Sydney Pollaks Dokumentarfilm nach fast 50 Jahren erstmals im Kino

Gott ist schwarz: Aretha Franklin - Amazing Grace


Kirche als Studio: Die Missionary Baptist Church in Los Angeles 1971.

Kirche als Studio: Die Missionary Baptist Church in Los Angeles 1971.

Von Adrian Prechtel / TV/Medien

1972, Los Angeles: Aretha Franklin kehrt zu ihren Gospelwurzeln zurück und lässt einen Live-Auftritt in einer zum Studio umgebauten Kirche mitschneiden

Die einen lachen, andere weinen, die einen tanzen, die anderen brechen vor Ekstase zusammen. Diese Musik löst im Publikum vielseitige Reaktionen aus. Aber es ist ja auch nicht einfach nur Musik, wenn Aretha Franklin Lieder wie "Never Grow Old" oder "Amazing Grace" singt. Ihr Gospel öffnet der Gemeinde den Blick in den Himmel. Und wir können nun im Dokumentarfilm "Aretha Franklin: Amazing Grace" dabei sein.

Sydney Pollack war vor Ort, um ein TV-Special zu drehen

Aretha Franklin hatte seit einem halben Jahrzehnt die Soul-Musik dominiert, hatte elf Nummer-eins-Songs in den R&B-Charts. Da beschloss sie Anfang 1972 zu ihren Wurzeln, also in die Kirche zurückzukehren. Sie war schon als Kind mit ihrem Vater, Baptistenprediger C. L. Franklin, durch die Kirchen der USA gereist, um ihr Wundertalent in den Dienst Gottes zu stellen. Dann wurde sie "Lady Soul" und setzte in der Popwelt den Maßstab für Stimmgewalt und Sangeskunst auf alle Ewigkeit.

"Amazing Grace" wurde die meistverkaufte Gospelplatte aller Zeiten

Als sie 1972 ihre Gospelplatte aufnehmen wollte, ging sie nicht ins Studio, sondern dorthin, wo diese Musik ihren Platz hat: in die Kirche. An ihrer Seite hatte sie den berühmtesten Gospelmusiker der Zeit, Pianist James Cleveland, dazu den Southern California Choir und eine Rhythmusgruppe, die auch auf ihren Soulplatten zu hören war. An zwei aufeinanderfolgenden Abenden spielten sie in der Missionary Baptist Church in Los Angeles vor Publikum. Das dabei entstandene Album "Amazing Grace" wurde die meistverkaufte Gospelplatte aller Zeiten.

Aber nicht nur Arethas Produzenten Jerry Wexler und Arif Mardin ließen das Band mitlaufen: Auch ein Filmteam unter Regisseur Sydney Pollack war vor Ort, um ein TV-Special zu drehen. Doch der Film wurde aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht fertiggestellt: Laut Presseunterlagen gelang es nicht, die separat aufgenommenen Bild- und Tonspuren zu synchronisieren. Pollack habe sogar Lippenleser engagiert, aber auch das habe zu nichts geführt.

Befremdendes verhalten der Gotttesdienstbesucher

47 Jahre später hat der Filmemacher Alan Elliott nun den Dokumentarfilm "Aretha Franklin: Amazing Grace" vollendet. Am Anfang ist kurz Sydney Pollack im Gespräch zu sehen. Aber alles was folgt, hätte so wohl auch vor 47 Jahren schon zu sehen sein können.

Und das hat einen Mehrwert gegenüber dem gleichnamigen Album, weil der Zuschauer in eine komplett eigene Welt eintauchen kann: Denn das Verhalten der Gospel-Gemeinde wirkt auf uns seltsam fremd. Die Kirchgänger wirken zwischenzeitlich unbeteiligt, ja desinteressiert, um urplötzlich durchzudrehen. Auch die Performer befinden sich in extremen Seelenzuständen: James Cleveland haut einen gutgelaunten Spruch nach dem anderen raus, um dann tief gerührt in sich zusammenzusacken. Und über allem thront die Stimme von Aretha, die sich Gott und dem Gospel hingibt.

Da ist es kein Wunder, dass man inmitten der schwarzen Gemeinde auch zwei blasse junge Engländer entdeckt, die wohl weniger dem Herrgott nahe kommen wollten als der Frau, deren Fan sie waren: Mick Jagger und Charlie Watts.

Kino: Solln, ABC, City, Monopol, Rex, Isabella (alle OmU) sowie Museum (OV)
R: Alan Elliott, Sidney Pollak
(USA, 1972/2019, 89 Min.)