Kultur
Philip Stölzl über "James Brown trug Lockenwickler
23. März 2023, 16:40 Uhr aktualisiert am 24. März 2023, 14:48 Uhr
Der Vorgang ist ungewöhnlich: Ein Stück der französischen Komödien-Altmeisterin Yasmina Reza wird in München uraufgeführt. Es steht nicht direkt in der Tradition der pointensatten Gesellschatssatiren, für die die Autorin berühmt ist. Regisseur der Inszenierung am Residenztheater ist Philipp Stölzl, der in seiner Karriere zwar schon viel und sehr Unterschiedliches für Schauspiel, Oper, Film und Fernsehen inszeniert hat, aber noch nie ein Stück von Yasmina Reza. Anlässlich der heutigen Premiere sprach die AZ mit dem 56-jährigen Münchner, der in Berlin lebt.
AZ: Herr Stölzl, dieses Stück ist nicht so brüllend komisch, wie man es von dieser Autorin und auch von einem Stück, das den schrägen Titel "James Brown trug Lockenwickler" trägt, erwartet hätte.
Philipp Stölzl: "Kunst" oder "Der Gott des Gemetzels" sind ganz klassisch gebaute Komödien. Jetzt kommt es zu einem starken Tonfallwechsel. Das Stück hat viel Humor, aber es ist ein subtiler und leiser Humor. Die anderen Stücke sind bitterböse und beißend satirisch. Die Figuren entlarven sich in einem grellen Licht selbst. Hier hat man jetzt das Gefühl von Melancholie, denn es handelt auch von Abschied, von Eltern, die ihre Kinder verlieren, auch von zwei Jungs, die in einer psychiatrischen Anstalt leben. Das ist alles sehr empathisch und auch ein bisschen sentimental.
Ist Yasmina Reza etwa altersmilde?
Was mir daran gefällt, ist der warmherzige Blick auf die Figuren. Für die, die einen klassischen Reza erwarten, wird das eine Überraschung sein. Die Hit-Komödien sind ihrem Aufbau und ihrer Klimax ganz well made, während das hier eine offene Partitur ist. Das ist eine besondere Tonlage des Theaters.
Das Residenztheater hat erklärt, dass Sie Frau Rezas Wunschregisseur für die Uraufführung ihres neuen Werks ist. Wie haben Sie das gemacht?
Ihr deutscher Verleger Rainer Witzenbacher hatte "Das Vermächtnis" angeschaut und hat uns angesprochen, ob ich auch dieses Stück machen könnte. Da habe ich mich natürlich sehr geehrt gefühlt. "Das Vermächtnis" war auch eine deutschsprachige Erstaufführung und auch ein Versuch, nahe an das zu kommen, was der Text erzählen will. Ich vermute, das hat sich Yasmina Reza für eine Uraufführung gewünscht. Sie ist auch sehr filmaffin, hat "Der Gott des Gemetzels" zusammen mit Roman Polanski verfilmt, und so kann ich mir vorstellen, dass sie einen Regisseur mit dem entsprechenden Background interessant fand.
Sie sind zudem Bühnenbildner und auch in diesem Fall für die Raumgestaltung zuständig. Eine Regieanweisung beschreibt die Szene sehr knapp: "Eine Klinik und ihr Park (kein Realismus)". Was bedeutet das für den Bühnenbildner?
Das kann man wörtlich nehmen. Das Stück ist ein Gedankenspiel, das keinen konkreten Ort braucht. Wenn die Figuren sagen, wir sind in diesem Institut, genügt es schon. Wir müssen dazu keine Krankenhausgänge sehen oder den Park. Es ist ein wenig wie bei einer Shakespeare-Bühne. Wenn man Vieles der Imagination der Zuschauer überlässt, hat das eine Leichtigkeit, weil man den Ort mit Worten und Gedanken erschafft und nicht konkret hinzimmert. Diese leicht luftige Musikalität ist es, die Reza ausmacht.
Neben James Brown, der "Godfather des Soul", der im Titel genannt wird, hat auch die kanadische Popdiva Céline Dion eine gewisse Bedeutung. Arbeiten Sie auch mit Musik?
Es gibt zwei Songs, bei denen die Figuren singen. Und Reza ist eben in der Sprache so musikalisch. Als Opern- und Filmschaffender beschäftige ich mich zwangsläufig viel mit Musik, komme auch aus einer musikalischen Familie und deswegen ist Musik für mich immer natürlicher Teil eines Theaterabends. Diesem Stück ist immanent eingeschrieben, dass es Musik gibt. Reza hätte natürlich hinein schreiben können: Jetzt singt sie "My Heart Will Go On". Das macht sie aber nicht. Die Texte der Lieder, die sie singen, sind sehr kryptisch und lyrisch. Da ist ganz bewusst eine Abstraktionsebene eingebaut.
Die beiden jungen Männer, die sich angefreundet haben, sind Patienten: Philippe, ein Weißer, ist sicher, ein Schwarzer zu sein, Jacob erklärt, er sei Céline Dion. Wie geht man schauspielerisch an solche psychiatrischen Fälle heran?
In seinem Kern ist das Stück eine Utopie. Es erzählt, dass es nicht nur möglich ist, sondern auch legitim, sich eine andere Daseinsform zu suchen. Die Psychiaterin, die fünfte Figur, postuliert das auch. Da ist das Stück sehr poetisch und enigmatisch. Es hat mit Themen zu tun, die in der Gesellschaft gerade viel diskutiert werden. Darfst du als Frau leben, auch wenn du als männlich gelesene Person geboren wurdest? Was ist, wenn du dein Geschlecht wechseln willst? Was ist mit deiner ethnischen Identität? Wir suchen als Gesellschaft gerade eine neu Art des Umgangs miteinander. Da ist dieses Stück über zwei Männer, die für ihr Sein eine ganz andere Wesenheit gewählt haben und dabei auch unnachgiebig sind, das leben zu wollen, natürlich ein sehr starkes Bild. Damit setzt man sich nicht nur bei den Proben auseinander, sondern auch als Zuschauer. So ist es auch ein Gesellschaftsstück.
Residenztheater, Premiere am 24. März (ausverkauft), nächste Vorstellungen am 26., 18.30 Uhr, und 30. März, 19.30 Uhr, Telefon 21851940