Daniel Barenboim

Der Alternativlose


Daniel Barenboim in seinem Berliner Büro vor einem Porträt seines Vorbilds Wilhelm Furtwängler.

Daniel Barenboim in seinem Berliner Büro vor einem Porträt seines Vorbilds Wilhelm Furtwängler.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Großen Dirigenten wird mitunter ein ruppiger Führungsstil nachgesagt. Jetzt treffen solche Vorwürfe Daniel Barenboim

Er sei launisch, jähzornig, aggressiv. Gegen Daniel Barenboim sind schwere persönliche Vorwürfe als künstlerischer Leiter der Berliner Staatsoper Unter den Linden laut geworden. Rund ein Dutzend Mitarbeiter warf ihm im Online-Magazin "Van" einen autoritären Führungsstil im Stil eines Poltergeists vor, der auch vor persönlichen Beleidigungen und Verletzungen nicht zurückschrecke.

Alle Betroffenen äußerten sich anonym. Aus dem Bericht des Magazins ging nicht hervor, ob Barenboim - wie bei sogenannter Verdachtsberichterstattung zur Vermeidung von Klagen geboten - um eine Stellungnahme gebeten worden war.

Bei der vorwiegend in sozialen Medien geführten Debatte über den Beitrag verwiesen Verteidiger Barenboims auf seine Lebensleistung als Pianist, Dirigent, Orchestergründer und Nahostpolitiker, andere wollten wissen, dass Gerüchte über Barenboims ruppiges Benehmen schon lange in der Szene kursieren.

Angst und Depressionen

Der Bayerische Rundfunk ließ nun mehrere Musiker namentlich zu Wort kommen. Ein ehemaliger, heute an der Bayerischen Staatsoper tätiger Paukist der Berliner Staatskapelle sprach von Schikanen. Er habe Bluthochdruck bekommen und am Ende unter einer Depression gelitten. Von Barenboim sei er nie beim Namen genannt worden, berichtete er im BR. Auch andere Ehemalige der Staatskapelle sprachen von einer "Angst" vor Barenboims Temperament. Manchmal sei dieser launisch gewesen, aus dem Nichts sei dann ein Stimmungswandel gekommen.

Aber es gibt - naturgemäß - auch Musiker, die Barenboim verteidigen. Ein Mitglied der Staatskapelle sagte dem BR, an den Vorwürfen sei etwas dran, warb aber um Verständnis. Barenboim sei sicher nicht der geduldigste Mensch. Die Frage sei aber, "ob ein netter Opa von nebenan in der Lage ist, einen solchen Spannungsbogen aufzubauen wie Barenboim in einer Bruckner-Symphonie".

Der Dirgent hat sich nach Bekanntwerden der anonymen Vorwürfe mit dem Intendanten der Staatsoper in Verbindung gesetzt. Berlins Kultursenator Klaus Lederer erwarte, dass die Vorwürfe in einer Personalversammlung thematisiert würden und ein Angebot für Gespräche geschaffen werde.

Der Lebenszeitvertrag ist das wahre Problem

Zu den Vorwürfen des Paukisten räumte Barenboim ein, gegenüber dem Musiker kritisch gewesen zu sein. "Er hatte rhythmische Schwächen, und darüber habe ich mit ihm gesprochen und das selbstverständlich auch kritisiert. Das ist nun einmal meine Aufgabe." Barenboim sprach von einem positiven und konstruktiven Arbeitsklima in der Staatskapelle, die ihn vor Jahren zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt hat. Der 76-Jährige sieht die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vor dem Hintergrund seiner laufenden Vertragsverhandlungen als Generalmusikdirektor mit dem Berliner Senat über das Jahr 2022 hinaus.

Damit ist - unabhängig davon, ob die Vorwürfe zutreffen und wie gravierend das schlechte Benehmen des Dirigenten ist - das strukturelle Problem von Barenboims Position benannt: die quasi-feudale Lebenszeit-Position bei der Staatskapelle und der immer wieder verlängerte Vertrag.

Der Orchestervorstand steht zu Barenboim

Barenboim hat sich zum Retter der damals - angeblich - abgewirtschafteten Staatsoper stilisiert, die er 1992 übernahm. Seitdem wirkt der von der Politik gehätschelte Musiker dort scheinbar alternativlos. Es ist ein guter Brauch, dass künstlerische Chefpositionen nicht auf Ewigkeit, sondern nur auf Zeit vergeben werden. Der im Theaterbereich nach zehn Jahren übliche Wechsel verhindert Verkrustungen und Verdichtungen von Macht, die zum Missbrauch einladen.

Seltsam ist auch, dass die normalerweise mächtigen gewerkschaftlichen Vertreter der unbefristet beschäftigten Musiker das Gebaren Barenboims so lange unwidersprochen geduldet haben. Der Orchestervorstand hat sich am Freitag hinter den Dirigenten gestellt.