Interviewserie „Über den Rand“

Iris Mönch-Hahn: Das letzte deutsche Buchgeschäft in Paris


Deutsche Buchhandlungen in Paris hatten eine jahrzehntelange Tradition. Das letzte Ladengeschäft seiner Art hat in dieser Woche geschlossen. Betrieben wurde es von einer gebürtigen Straubingerin: Iris Mönch-Hahn. Wie man zu einem Buchladen in Paris kommt, was die Gelbwesten mit dem Geschäftsgang zu tun hatten und wieso ihr Polizisten beim Paketschleppen halfen, das erzählt sie im Interview.

Straubing - Regensburg - Bamberg - Hamburg - Paris. Iris Mönch-Hahn ist nicht der Typ, der immer und ewig am gleichen Ort arbeitet - mit den gleichen Leuten, den gleichen Aufgaben. Da ist zu viel Energie, zu viel Neugierde, zu viel Leidenschaft für ihren Beruf.

Geboren wurde sie in Straubing, mit ihren Eltern ging es noch im Kleinkindalter nach Regensburg. Sie studierte Jura und BWL, aus einem Studentenjob bei Pustet wurde eine 30-jährige Karriere im Buchhandel. Erst wurde sie Leiterin der Belletristik-Abteilung in einer Filiale, im Anschluss baute sie das Geschäft in Deggendorf auf. In Bamberg leitete sie die Universitätsbuchhandlung, nahm in Nürnberg IHK Prüfungen ab, zog mit ihrem Mann erst nach Hamburg und schließlich nach Paris - als deutscher Ingenieur bei einem französischen Konzern wurde er immer wieder an einem anderen Standort gebraucht. In Paris führte sie dann die Tradition der deutschen Buchläden fort.

Plötzlich Paris. Wie ist das, in der französischen Hauptstadt zu landen, Frau Möch-Hahn?

Iris Möch-Hahn: Ich kannte Paris schon ziemlich gut. Ich hatte Leistungskurs Französisch und war als Au-pair-Mädchen dort - und auch danach mindestens einmal pro Jahr. Allerdings ist es schon etwas anderes, wenn man dort wohnt. Ich habe extra nochmal ein Studium an der Sorbonne aufgenommen und ein Diplom bekommen, auch für Wirtschaftsfranzösisch. Dann habe ich unter anderem im Marketing für deutsche Buchläden gearbeitet. Ich habe auch interimsweise bei französischen Buchhandlungen geholfen. Von Paris aus bin ich in die Schweiz gegangen und habe dort eine Buchhandlung übernommen.

Sie waren ja erst angekommen und dann ging es gleich wieder weiter in die Schweiz? Wie kam es denn dazu?

Es hat mich einfach interessiert. Ich mag die Schweiz auch sehr gern und hatte da auch schon als Au-pair-Mädchen gearbeitet. Leider habe ich den Laden in dem Jahr aufgemacht, als die Lehman Brothers Pleite war. Da waren die Schweizer diejenigen, die am meisten gespart haben. Nachdem der Laden nicht so erfolgreich war, haben wir uns nach einem Jahr also wieder verabschiedet.

Sie sind ein Mensch, der gerne Neues wagt, der aber auch kein Problem damit hat, sich wieder von Ideen zu verabschieden?

Natürlich tut das auch immer wieder weh. Als Buchhändler steckt man viel Herzblut in seine Aufgabe. Aber wenn man sich die Bilanzen ansieht, dann muss man immer auch Realist bleiben. Ich bin also wieder zurück nach Paris und habe ein Literatur-Journal im Internet eröffnet. Das gibt es nach wie vor, es heißt "Durchleser". Ich schreibe da über Bücher und gebe Empfehlungen. Außerdem hatte ich verschiedene Projekte, in Deutschland und in Frankreich. Dann wollte ich als Buchhändlerin einfach nochmal etwas ausprobieren. Ich habe mich bei einem Museum in der Schweiz beworben, bei der Fondation Beyeler in der Nähe von Basel.

Also nochmals eine andere Station …

Ich habe dort den Bucheinkauf und die Buchhandlung verantwortet. Da ich mich für Kunst interessiere, war das für mich ein spannendes Umfeld. Buchhändlerisch war es allerdings nicht so herausfordernd - man berät die Kunden nicht. Es geht nur um den Abverkauf und die Nachbestellung. Die hauptsächliche Arbeit passiert vorher - bei der Auswahl der Bücher, zusammen mit den Kuratoren.

Gar keine deutsche Buchhandlung mehr in Paris?

Also haben sie einfach eine eigene Buchhandlung in Paris eröffnet…

Ich bin 2014 zurück nach Paris. Über den buchhändlerischen Buschfunk erfährt man dann immer wieder von Schließungen oder Geschäftsumwandlungen. Auf diesem Wege habe ich dann erfahren, dass die damals größte deutsche Buchhandlung, die Buchhandlung Marissal, eine Filiale des Stammhauses in Hamburg, schließen würde. Ich habe mir dann gedacht: Gar keine deutsche Buchhandlung mehr in Paris - das ist nicht so recht vorstellbar.

