Kultur

Stromlinienförmig

Klaus Mäkelä, Janine Jansen und dasOrchestre de Paris in der Isarphilharmonie


Der finnische Dirigent Klaus Mäkelä.

Der finnische Dirigent Klaus Mäkelä.

Von Robert Braunmüller

Wie man zum zweiten Teil dieses Konzert steht, ist eine Frage des Anspruchs an die "Symphonie fantastique" von Hector Berlioz. Wer sie - aus der Perspektive von Robert Schumann oder Johannes Brahms für einen letztendlich zweitklassigen Reißer hält, dürfte beim Orchestre de Paris unter Klaus Mäkelä voll auf seine Kosten gekommen sein.

Als Hauptwerk der musikalischen Romantik, das alles vorher Komponierte in die Luft sprengt, wurde es nicht präsentiert: Dafür fehlte die Auseinandersetzung mit dem Exzentrischen und Experimentellen, das jenseits des Sujets sich vor allem im Klang äußert.

Der besondere Reiz dieses in Musik gesetzten autofiktionalen Fiebertraums einer unmöglichen und zuletzt abstürzenden Liebe ist die neuartige Instrumentierung der 1830 entstandenen Symphonie, die trotz Anspielungen auf die Pastorale Beethoven und die Wiener Klassik explodieren lässt. Dirigenten wie John Eliot Gardiner und Roger Norrington haben diesen Aspekt der "Symphonie fantastique" neu entdeckt, andere haben diese Einsichten genauer Partiturlektüre auch auf nicht historisch informiert spielende Orchester übertragen.

Andere sind bei der Effekthascherei stehengeblieben. Dazu gehört - leider - auch Mäkelä. Er betrachtet die Musik durch die Brille der Spätromantik und entdeckt statt Experimenten vor allem äußerliche Effekte. Berlioz' Dekadenz- und Verzweiflungsmusik kam wie ein stampfend vitaler Prokofjew daher.

Natürlich sorgte der Dirigent für Transparenz und äußerliche Perfektion. Die beiden rhythmisch revolutionär komplexen Stellen im ersten und letzten Satz interessieren ihn schon weniger, Lautstärken unterhalb von Mezzoforte bleiben unentdeckt. Dass es sich beim zweiten Satz um eine Ballszene handelt, muss man im Programmheft nachlesen: Da rumpelte er eilig durch.

Dazu kommt: Das Orchestre de Paris, laut Papierform Frankreichs berühmtestes Orchester, klingt im Guten und im weniger Guten wie ein erstklassiger deutscher Rundfunkklangkörper. Alle Gruppen spielen perfekt, Holz und Blech sind virtuos. Eine individuelle, gar unverwechselbare Farbe hat es nicht zu bieten. Das mag bei Spätromantik und klassischer Moderne von Vorteil sein, bei Berlioz erzeugt man damit vor allem stromlinienförmige Konvention. Und das ist das Letzte, was dieser Komponist braucht.

Vor der Pause rechtfertigte der 27-Jährige seinen derzeitigen Marktwert als designierter und gegenwärtiger Chef von gleich drei berühmten Orchestern schon eher: Zusammen mit der Geigerin Janine Jansen gelang ihm eine herausragende, hochdifferenzierte und hochsubjektive Deutung des Violinkonzerts von Jean Sibelius, das fast immer als ultimatives Showdown zwischen Geige und Orchester inszeniert wird.

Die Solistin konzentrierte sich auf die lyrischen Qualitäten des Werks, Kraft und Urgewalt kamen von selbst und wurden nicht ins XXL-Format gesteigert. Und im Finale tanzten nicht die Eisbären ihre behäbige Polonaise: Janine Jansen und Mäkelä entdeckten den Danse macabre, den Sibelius offenbar gemeint hat. Und das macht es umso überraschender, dass es dem Dirigenten bei Berlioz an Neugierde fehlt.