Kultur

Kunstvolles Zusammenleben

Die Villa Stuck präsentiert in den historischen Räumen Werke von Alice Rekab unter dem Titel "Mehrfamilienhaus"


Integriert in die historischen Räume der Villa Stuck: Skulpturen von Alice Rekab. Als Buchstützen dienen hier sogenannte Nomoli-Figuren.

Integriert in die historischen Räume der Villa Stuck: Skulpturen von Alice Rekab. Als Buchstützen dienen hier sogenannte Nomoli-Figuren.

Von Joachim Goetz

Das neue Personalpronomen "sie*er" schlagen die Kuratoren für die non-binäre Künstlerpersönlichkeit von Alice Rekab vor. Die 1987 in Dublin geborene Tochter einer irischen Mutter und eines Vaters aus Sierra Leone lässt in den edlen Räumlichkeiten kleine Alligatoren auf Fensterbrettern tummeln, züngelnde Schlangen in vielen Ecken und auf dem teils mit Spiegeln abgedeckten Boden kriechen. Auch Mischformen aus Tier und Mensch, Mann und/oder Frau, mit Fell und Haaren oder ohne sind zu sehen.


Gefährlich ist das aber nicht, eher niedlich. Denn Alice Rekabs Figürchen sind Miniaturen aus Ton. Sie entspringen ihrem Gefühl und werden dann der Überprüfung durch den Verstand unterzogen - wie überhaupt alle ihre Kreationen. Rekab geht es freilich nicht um Objekte, sondern um kulturelle und persönliche Erzählungen, um Herkunft. Ihre medienübergreifenden Werke - sie macht neben Skulpturen auch Collagen, Filme, Installationen, Fotografien und Texte - handeln häufig von den Erfahrungen als Kind eines Künstler-Paares und einer inter-ethnischen Ehe.

Wichtig ist der Titel der Schau: "Mehrfamilienhaus". Als dieses begreift sie nämlich die Villa des Malerfürsten und ordnet in allen Räumen Objekte an. So als ob die ganze, getrennt lebende Familie von Alice Rekab nun vereint in diesem Haus lebt. Das zusammengesetzte deutsche Substantiv "Mehrfamilienhaus", das in andere Sprachen nur schwer zu übersetzen ist, hat übrigens ihr Vater mit in die Familie gebracht. Der verbrachte zehn Jahre in Deutschland.

Im Erdgeschoss der Münchner Villa ist nun aber seine in ländlichem Gebiet in Sierra Leone lebende Mutter Isatu Kollakoh, Rekabs Großmutter zuhause - in künstlerischer Hinsicht. Ein Foto der Schwarz-Afrikanerin steht auf einem Kaminsims, eine Baumwollspule und ein aufgeschlagenes Buch liegen auf dem Boden. Zu sehen ist auch eine Diamantenmine. Dazu kommt das in ein buntes Tuch gehüllte Gebetsbuch der Großmutter. Im Bücherregal gegenüber finden sich neben Wörterbuch philosophische, psychologische und andere Werke. Etwa die bekannte Studie über Westafrikanische Literatur von Adrian Roscoe ("Mother is Gold") oder "Psychiatrie und Okkultismus" von C. G. Jung. Als Buchstützen dienen sogenannte Nomoli-Figuren. Vergraben im Erdreich besitzen diese mythischen Objekte aus Sierra Leone angeblich die Fähigkeit, den Boden fruchtbar zu machen. Zuhause aufbewahrt, also hier, dienen sie dann als Bindeglied zu Ahnen und Göttern.

Die Materialien ihrer Kunst wählt Rekab instinktiv und ökonomisch. Das heißt, sie nimmt nicht selten das was sich anbietet. Das dürfen alte Bretter aus der Werkstatt der Villa Stuck sein, die sie als Malgrund verwendet. Oder ein Bett aus dem Haus am Billerberg bei Inning. Dort und in der Feldafinger Villa Waldberta, wo sie sich intensiv mit dem Werkstoff Ton beschäftigte, hielt sich Rekab kürzlich als "Artist in Residence" auf.

Ein besonderes Verhältnis entwickelte Rekab zu Schlangen, weil diese vielseitig interpretiert werden: Sie verführen, verursachen Leid, werden als heilend verehrt und angebetet, sind Kaltblüter, denen Misstrauen entgegengebracht wird. Die Häutung von Schlangen dient Rekab hingegen als Bild für die individuelle Weiterentwicklung.

Die assoziationsreiche Schau bringt uns aber nicht nur Rekabs persönliche Geschichte nahe. In ihrem "Mehrfamilienhaus" mixt und verknüpft sie absichtsvoll und friedlich Kulturen, Materialien, Lebensformen. Und präsentiert uns damit auch eine Metapher ihrer visionären Sicht der Welt, die sie sich ganz ähnlich vorstellt: wie ein "Mehrfamilienhaus".

Villa Stuck, bis 14. Mai, täglich außer Montag, 11 - 18 Uhr. Abendöffnung "Friday late", erster Freitag im Monat, 18 - 22 Uhr (Eintritt frei). Der Katalog erscheint Ende März.