Ostbayern
Fachkräfte gegen Cash? Das sagen die Kammern zu Ablösesummen
4. Juni 2019, 18:11 Uhr aktualisiert am 4. Juni 2019, 18:11 Uhr
Ablösesummen für ausgebildetes Personal, wie im Fußball. Diese Idee wird derzeit im Handwerk diskutiert, aber auch in anderen Branchen. Der Sog in Richtung Großstadt und Branchenriesen macht den kleinen und mittelständischen Betrieben Sorgen.
Kaum können sie was, sind sie weg: Handwerksbetriebe bilden aus, andere Unternehmen nutzen die Kenntnisse und verdienen damit Geld. So sieht es Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. Sein Vorschlag: Wenn andere Unternehmen den Handwerkern die Fachkräfte wegnehmen, sollen sie wenigstens zahlen - ähnlich wie ein Fußballverein Ablöse an den Ex-Verein des neuen Mittelstürmers zahlt. Die Reaktionen aus der Unternehmerschaft zeigen: Wollseifer scheint bei den Betrieben den Ton zu treffen - der Forderung nach Ablösesummen würden sich die Wirtschaftsvertreter in der Region aber nicht anschließen.
So antwortet Dr. Georg Haber, der Präsident der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, auf idowa-Anfrage: "Herr Wollseifer hat einen ersten persönlichen Gedankenanstoß gegeben, auch um den Blick auf die gesamtgesellschaftliche Leistung zu lenken, die das Handwerk im Bereich Ausbildung erbringt. Hier verstärkt zu sensibilisieren ist gut, denn die Auftragsbücher im ostbayerischen Handwerk sind voll, aber Fachkräfte fehlen. Das Problem der Abwanderung von jungen Handwerkern nach ihrer Lehre in andere Wirtschaftsbereiche ist in diesem Zusammenhang bekannt und nicht neu."
Was aber sind die Gründe für die Fachkräfte-Flucht? Anders als das Studium verläuft die Ausbildung meist in heimischen Gefilden. Wahrscheinlich auch, weil es mit Mobilität im typischen Ausbildungsalter nicht weit her ist. Mit Anfang 20 und dem Gesellenbrief in der Tasche merkt der eine oder andere allerdings, wie viele Türen offen stehen - und wie sehr um ihn geworben wird. Im Werben um den Fachkräftenachwuchs können Konzerne anders auftrumpfen: mit dem Reiz von Weltstädten, mit großzügigeren Gehältern. Dass ein großer Teil des höheren Gehalts auch für höhere Mieten draufgehen könnte, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
"Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist es oftmals eine Herausforderung, Azubis für sich zu gewinnen und nach der Ausbildung als Fachkräfte zu halten, das zeigen uns auch Rückmeldungen aus den Unternehmen in unserer Region", bestätigte IHK-Pressesprecher Johannes Karasek gegenüber idowa.
Der Ruf der weiten Welt
Das Handwerk hat die Diskussion begonnen - die Problematik sieht aber auch die Industrie-und Handelskammer Niederbayern ebenso: "Grundsätzlich sind ‚Abwerbungen' sicherlich nicht allein ein Problem des Handwerks. Insbesondere kleine und mittelständische Betriebe aus Industrie, Handel und Dienstleistungen dürften davon ebenso betroffen sein. Der Ausbildungs- wie auch der Facharbeitermarkt ist gerade in unserer Region in vielen Bereichen regelrecht leergefegt und die Betriebe haben immer mehr Schwierigkeiten, ihre offenen Stellen zu besetzen", erklärt IHK-Pressesprecher Johannes Karasek auf idowa-Nachfrage.
Sicher spiele der Faktor Geld eine Rolle, sagt auch Handwerkskammerpräsident Georg Haber. Für die derzeitige Azubi-Generationen spielen aber auch andere Gesichtspunkte eine Rolle: "Geld allein ist für viele junge Leute nicht entscheidend, weiche Faktoren und eine gute Work-Life-Balance sind gefragt. Das Handwerk bietet dahingehend sehr viel, nur redet es zu wenig darüber - hier sind wir wieder beim Thema Employer Branding. Ein gutes Verhältnis zwischen Auszubildenden mit regelmäßigen Gesprächen über beiderseitige Wünsche und Bedürfnisse sind dabei entscheidend."
Also: Mehr reden könnte einiges lösen. Auch darüber, dass Karrieren im Handwerk nicht zwingend lokal verlaufen müssen. Zwar sind die Unternehmen in der Region verankert, "viele diese Betriebe sind dennoch bundesweit oder international tätig, der Blick in andere Regionen ist damit also nicht verwehrt. Außerdem punktet der ländliche Raum beispielsweise mit einer hohen Lebensqualität und bezahlbaren Immobilienpreisen. Kurzum: hier bekommt man ein sehr gutes Gesamtpaket", sagt Dr. Georg Haber.
Die Auswirkungen sind gravierend
Der Fachkräftemangel ist für Ostbayern teuer: Beispielsweise der niederbayerischen Wirtschaft gehen aufgrund dessen aktuell laut Schätzungen der Kammer jedes Jahr Umsätze in Höhe von 1,4 Milliarden Euro durch die Lappen. Gleichzeitig sorgen die IHK-Betriebe für rund 60 Prozent der Ausbildungsverhältnisse im Freistaat. Für nahezu alle restlichen Lehrstellen zeichnet das Handwerk verantwortlich - etwa 33 Prozent aller ostbayerischen Lehrlinge lernen in den Mitgliedsbetrieben der Handwerkskammern.
Im Handwerk sind laut Präsident Georg Haber die Auswirkungen gravierend - für die Handwerker, aber auch auf die Kunden: "Die Wartezeiten auf einen Handwerker liegen in Ostbayern momentan im Schnitt bei zwölf Wochen, im Baugewerbe sind es sogar über 15 Wochen. An diesen Werten sieht man, dass Unternehmer und Kunden die wirtschaftlichen Folgen deutlich zu spüren bekommen."
Zum Vorschlag von Hans Peter Wollseifer über Ablösesummen für die Ausbildungsbetriebe hat sich die IHK bislang nicht positioniert. Das müsse erst im Kreis der Unternehmervertreter diskutiert werden, erklärt Karasek. Davon abgesehen ist der IHK-Sprecher skeptisch, ob eine solche Regelung umsetzbar wäre: "Finanzielle Hürden für einen Wechsel aufzubauen, dürfte rechtlich schwierig sein. Als Devise für die Unternehmen kann daher gelten, mit dem eigenen Azubi möglichst frühzeitig eine Übernahme zu vereinbaren und sich nicht nur als Ausbildungsbetrieb, sondern auch als Arbeitgeber für eine weitere Beschäftigung gut zu präsentieren."
Da würde auch Georg Haber von der Handwerkskammer beipflichten. Einige Faktoren allerdings werden sich wohl nicht ändern lassen - das Handwerke passt anscheinend nicht zur Mentalität vieler Nachwuchskräfte: "Die Gründe für berufliche Veränderungen der Handwerksazubis werden von uns nicht systematisch erfasst. Allerdings geben Studien des Deutschen Handwerksinstituts in Göttingen Aufschluss über etwaige Motivationen, darunter beispielsweise fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten oder der Wunsch nach weniger Selbstbestimmung in den Arbeitsabläufen, denn laut Umfragen arbeiten einige junge Fachkräfte lieber nach genauen Vorgaben." Nun, gerade das sahen die Handwerker bislang immer als Vorzug ihres Fachs.