Kultur
Auf dem Gipfel des Glücks
10. Februar 2023, 17:31 Uhr aktualisiert am 10. Februar 2023, 17:31 Uhr
Da kann die Musikwissenschaft forschen, was sie will: Weil die Kuhglocken bimmeln und der Wasserfall rauscht, halten die meisten Hörer die "Alpensinfonie" für die etwas naive Schilderung einer Bergwanderung. Das ist dieses Mammutwerk zwar auch, aber eben nicht nur. Denn in der ziemlich langen Entstehungszeit dachte Richard Strauss wenig über die Gipfel vor seiner Garmischer Villa nach. Im Zentrum stand lange die Biografie des Malers und Bergsteigers Karl Stauffer-Bern und Friedrich Nietzsches Begriff des "Antichrist".
Ausgerechnet dem berühmtesten aller Bergsteiger ist es nun gelungen, die sozusagen philosophische Ebene dieser sinfonischen Dichtung stärker ins Licht zu rücken. In der Corona-Zeit begleitete Reinhold Messner mit seinen Texten und seiner Persönlichkeit eine Aufführung der "Alpensinfonie" des Deutschen Symphonie-Orchesters in Berlin unter Robin Ticciati. Der Film ist auf YouTube zu sehen, ein von Angela Merkel besuchtes Konzert gab es auch.
Münchens größter Konzertveranstalter ließ sich davon inspirieren und wiederholte das Projekt leicht abgewandelt mit den Stuttgarter Philharmonikern in der Isarphilharmonie. Das Ergebnis überzeugte durch Dichte, weil die Balance zwischen Reinhold Messner und Richard Strauss ausgewogen blieb.
Das ist durchaus überraschend. Denn Messner redet - wie Journalisten wissen - ziemlich gern und viel. Zur "Alpensinfonie" sagt er kein überflüssiges Wort.
Die Texte konzentrieren sich auf die mentale und geistige Seite des Bergsteigens, nach Messners Worten eine eigentlich sinnlose, aber "mögliche" Aktivität, in die der Mensch auf der Suche nach seinen Grenzen selbst einen Sinn hineinlege.
Das bleibt so allgemein, dass es auch Nicht-Bergsteiger auf ihre Projekte beziehen können. Messners Interventionen unterbrechen die Musik respektvoll, bisweilen sind sie über leise Stellen gelegt. Sie orientieren sich zwar am komponierten Auf- und Abstieg. Messner ist aber klug genug, alles Illustrative Richard Strauss zu überlassen. Auch die zu den Texten gezeigten Bergfotos machen nicht den Fehler, den Wasserfall und die Alm in der Musik noch einmal zu zeigen.
"Wir wissen, dass wir umkommen können", sagt Messner. Aber das Ziel sei, zu überleben und verwandelt ins Tal zurückzukehren. Mit dieser recht demonstrativen Härte und durchaus bedenkenswerten und von jedem Kitsch freien Worten zum glückenden Leben hielt sich Messner von der Naturverklärung und vom musikalischen Heimatfilm fern.
Dass sich in der Betonung der Willenskraft Assoziationen zu richtig oder möglicherweise auch falsch verstandenen Ideen Nietzsches einstellen, ist im Umfeld der "Alpensinfonie" absolut passend, zumal auch der in die Entstehungsgeschichte nicht eingeweihte Hörer bemerken dürfte, dass Strauss beim alpinen Sonnenaufgang auf den Beginn seiner Tondichtung "Also sprach Zarathustra" anspielt.
Wer den heute sehr subtilen Umgang von Theater-Tontechnikern mit dem gesprochenen Wort kennt, erlebt in Sälen regelmäßig eine leise Enttäuschung. Auch in der Isarphilharmonie blieben Wünsche in Richtung Sound-Design offen, zumal Messner kein Profi-Sprecher ist. Aber der 78-Jährige macht das mühelos als Bezwinger aller vierzehn Achttausender und Inhaber weiterer Rekorde wett.
Die Stuttgarter Philharmoniker hatten die undankbare Aufgabe, ausgerechnet in München die "Alpensinfonie" aufzuführen, wo jedes Orchester höchstpersönliche und auf den Komponisten zurückgehende Traditionen aufweisen kann. Die Musiker aus der kleineren Nachbargroßstadt schlugen sich unter der musikalischen Leitung von Christian Schumann wacker. Der Dirigent hielt eine gute Balance zwischen dem Illustrativen und dem Symphonischen, einige exponierte Passagen im Blech meistern die örtlichen Klangkörper allerdings mit mehr Sicherheit. Vor Messners Auftritt in der so gut wie ausverkauften Isarphilharmonie stand eine solide Aufführung von Mozarts "kleiner" Symphonie in g-moll.
Man muss nun gewiss nicht die "Alpensinfonie" nur noch mit Messner hören. Aber die Verbindung zwischen dem Bergsteiger und dem Komponisten funktioniert. Die Idee ist auch nicht ohne weiteres auf andere Werke übertragbar. Aber gerade das schadet nicht. Einmaligkeit hat auch ihren Reiz.