Woher kommt denn die Tradition der deutschen Buchhandlungen in Paris?

Das beruhte immer auf Privatinitiativen. Es waren Leute, die selbst Buchhändler waren. Der bekannteste war wohl Herr Flinker, der in der Nähe von Notre-Dame eine Buchhandlung hatte. Er war Österreicher. Die Initiative, die deutschsprachige Literatur zu vermitteln, ging von ihm selbst aus. Die Franzosen sind übrigens sehr belesen und sehr literaturinteressiert, vor allem was die Klassiker angeht.

War die Geschäftsgründung in Frankreich schwieriger oder einfacher als in Deutschland?

Schwieriger. Man kann in Frankreich zwar ein kleines Gewerbe anmelden, dann ist man Alleinunternehmer, "entrepreneur". Der Umsatz ist aber gedeckelt. Wenn man einen Businessplan hat und einen Firmenkredit aufnehmen möchte, dann stellt man sich auch einen anderen Umsatz vor. Man muss dann eine Gesellschaft gründen. GmbHs sind hier eher nicht so etabliert, sondern verschiedene Arten von Aktiengesellschaften. In Frankreich muss man sich außerdem das Recht an einem kommerziellen Mietvertrag erkaufen. Die Summen schwanken zwischen 5.000 Euro und 500.000 Euro.

Die frühere "Libraire Allemande" am ersten Standort im Quartier Latin.

Die frühere "Libraire Allemande" am ersten Standort im Quartier Latin.

Sie haben es dann hingekriegt und haben sich im Quartier Latin niedergelassen. Wieso dort?

Es ist eines der ältesten Viertel von Paris, gehört zum 5. Arrondissement und liegt zwischen Notre-Dame und der Sorbonne. Es ist schon immer das Studentenviertel, ist intellektuell geprägt und hat viele Buchhandlungen, nicht nur französische, sondern auch ausländische. Es gibt auch Verlage, die hier sitzen, und etliche Schulen. Es ist hier also ein gewisses Potenzial an Kunden vorhanden.

Also wollten Sie vor allem Studenten mit Ihrem Angebot ansprechen …

Studenten, Dozenten, Lehrer aber natürlich auch alle anderen Interessierten. Unser Laden liegt im Zentrum - erst hatten wir unser Geschäft ungefähr 200 Meter von Notre-Dame, jetzt sind es 350 Meter. Notre-Dame ist in Paris der Kilometer null, also das Zentrum. Da fährt eigentlich alles hin. Es war mir wichtig, dass der Laden nicht weit ab vom Schuss liegt. Der Standort sollte neben dem Potenzial an Kunden auch eine gewisse Attraktivität haben.

Inwiefern hat sich Ihre Arbeit in Paris von derjenigen in Deutschland unterschieden?

Eine deutsche Buchhandlung in Paris ist eine Spezialbuchhandlung. Die Spezialisierung bedingt ein anderes Klientel. Es kommen nur Leute, die des Deutschen mächtig sind, oder es lernen wollen. Am Anfang habe ich mir gedacht, dass sich schon auch mehr deutsches Publikum unter meinen Kunden finden würde. Man sagt, dass ungefähr 50.000 Deutsche in Paris in der Innenstadt leben. Leider waren das aber kaum meine Kunden. 80 Prozent waren Franzosen. Und von den 20 Prozent, die da noch übrig bleiben, war die Nummer eins Österreich, gefolgt von der Schweiz. Danach kamen andere Ausländer und ganz zum Schluss Deutschland.

Woran lag das?

Es gibt viele Deutsche, die hier schon dreißig oder vierzig Jahre leben. Die lesen vielleicht dann von Haus aus mehr französische Literatur. Dann gibt es sicherlich eine Gruppe, die im Internet bestellt, weil es für sie bequem ist. Und dann gibt es eine Gruppe von "expatriés", die viel reisen. Und die kaufen dann deutsche Literatur, wenn sie in Deutschland sind.

So etwas vergisst man nicht

Wünschen sich Franzosen zum Beispiel mehr Beratung als Deutsche? Gibt es einen Unterschied zwischen der Kundschaft in den beiden Ländern?

Meine französischen Kunden konnten zum Teil zwar sehr schwierige Sachen auf Deutsch lesen, aber nicht so gut Deutsch sprechen. Ich musste also die deutsche Literatur, die vor mir lag, meinen französischen Kunden auf Französisch empfehlen. Das ist schon eine Herausforderung, wenn man nicht Muttersprachler ist. Aber es hat mir viel Spaß gemacht.

Gibt es einen Moment aus den vergangenen fünf Jahren, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Nach den Attentaten wurde aus Sicherheitsgründen der Ausnahmezustand ausgerufen. An unserem ersten Ladenstandort wohnte schräg gegenüber ein hochrangiger Politiker. Er musste Tag und Nacht bewacht werden. Wenn man in den Laden ging, dann begrüßte man die Polizisten. Es waren welche dabei, die schnell realisiert haben, dass da gegenüber eine deutsche Buchhandlung war. Und dann haben entweder sie selber oder ihre Frauen bei mir etwas gekauft. Und das wäre ohne diese Situation nie passiert. Als ich dann mal eine schwere Lieferung bekommen habe, haben sie mir geholfen, die Kartons zu schleppen. So etwas vergisst man nicht.

