Kultur

Mach's noch mal, Sammy!

Steven Spielberg erzähltin "Die Fablemans" von seiner Kindheit


Die Geschwister mit Mutter Mitzi (Michelle Williams) und Sohn Sammy (Gabriel LaBelle), der das jugendliche Alter Ego von Steven Spielberg in seinem autobiografischen Biopic ist.

Die Geschwister mit Mutter Mitzi (Michelle Williams) und Sohn Sammy (Gabriel LaBelle), der das jugendliche Alter Ego von Steven Spielberg in seinem autobiografischen Biopic ist.

Von Adrian Prechtel

Es ist das wunderbare Werk eines Altmeisters. Denn diese Familiengeschichte ist klassisch erzählt. Und sie ist höchst sehenswert, obwohl man das Ende kennt.

Denn während man dem Erwachsenwerden eines Jungen in den 60er Jahren zuschaut, weiß man, dass dieser Sammy eigentlich Steven Spielberg ist. Schon der verfremdende Familienname Fableman ist elegant gewählt, weil darin das Fiktive, das Fabulieren steckt, womit sich Spielberg leicht augenzwinkernd von der Anforderung frei macht, alles historisch exakt zu erzählen: beginnend mit dem ersten Kinoerlebnis des Sechsjährigen in Cecil B. DeMilles Zirkus-Monumentalfilm "Die größte Schau der Welt" bis zum Einstieg ins Filmbusiness mit 18 Jahren.

Da tritt der junge Sammy aus dem Büro des alten John Ford (gespielt von David Lynch) und in die Studiohallenlandschaft Hollywoods. So verliert der Film über zweieinhalb Stunden nie den roten Faden, das Thema: Es geht darum, dass er einmal Filmemacher wird - wenn auch nicht als junger Wilder.

Dass Steven Spielberg dabei nicht eine Minute langweilt, liegt nicht nur am schönen Erzählfluss, sondern auch am meisterhaften Einsatz aller filmischen Mittel. Film bleibt für Spielberg eben auch Kunstwerk im doppelten Sinne von Kunst und Künstlichkeit. Jede Szene ist perfekt ausgeleuchtet und leuchtet dadurch realistisch und überrealistisch nostalgisch zugleich.

Und Kameramann Janusz Kaminski, den Spielberg seit "Schindlers Liste" über alle Abenteuerfilme bis zur "West Side Story" immer wieder einsetzte, schafft die ideale Balance aus Teilnahme und Distanz, auch indem er oft den Zuschauer selbst durch einen Sucher schauen lässt. Immerhin geht es ja um die Kindheit eines späteren Regiemeisters, der schon als kleiner Junge mit der Kamera und mit den Möglichkeiten des Films experimentiert.

Es wird ein jugendlicher Super-8-Film sein, der plötzlich entdeckte Hintergrunddetails enthält, die Sammy aus der heilen Kinder- und Familienwelt fallen lassen: die Affäre seiner Mutter (Michelle Williams) mit dem besten Freund (Seth Rogen) des Vaters (Paul Dano), von der die Erwachsenen unausgesprochen wissen, die aber vor den Kindern verheimlicht wird.

Man fühlt sich bei den "Fablemans" auch deshalb als Zuschauer so angenehm aufgehoben, weil Spielberg nicht - für größere Spannung oder Spannungen - die Geschichte künstlich radikalisiert. Die dysfunktionale Ehe der Eltern verursacht eben keine Familienhölle, vielmehr bleiben sich die Eltern trotz allem gewogen und erzeugen so auch bleibende Geborgenheit für Sammy und seine jüngeren Geschwister. So ist der Film auch eine Hommage an Vater und Mutter, die das Aufwachsen ihrer Kinder sympathisch liberal und unterstützend begleiten.

In den Eltern liegt dann auch ein psychologischer und vielleicht auch genetischer Schlüssel für den Erfolg Spielbergs: Die Mutter ist Konzertpianistin, die für die Familie freiwillig, aber schmerzhaft die Karriere geopfert hat. Sie bestärkt jetzt ihren Sohn in seinem Wunsch Künstler, also Filmemacher zu werden. Und der Vater ist zwar wunderbar sanft, aber gleichzeitig einer, der als ingeniöser Computerpionier das Technische vertritt.

Mit alledem ist "Die Fabelmans" ein gelungener Familienfilm, der - ohne Problematiken zu leugnen - auch zur Diskussion über Familienstrukturen, Abnabelung und Erziehung anregt und sich für die liebende Begleitung von Talenten bei Kindern starkmacht.

Allenfalls könnte man sich fragen, ob der Film nicht inhaltlich zu glatt ist, weil er Politik und gesellschaftliche Umbrüche der 60er Jahre (mit den Attentaten auf die Kennedys oder Martin Luther King) ausblendet. Nicht ausgeblendet aber ist der Antisemitismus, den Sam als Schüler in Form von brutalem Mobbing an der Highschool erlebt, und das Trauma des Schmächtigen in einer sportfixierten kalifornischen Körperkult-Gesellschaft. Filmen ist für Sammy/Spielberg auch eine Form des Verarbeitens von schwierigen Erlebnissen, also Therapieersatz.

Als Gegengewicht zu manchem Ernst erzählt Spielberg dann auch gleich wieder vom ersten Sex mit einer Schulkameradin, die sich als Evangelikale in einen Juden verliebt - um ihn dann auf dem Highschool-Ball sitzenzulassen.

Und nicht nur da entwickelt Spielberg etwas für ihn Seltenes: Tragikomik - ein Gefühl, das mit nostalgischer Leichtigkeit und manchmal auch Witz über dem ganzen Film liegt.

Kino: Astor im Bayerischen Hof, Cadillac & Veranda, Gloria, Mathäser, Royal sowie City-Atelier, Monopol (beide OmU), Cinema, Museum-Lichtspiele (beide OV), R: Steven Spielberg (USA, 149 Min.)