Kultur

Eine Drag-Queen als Traviata

Andreas Wiedermann inszeniert Verdis Oper in der Allerheiligenhofkirche


Die in Countertenor-Lage singende Drag Queen Uri Elkayam mit Rodrigo Trosino (Alfred) in Verdis Oper "La Traviata".

Die in Countertenor-Lage singende Drag Queen Uri Elkayam mit Rodrigo Trosino (Alfred) in Verdis Oper "La Traviata".

Von Robert Braunmüller

Wer hat wirklich den Überblick darüber, was auf New Yorker Off-Off-Off-Bühnen oder gar weiter im Wilden Westen stattfindet? Insofern ist eine leise Skepsis angebracht, ob sich im oberbayerischen Isental wirklich die erste Aufführung von Verdis "La Traviata" ereignete, in der nicht eine Sopranistin, sondern eine Drag-Queen die Rolle der Violetta übernahm.

Der Regisseur Andreas Wiedermann hat sie mit dem Dirigenten Ernst Bartmann im Jakobmayer-Saal in Dorfen herausgebracht. Und zwar - so liberal ist entgegen hauptstädtischer Vorurteile die oberbayerische Provinz - ohne das irgendwelche Proteste bekanntgeworden sind.

Wiedermann und Bartmann sind in München als Köpfe von "Opera Incognita" gut bekannt: Sie bringen alljährlich Anfang September im Klein- bis Mittelformat eine selten gespielte Oper an einem ungewöhnlichen Ort heraus - zuletzt "Echnaton" von Phil Glass im Ägyptischen Museum.

Die in Countertenor-Lage singende Drag Queen Uri Elkayam mit Rodrigo Trosino (Alfred) in Verdis Oper "La Traviata".

Die in Countertenor-Lage singende Drag Queen Uri Elkayam mit Rodrigo Trosino (Alfred) in Verdis Oper "La Traviata".

Nun gastierte ihre queere "Traviata" in der Allerheiligenhofkirche. Sensationell oder gar schockierend ist das Experiment nicht ausgefallen - leider auch nicht einmal prickelnd unterhaltsam oder intellektuell anregend. Sondern ziemlich normal, denn in der Oper gehören - anders als in Münchner Stadtteilbibliotheken - zwischen den Geschlechtern changierende Hosenrollen und in weiblicher Stimmlage falsettierende Männer zum Tagesgeschäft.

Wiedermanns Inszenierung erzählt Verdis Oper als Kammerspiel ohne historische Kostüme vom Blatt. Statt Sekt nimmt man Koks, zwei Menschen verlieben sich. Vater Germont fürchtet um den Ruf der Familie - im Original, weil Violetta eine Kurtisane ist, bei Wiedermann, weil sie eine Dag- Queen ist, die der ältere Herr in beiden Fällen nach nach anfänglicher Schroffheit wie eine Dame behandelt.

Eine Dag-Queen spielt eigentlich ironisch mit Geschlechterrollen und überzeichnet sie bis zur Kenntlichkeit. Und sie ist - nun mal - provozierend schrill. Uri Elkayam schlürft zwar an einem Getränk, ehe er vor dem seiner Stimme unzugänglichen Schluss von "Sempre libera" in die tiefere Lage flüchtet. Und er riskiert auch ein, zwei maßvoll tuntige Gesten. Das war's dann aber auch, und auch sonst passiert nichts, zu dessen Rechtfertigung das bayerische Motto vom "Leben und Leben lassen" bemüht werden müsste.

Der Countertenor Elkayam singt die für dramatischen Koloratursopran komponierte Partie sauber und ohne wesentliche Abstriche. Im letzten Akt legt er die Kostümierung ab und stirbt als Mann - nicht an Tuberkulose wie Violetta, sondern vermutlich an Aids, was die Aufführung nicht betont.

Das alles hat wenig bis nichts mit dem künstlerischen oder genderpolitischen Konzept Dag-Queen zu tun. Für Kenner sei auch noch der von Susan Sontag berühmt gemachte Fachbegriff bemüht: Was fehlt, ist der Camp.

Leider ist es erfahrungsgemäß auf einer kleinen Bühne noch schwieriger als sonst, realistisch zu wirken. Dazu kommt: Wiedermanns Sänger agieren leider sehr grob. Elaykam nimmt zwar im ersten Akt Tabletten, aber er kann an keiner Stelle ausdrücken, dass er einen lebenshungrigen Todkranken spielt.

Auch der als harter Mann ausstaffierte Rodrigo Trosino ist ein eher steifer bis hilfloser Alfredo. Und obwohl Robson Bueno Tavares den Germont mehr als ordentlich verkörpert, kommt man um die paradoxe Einsicht nicht herum: So erstaunlich es Wiedermann gelungen ist, am gleichen Ort die ausufernd-pompösen "Hugenotten" Giacomo Meyerbeers auf ein Taschenformat einzudampfen, so sehr scheitert er am Realismus an der viel kleiner dimensionierten "Traviata".

Dazu kommt sein Respekt vor Verdi. Aber eine Aufführung mit einer Dag-Queen müsste mindestens das singende Sterben konterkarieren. Hier bleibt alles geradezu erschreckend ernsthaft.

Carolin Ritter und Florian Dengler übernehmen die auf zwei Figuren eingedampften kleineren Rollen. Im dritten Bild dürfen sie mit einem Barbie-Puppenhaus die Mordszene aus Verdis "Macbeth" singen und spielen. Sie tun das achtbar, nur das Warum wird leider nicht klar.

Ernst Bartmann hat Verdis Musik für eine Salonbesetzung Klavier, Klarinette und zwei Streicher arrangiert. Die Chöre fehlen, die Ouvertüre steht vor dem zweiten Akt. Das funktioniert, abgesehen von einigen verhudelten Stellen gut. Aber auch hier muss man sagen: Bravheit, das Gediegene und die übervorsichtige Angst vor etwas Schrillem ist das Letzte, was man von einer "Traviata" mit Drag-Queen erwarten darf.

Dem Vernehmen nach gastiert die Aufführung im Herbst im Silbersaal des Deutschen Theaters