Kultur

Schwebende Identitäten

Yasmina Rezas "James Brown trug Lockenwickler" im Residenztheater


Philippe (Johannes Nussbaum, links) hält sich für eine Person of Color, Jacob (Vincent zur Linden) glaubt, er sei Céline Dion.

Philippe (Johannes Nussbaum, links) hält sich für eine Person of Color, Jacob (Vincent zur Linden) glaubt, er sei Céline Dion.

Von Michael Stadler

Das Klavier auf der Bühne scheint ein Eigenleben zu führen. Immer wieder spielt es wie von selbst, die Stimmung ist bevorzugt Moll, als ob das Klavier das Geschehen um sich herum beobachtet und mit zarter Melancholie kommentieren will.

Das selbstspielende Piano ist eine von vielen schönen Ideen, die Philipp Stölzl und seinem Team für die Uraufführung des neuen Stücks von Yasmina Reza eingefallen sind. Man kann ja auch einen Menschen als Instrument verstehen, als Klaviatur, auf der andere versuchen, ihre Töne zu klimpern. Aber wer möchte schon fremdbestimmt sein? Stattdessen will man möglichst bald herausfinden, welche Melodie die eigene ist, um diese hoffentlich in aller Freiheit spielen zu können.

In Yasmina Rezas Stück geht es um zwei junge Männer, die bereits eine starke Ahnung davon haben, was für eine Musik in ihnen steckt, nur müssen sie diese nach außen hin noch verteidigen. Der eine, Jacob, hat schon als Kleinkind eine Faszination für die Sängerin Céline Dion entwickelt, was zur Imitation und schließlich kompletten Identifikation geführt hat. Jacob glaubt, er sei Céline Dion. Der andere, Philippe, denkt, er sei eine Person of Color, steckt aber sichtbar in einem anderen Körper.

Die Schriftstellerin Yasmina Reza.

Die Schriftstellerin Yasmina Reza.

Beide, Jacob und Philippe, lernen sich in einer psychiatrischen Anstalt kennen, weil die Eltern von Jacob die selbst gewählte Identität ihres Sohnes nicht akzeptieren wollen. Und Philippes Eltern kommen gar nicht in dem luftigen Stück von Yasmina Reza vor. Wer sich an diesem Abend eine stringente, dramaturgisch durchdachte, eskalierende Gesellschaftssatire im Stile von "Der Gott des Gemetzels" erhofft, darf sich enttäuscht sehen.

Vielleicht klingt ja auch deshalb der Applaus am Ende des Abends, den auch die angereiste französische Starautorin auf der Bühne lächelnd entgegennimmt, warm und freundlich, aber nicht furios begeistert.

Statt gewitzte, sich hitzig steigernde Wortgefechte bietet "James Brown trug Lockenwickler" vereinzelt wirkende Szenen, in denen die fünf Figuren sich freimütig, manchmal gereizt, oft erheiternd über ihre Eigenheiten austauschen oder Geschichten erzählen, die metaphorisch aufgeladen um die zentralen Themen des Abends kreisen. Wie ein Teil der Gesellschaft weiterhin Identitäten aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds festzuzurren versucht, während man sich womöglich ganz anders fühlt und zum Beispiel Céline Dion sein will, ist einer der roten Fäden, die man aus Rezas Stück herausfieseln kann.

Dass diese gesellschaftliche Oberflächlichkeit oftmals Schmerzen auslöst, verdeutlicht Jacobs Psychologin einmal, indem sie einen Seitenblick auf das Grimmsche Märchen vom Aschenputtel wirft. Die zwei unscheinbaren Schwestern der Titelheldin verstümmeln sich da die Füße, weil sie in den berühmten Glasschuh hineinpassen wollen. Lisa Wagner, die als Psychologin ihr herrlich angeschrägtes Comeback am Residenztheater feiert, macht aus diesem Vortrag eine launige Erzählnummer.

Dem bruchstückhaften Charakter des Stücks hat sich Philipp Stölzl klugerweise hingegeben, auch, was sein Bühnenbild anbelangt. In einiger Höhe schaut der Kopf einer Forelle aus einem Vorhang heraus und blickt auf den eigenen Forellenschwanz, der in einen zweiten Vorhang hineinragt. Allein schon der Fisch, der in verrückter Selbstbeschau seinen eigenen Hinterleib ewig starr vor Augen hat, gibt dem Abend einen surrealistischen Touch. "Kein Realismus" lautet die wiederholte Anweisung zu Beginn von Rezas Stück.

Die Drehbühne lässt die Figuren in Szenen hineingleiten und transportiert sie wieder ab. Eine Mechanik ist da im Gange, der man sich wohl am einfachsten unterwirft. Ähnlich ist das ja auch mit der Dynamik zwischen Eltern und ihren Kindern: Irgendwann muss man nun mal einsehen, dass der Nachwuchs seinen eigenen Kopf hat, und kann dann auch nicht verhindern, dass er eines Tages das elterliche Nest verlässt. Beziehungsweise, auf Tournee geht. Michael Goldberg und Juliane Köhler geben der immer wieder einbrechenden Trauer, dem Trennungsschmerz der Eltern verzweifelt komisch Gestalt.

Mit welchen Anfeindungen Jacob und Philippe in der Realität mit ihren Eigenarten rechnen könnten, welcher Schmerz in ihnen rumort und noch auf sie wartet - damit möchte sich Reza offenbar nicht auseinandersetzen. Zu echten Antagonisten taugen Jacobs Eltern nicht, die Konflikte des Stücks wirken verwaschen, nicht zu Ende gedacht und werden teilweise verlagert. So bekommt Philippe ob seines behaupteten Schwarzseins beachtlich wenig Gegenwind, trifft jedoch auf ein wenig Widerstand, als er einen Feigensycorus in den Institutsgarten pflanzt. Dass Philippe sich an diesen aufblühenden Immigranten kettet, erscheint als unnötige Maßnahme - auch diesen Konflikt spitzt Reza nicht zu.

Musikalisch gesprochen könnte man ihr neues Stück als Geklimper einer anerkannten Virtuosin empfinden. Oder als gekonnt lockere Improvisation auf dem Hintergrund heutiger Identitätspolitik. Über weite Strecken hat der Abend eine wunderbare Leichtigkeit. Vincent zur Linden gibt Jacob/Céline mit halstuchwehender Grandezza; zärtlich ist er, auch gegenüber seinen Eltern. Johannes Nussbaum tupft seinen Philippe elegant, in jeder Nuance sicher hin. Die Szenen mit den beiden haben den Charme eines sanften Flirts. Philippes Abschied von Jacob ist jedoch abrupt und schnell, so, wie das gesamte Stück vor einer möglichen Tragik davonrennt. Der Abend schwebt lieber, mit Céline Dion davon.

Nächste Aufführungen: Donnerstag, 30. März und Samstag, 22. April, 19.30 Uhr; Montag, 10. April, 18.30 Uhr, Karten unter Telefon 2185 1940