Kultur
"Luisa Miller" im Gärtnerplatztheater
7. Mai 2023, 16:08 Uhr
Darf man ein Tableau von kreisförmig arrangierten Leichen schön finden? Zumal die weiblichen und männlichen Toten des offenkundigen Schlachtfelds mittels eines ebenfalls runden Spiegels von der Bühnendecke des Gärtnerplatztheaters herab reflektiert werden: als eine Art astronomischer Himmelsscheibe, gebildet aus Gefallenen?
Ja, im Kontext einer Oper ist dieses Bild von tragischer Schönheit (Bühne: Herbert Schäfer). In seiner Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "Luisa Miller" erklärt Torsten Fischer in einem stummen Spiel während der Ouvertüre auch, wie es zu den Verlusten kam. Wie bereits die Dramenvorlage "Kabale und Liebe" von Friedrich Schiller informiert, hat Graf von Walter seinen Vorgänger hinweggeräumt. Zwei Kinder, wahrscheinlich die späteren Liebenden, müssen den heimtückischen Mord mit ansehen.
Viele Jahre später legen Soldatinnen und Soldaten, die zu einem prachtvollen Chor mutiert sind (Einstudierung: Pietro Numico), ihre Waffen mit Blumen nieder. Doch auch nach dem Krieg, so suggeriert es der sich auf der Bühne unablässig drehende Kreis, wirkt die Vorgeschichte nach. Luisa und Rodolfo sind untrennbar in diese verstrickt, ihre Liebe, so macht Fischer deutlich, wird niemals eine Chance haben. Jennifer O'Loughlin, die in der Premiere die Luisa Miller singt, hat den jugendlich charmanten Sopran für Friedenszeiten, wie geschaffen für flötenartig hingetupfte Koloraturen. Doch wenn sie von den Intrigen niedergedrückt wird, ist ihre gleichsam erzwungene Tiefe anrührend verletzlich. Jenish Ysmanov als Rodolfo singt mit seinem strahlenden, explosiv durchschlagenden Tenor ausdauernd gegen die schlimmen Verhältnisse an, verausgabt sich derart, dass man ihm zur Schonung seiner Kräfte raten muss - und scheitert doch, aber grandios.
Unerbittlich zieht das Orchester das fiese Netz zu
So glücklich die Besetzung der unglücklich Liebenden, so maßgeschneidert verkörpert das gesamte Ensemble die personale Dynamik des Stückes und seiner kongenialen Inszenierung gleichermaßen. Anna Agathonos ist eine Herzogin Federica, deren Mezzosopran so beeindruckt wie ihr glitzerndes Abendkleid blendet (Kostüme: Vasilis Triantafillopoulos). Die Aufgabe, gleich drei tiefe Männerstimmen zu finden, die sich gegenseitig nicht neutralisieren, ist hier mit Bravour gelöst: Matija Meić verströmt als guter Vater Miller geradezu körperlich spürbare Wärme, Inho Jeong hingegen düstert den bösen Vater Walter tragisch ein. Von den beiden hebt sich Timos Sirlantzis als Wurm mit verführerisch kaltschwarz glänzendem Bassbariton ab.
Mit dunkel umschminkten Augen, Lederkluft und Totenkopfschnalle am Gürtel spinnt diese mephistophelische Figur das verbrecherische Netz weiter, dessen erste Fäden noch in der Kindheit der Liebenden geknüpft wurden. Auf bezwingende Weise hörbar gemacht wird das unerbittliche Zuziehen dieses Netzes durch das Gärtnerplatzorchester.
Der scheidende Chefdirigent Anthony Bramall führt straff, drängt die Schlussstrettas erregend voran, entlässt niemanden aus der stetig ansteigenden Spannung: idiomatisch reinster Verdi. Das Orchester ist großartig disponiert, von den rhythmisch begleitenden Streichern bis hin zum zündenden Schlagzeug, ganz zu schweigen von der fantastischen Soloklarinette, die eine heimliche Hauptrolle spielt. Immer wieder erstaunlich, wie schön es doch ist, wenn Menschen in der Oper in ihr tragisches Schicksal getrieben werden: in dieser Produktion sogar besonders schön.
Wieder am 9. und 12. Mai (19.30 Uhr) und 3., 6., 10., 20. und 22. Juli (19.30 Uhr), Karten unter % 089-2185 1960 sowie auf www.staatstheater-tickets.bayern.de