Richard Strauss Festival
Piotr Anderszewski spielt Beethoven auf der Zugspitze
24. Juni 2019, 17:43 Uhr aktualisiert am 24. Juni 2019, 17:43 Uhr
Piotr Anderszewski beim Strauss-Festival in Garmisch mit Musik von Bach, Schumann und Beethoven auf der Zugspitze
Natürlich drängen sich ein paar Fragen auf: Muss auf der Zugspitze unbedingt Beethoven gespielt werden? Kann der Gipfel nicht ohne Event für sich selbst stehen? Und die Musik auch? Und braucht es davor ein Dinner in Deutschlands höchstem Restaurant samt vorherigem Adlerflug auf der Terrasse?
Der hier Schreibende war skeptisch, als das Garmischer Richard-Strauss-Festival einen Auftritt des Pianisten Piotr Anderszewski auf 2962 Metern über Normalnull ankündigte. Er blieb es. Bis kurz vor Schluss.
Bei der Auffahrt vom Eibsee war der Gipfel noch in Wolken. Die blies der Wind bald weg. Dann folgte ein Sonnenuntergang mit rot glühendem Wetterstein und Bergfeuern auf Wank, Kramer, Alpspitze und den Waxensteinen. Kann da Musik noch etwas ausrichten, und und sei es ein absolutes Gipfelwerk wie Beethovens vorletzte Sonate?
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Sie kann. In dem kleinen Saal mit Ausblick auf den Gipfelfelsen entstand eine intime Atmosphäre - wie bei einem Hauskonzert. Der Steinway passte exakt zur Größe des Raums. Und der 50-jährige Pianist verfügt über eine sehr feine Kultur der Differenzierung und des zarten Anschlags, die umso mehr fesselt, je näher der Hörer am Klavier sitzt.
Das etwa einstündige Programm folgte einer klugen Dramaturgie: Anderszewski lud erst Präludien und Fugen aus dem zweiten Band von Bachs "Wohltemperiertem Klavier" vorsichtig mit Gefühlen auf. Dann Extreme der Emotion und Lautstärke der "Sieben Klavierstücke in Fughettenform" von Robert Schumann. Beethovens op. 110 sorgte für die Synthese mit dem derben, der Volksmusik abgelauschten Scherzo, empfindsamer Liebes- und Schmerzensmusik in den langsamen Sätzen und einer Rückkehr zur Diesseitigkeit mit triumphalem Choral und Fuge.
Landschaft und Musik
Anderszewski hauchte die zarten Übergänge zwischen den Sätzen mit gelassener Ruhe, sang das "Arioso dolente" gleichsam auf dem Klavier, wagte aber auch im Umfeld der Fuge spitz gehämmerte, klanglich extreme Passagen und satte Bässe. Durch die Nähe zum Instrument entstand eine Intensität, die sich in größeren Sälen nie einstellen kann.
Die Musik befand sich mühelos auf gleicher Höhe mit der Landschaft vor dem Panoramafenster. Und auch das Umfeld stimmte. Auf der Gipfelterrasse flog ein Seeadler namens Fletcher, um auf das Projekt "Eagle Wings" der Fotografin Noemi Baumgartl aufmerksam zu machen. Und weil so ein Riesenvogel auf 30 Meter Abstand herb zu riechen ist, entstand ganz zwanglos ein Widerspruch zwischen Natur und dem hemmungslosen Natur-, Landschafts- und Betonverbrauch auf dem Zugspitzgipfel.
Das Soziale gehört dazu
Beim Abendessen trafen sich die unterschiedlichsten Leute am gleichen Tisch im Gespräch. Das Soziale gehört bei einem Festival dazu. Ganz billig ist so etwas nicht zu haben: für 189 bis 249 Euro inklusive Menü und Wein. Allerdings kostet die pure Seilbahn samt Parkplatz schon zwei Drittel eines Hunderters. Weil weder Pianisten noch Adler für Gotteslohn auftreten, dürfte die Veranstaltung für rund 200 Besucher inklusive lokaler Honoratioren auf rote Zahlen hinauslaufen.
Aber ein unvergesslicher Abend am Berg ist das allemal wert. Denn den erleben sonst nur Bergsteiger, die sich trauen, auf Hütten zu übernachten. Kunst statt Hüttengaudi - das hat was. Und so war das alles viel mehr wie ein kalt kalkuliertes Event.
Das Festival dauert noch bis 29. Juni. Am Donnerstag, den 27. Juni, spielen Alexej Gerassimez (Schlagwerk) und Hiyoli Togawa (Bratsche) am Wank. Restkarten zu 99 und 119 Euro bei münchenticket. Ein Konzert auf der Zugspitze wird es im nächsten Jahr wieder geben, www.richard-strauss-festival.de