär António Guterres forderte die Taliban zur sofortigen Einstellung ihres gewaltsamen Vormarsches in Afghanistan auf. "Die Macht durch militärische Gewalt an sich zu reißen, ist ein zum Scheitern verurteiltes Vorgehen", sagte Guterres in New York. "Es kann nur zu einem verlängerten Bürgerkrieg oder der kompletten Isolation von Afghanistan führen." Er hoffe auf eine mit allen Parteien verhandelte Einigung zur Beendigung des Konfliktes. Die Situation bereite ihm große Sorge, sagte Guterres. "Afghanistan gerät außer Kontrolle."

Wachsender Flüchtlingsdruck

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, rechnet aufgrund des raschen Vormarsches der Taliban mit einem wachsenden Flüchtlingsdruck auch auf die EU und Deutschland. Der SPD-Politiker verwies in der "Rheinischen Post" darauf, dass es am Hindukusch rund 3,5 Millionen Binnenflüchtlinge gebe. Der Druck werde nicht nur weiter "massiv" auf die Türkei, Iran und Pakistan steigen. "Ich bin mir sicher, dass der Migrationsdruck auf die EU und Deutschland aber auch zunehmen wird", sagte Roth. Die UN-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) berichtete, viele Menschen suchten in Kabul und anderen Großstädten Schutz vor Bedrohungen. Viele kämen bei Freunden oder Verwandten unter, eine wachsende Zahl halte sich aber auch im Freien der Hauptstadt auf.

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Deutschland will laut Außenminister Heiko Maas das Botschaftspersonal auf das "absolute Minimum" reduzieren.

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John Kirby, Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, hält Kabul derzeit nicht für "unmittelbar bedroht".