Kultur

Bekanntes neu durchdacht

Khatia Buniatishvili und Jonathan Nott in der Isarphilharmonie


Khatia Buniatishvili beim Global Citizen Festival Concert in Hamburg.

Khatia Buniatishvili beim Global Citizen Festival Concert in Hamburg.

Von Michael Bastian Weiß

Pathetisch rufen die Hörner zur Ordnung, alle anderen folgen dem Appell und lenken die Aufmerksamkeit auf die Solistin. Soweit geht im Klavierkonzert Nr. 1 von Peter Tschaikowsky alles so vonstatten, wie es sich gehört. Nur vielleicht, dass das Orchestre de la Suisse Romande unter seinem Chefdirigenten Jonathan Nott feinsinniger auftritt als andere Klangkörper.

Dann aber geschieht etwas Unerwartetes. Die Pianistin Khatia Buniatishvili stupst die berühmten schweren Glockenschläge mehr an, als sie in die Tasten zu wuchten, läuft den Kolleginnen und Kollegen übermütig ein Stück voraus, nicht ohne sie dabei gleichsam an die Hand zu nehmen. Wenn es an ihr liegt, die schwelgerische Melodie mit großer Geste anzustimmen, nimmt sie das donnernde Fortissimo rasch zurück: wie eine Sängerin, deren Leidenschaft immer inniger wird.

Eine solche Spontaneität wirkt schon an sich unwiderstehlich. Doch als ob das nicht schon genug wäre, gelingt Khatia Buniatishvili etwas noch Größeres. Mit ihrer einzigartig sprechenden, gestischen, ja, schauspielerischen Darstellung, macht sie die lange Einleitung zu diesem Werk zu einer veritablen Opernszene und verleiht ihr dadurch jenen dramaturgischen Sinn, den man sonst so schwer erkennen kann. Wenn auf diesen freien Monolog dann der strenger gearbeitete Hauptsatz folgt, erscheint dieser so schlüssig wie die Fortsetzung einer wortlosen Handlung, zumal das Soloklavier nun in einen beständigen Austausch mit dem seinerseits motivierenden Orchester tritt. Die stupende Virtuosität der georgischen Pianistin, ihr Talent, geisterhafte, heitere, verliebte Stimmungen zu zaubern, werden von Jonathan Nott gespiegelt, erwidert oder noch verstärkt.

So stricken Pianistin, Dirigent und die Schweizer Musiker und Musikerinnen hier in der Isarphilharmonie an einer einzigen Geschichte, die sich nur mit musikalischen Mitteln erzählt. Inspirierend.

Etwas so Spektakuläres zu wiederholen: nämlich ein Werk in ein anderes Medium förmlich zu verwandeln, ist kaum möglich, zumal gerade die Symphonie Nr. 3 von Ludwig van Beethoven, die "Eroica", interpretierend schon in unzählige Richtungen gedreht worden ist. Auf jeden Fall stülpt ihr Jonathan Nott nicht einfach einen der etablierten Aufführungsstile über, sondern hat merklich über jedes Detail nachgedacht, verfolgt die Entwicklung mit reichem Rubato aus dem Augenblick heraus, ohne je den formalen Überblick zu verlieren.

Die Abmischungen der einzelnen Gruppen des Orchestre de la Suisse Romande sind handverlesen, das Tutti kammermusikalisch durchdrungen: ein angenehmer Charakterzug dieses traditionsreichen Ensembles, der in der reizenden Idee mündet, eine der Variationen aus dem Finale von einem Streichquartett spielen zu lassen.