Kultur

Als die Welt auf Nürnberg blickte

Uwe Neumahr hat mit "Das Schlossder Schriftsteller" ein faszinierendes Buch über die Beobachter der Nürnberger Prozesse geschrieben


Im Schloss Faber-Castell in Stein bei Nürnberg wurde Ende 1945 für die internationalen Beobachter der Nürnberger Prozesse das Steiner Press Camp eingerichtet.

Im Schloss Faber-Castell in Stein bei Nürnberg wurde Ende 1945 für die internationalen Beobachter der Nürnberger Prozesse das Steiner Press Camp eingerichtet.

Von Volker Isfort

Als wenige Monate nach Kriegsende 21 ranghohe Nazis von Göring bis Ribbentrop in Nürnberg auf der Anklagebank saßen, schaute die ganze Welt nach Franken - und schickte ihre besten Korrespondenten. "Weltliteratur traf auf Weltgeschichte" schreibt Uwe Neumahr in seinem faszinierenden Sachbuch "Das Schloss der Schriftsteller".

Die männlichen Korrespondenten wurden im vom Krieg nahezu unbeschadet gebliebenen Schloss des Schreibwarenfabrikanten Faber-Castell untergebracht. Die Journalistinnen wohnten in einer Villa im Schlosspark.

Dass die vier Siegermächte im November 1945 juristisches Neuland betraten, war jedem bewusst. Weil aber vor dem Internationalen Militärgerichtshof im Nürnberger Justizpalast wirklich Rechtsstaatlichkeit über pure Rache siegen sollte, zog sich das Verfahren bis zum 1. Oktober 1946 hin. Wobei natürlich ein Grundproblem, der Vorwurf der "Siegerjustiz", bestehen blieb: "Der altbewährte Rechtsgrundsatz, wonach man niemanden gemäß Gesetzen, die erst nach dem Tatbestand erlassen wurden, vor Gericht stellen darf, wurde in Nürnberg außer Kraft gesetzt", so Neumahr.

Dass die Russen Iona Nikittschenko, der an Stalins Schauprozessen beteiligt gewesen war, als ihren Hauptrichter benannten, machte die Lage aus westlicher Sicht nicht besser. So wurde das Verfahren kein kurzer Justizthriller, sondern eine langwierige, sich oft im Detail verlierende Angelegenheit. Das geflügelte Wort vom "Kaugummi-Prozess" machte bald die Runde, nicht nur, weil die Angeklagten und Sicherheitskräfte davon auch im Gerichtssaal nicht lassen konnten.

Neumahrs Buch allerdings bleibt spannend wie ein Pageturner. Denn er legt den Fokus auf Porträts von rund einem Dutzend Beobachter, darunter Willy Brandt, Martha Gellhorn, Erika und Golo Mann oder Rebecca West und geht der Frage nach, wie sie über den Prozess berichteten, und was der Prozess aus ihnen machte.

Auch ein kleiner Coup gelingt Neumahr, der nachweist, dass Alfred Döblin kein Prozessbeobachter gewesen sei. Dabei schrieb der Autor von "Berlin Alexanderplatz" sogar die Aufklärungsschrift "Der Nürnberger Lehrprozess" für die französische Besatzungszone.

Willy Brandt, der mit norwegischem Pass im Press Camp wohnte - Deutschen war der Zutritt untersagt -, war sich lange nicht im Klaren, ob Deutschland wieder ein Ort der Zukunft für ihn sein könnte. Er schrieb für das norwegische Publikum das Buch "Verbrecher und andere Deutsche", das erst 2007 auch auf Deutsch erschien. Zeitgleich mit ihm in Nürnberg weilte auch Markus Wolf, der spätere Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung in der DDR, der Brandt durch die Guillaume-Affäre 1974 indirekt als Kanzler stürzen sollte.

Die britische Journalistin und Autorin Rebecca West behielt den Prozess aus einem anderen Grund in schlechter Erinnerung. "Das Symbol von Nürnberg war ein Gähnen", bemerkte sie, stürzte sich dann aber in eine Affäre mit dem amerikanischen Hauptrichter Francis Biddle. Sie notierte, dass viele Liebende in Nürnberg dieselbe Hoffnung hätten wie die Angeklagten: dass der Prozess niemals enden möge. Biddle sah es deutlich pragmatischer, er wollte lieber schnell zurück zu seiner amerikanischen Ehefrau.

Zum Prozessende kam auch die frisch von Ernest Hemingway geschiedene Martha Gellhorn nach Nürnberg. Seit sie am Tag der deutschen Kapitulation das gerade erst befreite Konzentrationslager Dachau gesehen hatte, war ihr Hass auf Deutschland für den Rest ihres Lebens eine Gewissheit. Wie Rebecca West war sie der Ansicht, die Deutschen trügen eine kollektive Schuld an den Verbrechen.

Diese Frage war natürlich auch in der Familie Mann ein Thema, mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen. Erika war von der Kollektivschuld der Deutschen überzeugt, Golo Mann lehnte dies ab und bevorzugte den von Karl Jaspers entwickelten Begriff der "Kollektiv-Haftung". Ab den 60er Jahren sollte sich Golo Mann öffentlich für die Freilassung des zu lebenslanger Haft verurteilten Rudolf Heß einsetzen.

Es ist erstaunlich, welche Fülle von Themen und Aspekten Uwe Neumahr in diesem mit leichter Hand geschriebenen Buch aufgreift. Und da auf dem engen Raum notgedrungen viele biografische Details nur angerissen werden können, weckt Neumahrs anregende Lektüre auch die Lust, sich mit einigen seiner Protagonisten noch einmal genauer zu beschäftigen.

Uwe Neumahr: "Das Schloss der Schriftsteller" (C.H. Beck, 304 Seiten, 26 Euro)