Nun schließen Sie Ihren Laden. Wieso?

Ich muss nicht aus finanziellen Gründen schließen. Ich könnte auch so weiterarbeiten wie über die letzten fünf Jahre. Aber ich kann mir niemanden einstellen, damit ich vielleicht die Öffnungszeiten erweitern könnte. Pro Jahr habe ich ungefähr 1,5 Tonnen Bücher ausgepackt - es ist also auch körperlich ein ungemein anstrengender Beruf. Und das ist so ein Punkt, bei dem ich sagen muss: Das will ich einfach nicht mehr. Warum nun der Umsatz nicht so hoch ist, das liegt an verschiedenen Gründen. Der Hauptgrund sind die Strukturen in Frankreich und vor allem hier in Paris. Es gibt kaum mehr Schüler, die Deutsch lernen. Diese zweisprachigen Klassen, die es früher mal gab, wurden nach einer Reform abgeschafft.

Wurde diese Klassen einfach gestrichen?

Die Schüler machen eh Englisch und wählen dann eine andere Sprache noch dazu, zum Beispiel Spanisch. Weil es immer weniger Schüler gibt, die Deutsch lernen, gibt es auch immer weniger Germanistik-Studenten in Frankreich. Damit sinkt auch die Zahl der Lehrer. Und unter den Lehrern gibt es diejenigen, die Deutsch als Elitensprache verkaufen. Und das ist negativ. Welcher junge Mensch möchte etwas lernen, das zur Elite gehört? Gegen diese Meinung habe ich mich oft gewehrt.

Sie sprachen bei den Gründen auch von den speziellen Umständen in Paris …

Da kann man die Gelbwesten-Bewegung anführen, die Streiks und Demonstrationen. Man kann sagen, dass es über die vergangenen zwei Jahre kaum mehr einen Samstag gab, der normal lief. Und deswegen kamen die Kunden aus dem Umland nicht mehr herein. Die Hauptkunden kommen nicht unbedingt aus der Stadt, sondern aus dem Umland. In Paris selbst wohnen zwei Millionen Menschen, aber täglich kommen 12 Millionen in die Stadt, zum Beispiel wegen der Arbeit. Wenn die aber nicht kommen können, weil etwa die öffentlichen Verkehrsmittel nicht funktionieren oder die halbe Stadt blockiert ist, dann macht keiner Umsatz.

Und die Zukunft?

Iris Mönch-Hahn - die gebürtige Straubingerin hat fünf Jahre lang eine deutsche Buchhandlung in Paris geführt.

Iris Mönch-Hahn - die gebürtige Straubingerin hat fünf Jahre lang eine deutsche Buchhandlung in Paris geführt.

Eine Situation, die man in diesem Umfang in Deutschland kaum kennt …

Seit 5. Dezember wird hier gestreikt. Wir sitzen fünfzig Meter neben einer Metro-Station. Ab dem 5. Dezember war die Station drei Wochen geschlossen. Auch die Busse fuhren zum Teil nicht. Da kommt einfach kein Mensch. Das Weihnachtsgeschäft hat praktisch gar nicht stattgefunden - ich habe einen Verlust von 60 Prozent gegenüber 2018. Und der damalige Umsatz war auch schon nicht so toll, weil es da mit der Gelbwesten-Bewegung anging.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? Wie wäre es mit einer Buchhandlung in der Karibik?

Nein. (lacht) Meine Pläne sind ziemlich klar. Ich steige aus dem Buchhandel aus und verlasse Paris nach 15 Jahren. Ich gehe nach Deutschland zurück. Ich habe das Gefühl, dass ich mit der Buchhandlung meine Karriere abgeschlossen habe. Jetzt mache ich erst einmal eine Pause und dann überlege ich mir etwas Neues.

Dürfen wir dann hoffen, dass Sie wieder nach Niederbayern oder in die Oberpfalz kommen?

Ich werde mit meinem Mann nach Frankfurt gehen, weil er dort nun beruflich tätig ist. Aber irgendwann - vielleicht wenn ich kurz vor der Pension stehe - möchte ich schon wieder nach Bayern. Von Paris aus war ich auch wenigstens einmal pro Jahr in Bayern - in Niederbayern und der Oberpfalz, also da, wo für mich auch Heimat ist, wo Freunde und Familie sind. Durch Frankfurt bin ich nun aber näher an Bayern dran.

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In unserer Interviewserie "Über den Rand" sprechen die idowa-Redakteurinnen und Redakteure mit Menschen, die Einblicke in nicht alltägliche Bereiche geben können - weil sie zum Beispiel einen besonderen Beruf haben oder ein ungewöhnliches Hobby. Oder weil sie einfach ein Leben führen, das spannend ist.