Kultur
Die Lust an der Subversion
27. Januar 2023, 17:07 Uhr aktualisiert am 30. Januar 2023, 14:48 Uhr
Langbeinig ist diese Großherzogin wie ein Supermodel, glamourös in rote Robe gehüllt, einfach umwerfend. Sie öffnet den Mund, beginnt ihr Rezitativ - und ist ein Tenor. Noch dazu gibt Juan Carlos Falcón ein Prachtexemplar seines Fachs mit ausgesprochen männlichem Timbre ab.
Die geschlechtliche Gegenbesetzung dieser Partie, die gern von älteren Primadonnen verkörpert wird, ist der Clou dieser Inszenierung. Die überraschende Idee funktioniert über die gesamte Dauer der Operette "Die Großherzogin von Gerolstein", zumal Falcón die Travestie nicht übertreibt.
Vernichtender kann man Schießwütigkeit nicht darstellen
Die Lust an der Subversion, die der regieführende Intendant Josef E. Köpplinger in dieser mit der Dresdner Semperoper koproduzierten Inszenierung an den Tag legt, hat Erregungspotential. Denn nach dieser Prämisse gibt es auf der Bühne des Gärtnerplatztheaters nur noch eine einzige Frauenfigur, die Gänsemagd Wanda, die in Gestalt von Julia Sturzlbaum so unwiderstehlich girrend zum hohen C hinaufgleitet, dass man dem Komponisten Jacques Offenbach gram ist, sie so stiefmütterlich behandelt zu haben. Eine der besten komischen Frauenrollen geht an einen Mann, so könnte der gesellschaftspolitisch treffende Vorwurf lauten. Doch die Kunst darf alles, sogar einen sozialen Konsens strapazieren. Problem gelöst.
Wenn wir schon bei Bedenken sind: Soll man in unserer brutalen Zeit wirklich ein Stück geben, in dem eine verkommene Militärelite einen Krieg vom Zaun bricht? Ja, unbedingt! Denn vernichtender kann man dumme Schießwütigkeit nicht darstellen als in der Figur des Generals Bumm: Alles an ihm ist lächerlich, vom quadratischen Bart bis hin zum überdimensionalen Helmbusch (Kostüme: Alfred Mayerhofer); grandios trägt der Bassist Alexander Grassauer die Widersprüchlichkeit aus, die Karikatur voll auszuspielen und dabei kunstvoll zu singen. Einen ähnlichen Balance-Akt vollführt der Tenor Daniel Prohaska als effeminierter Prinz Paul, während Matteo Ivan Rašić eine luxuriös belcantistische Besetzung des friedfertigen Fritz darstellt.
Wie schon Offenbach und seine Librettisten verzichtet diese Inszenierung darauf, die Absurdität des Krieges zu entlarven, sondern zieht die Kriegstreiber auf Klamottenniveau herab. Der Pomp, in dem sich der Kleinstaat Gerolstein sonnt, ist hohl: Wenn ein Schlachtengemälde gelüftet wird, befindet sich ein weiteres dahinter (Bühne: Johannes Leiacker). Panisch läuft ein Kanonier mit einer rauchenden Rakete über die Bühne, ein anderer trägt ein rosa Tutu. Nachdem der Soldat Fritz in willkürlicher Windeseile zum General befördert wurde, darf er ein Bad nehmen, aus dem unvermittelt die mannstolle Großherzogin mit Taucherbrille und Schnorchel auftaucht.
Köpplingers Neigung zu Zoten muss man mögen: Die Großherzogin wird durchgehend als "Eure Geschlechtlichkeit" adressiert. Sein Markenzeichen, die aufwendig durchchoreographierten Dialoge, hat er aber perfektioniert, etwa im Ballett der übereinander geschlagenen Beine während der Intrigensitzung auf dem roten Sofa (Co-Regie: Adam Cooper).
So setzt auch kein Stillstand ein, wenn die Musik pausiert. Sobald sie aber einsetzt, erreicht die Produktion ein mitreißendes Tempo, denn Michael Balke stiftet mit dem funkensprühenden Gärtnerplatz-Orchester jenen leichten Sinn, der den Slapstick erst zum Abheben bringt und somit die Satire zum Musiktheater veredelt.
Und die geschlechtspolitischen Bedenken? Sollten die Verantwortlichen aushalten. Kunst darf alles. Und hier ist sie dazu noch gut gemacht.
Wieder am 28. Januar sowie am 4. und 9. Februar, 9., 11. und 17. März (18 Uhr) im Gärtnerplatztheater, Karten online und unter Telefon 2185 1960