Münchner Kammerspiele: "Drei Schwestern"
Susanne Kennedy macht aus Tschechow Bildende Kunst
28. April 2019, 16:21 Uhr aktualisiert am 28. April 2019, 16:38 Uhr
Kammerspiele: "Drei Schwestern" sind bei Susanne Kennedy frei nach Anton Tschechow im Zeit-Loop
Cut!" kommt es herrisch aus den Lautsprechern. Die Vorstellung ist zu Ende und damit bricht auch eine unendliche Geschichte ab. Susanne Kennedy sperrt drei Schwestern in eine Zeitschleife, aus der die Figuren und Zuschauer nur entkommen, wenn die Regisseurin es will. Kurz zuvor hat jemand einen Kreis gemalt, der den Satz "Die Zeit ist ein Kreis" bebildert. Er schließt an ein Zitat von Friedrich Nietzsche an, das wiederholt von Richard Janssens grandios komponiertem Soundtrack abgespielt wird.
Utopischer Traum und Alptraum der Unentrinnbarkeit
"Dieses Leben", heißt es da, "wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen." Anderseits meldet sich immer wieder einmal ein anonymer Anrufer, der eine Textstelle aus den "Drei Schwestern" umdreht und ankündigt, dass die Welt in "200 oder 300 Jahren unvorstellbar schön" sein werde. Diese Spannung zwischen utopischem Traum von einer viel besseren Zukunft und dem Alptraum von der Unentrinnbarkeit aus dem eigenen Leben ist der Punkt, an dem Susanne Kennedy ihre "Drei Schwestern" andocken lässt.
Aus bäuerliche Hauben blicken schwarze Löcher
Fairerweise nennt sie sich bei ihrer Produktion in den Kammerspielen als Autorin, die das Stück "nach Anton Tschechow" schrieb. Die Geschwister Olga, Mascha und Irina Prosorow, die in einem verschlafenen russischen Garnisonsstädtchen von der Metropole Moskau träumen, haben nicht einmal mehr ihre Namen. Und, wie es zum enigmatischen Bildertheater Kennedys gehört, auch keine Gesichter. Unter ihren bäuerlichen Hauben und über ihren bauschigen Reifröcken blicken schwarze Löcher in die Welt. Wenn sie sprechen, dann machen sie das nicht selbst, sondern mimen zu Stimmen anderer dazu.
Optische Loopings
Da wir uns im Loop befinden, erscheinen sie zwischendurch auch unter kahlschädeligen Masken und in Pulli mit Jeans oder als drei ältere nette Damen ganz ohne Maske. Zuweilen bleibt von ihnen nichts als grob verpixelte Avatare in einer Projektion. Die Ähnlichkeiten zu Tschechows Komödie sind zwar nicht zufällig, beschränken sich aber auf einen kurzen Moment im ersten Akt. Von der fein empfundenen Psychologie einer notorisch unglücklichen Tschechow-Heroin will Kennedy nichts wissen und das Schauspielerfest, das mit dem Stück traditionellerweise entfesselt wird, findet nicht statt.
Kriegenburg weitergedacht
Als sich 2006 Andreas Kriegenburg am gleichen Ort mit den Schwestern beschäftigte, kombinierte er noch Figurentheater mit Schauspielerei. Bei Kennedy sind die Darsteller selbst die Puppen. Der Theaterzettel verzeichnet neun Spielerinnen und Spieler sowie 19 Sprecherinnen und Sprecher. Die Vorstellungsdauer von schlanken 80 Minuten heißt nicht, dass für diese Tschechow-Fantasie der Turbolader eingeschaltet wäre. Viel mehr ist das Tempo gedrosselt, oft wabern lange dramatisch bewegte Barockwolken und schwellen bedrohliche Klänge zu kaum bewegten Bildern oder in tiefer, nur vom Grün der Notausgangsbeschilderung illuminierter Dunkelheit.Es ist weniger Drama, mehr Meditation, die sich vor leicht esoterischem Klimbim nicht scheut.
Visuell sensationell
Visuell ist dieser Abend freilich faszinierend bis sensationell. Die bewährten Mitstreiter - Lena Newton (Bühne), Teresa Vergho (Kostüme) und Rodrik Biersteker (Licht) - bewegen sich mit technologischer Virtuosität zwischen der zweiten und der dritten Dimension. Inmitten einer Projektionsfläche mit Abbildungen unterschiedlicher fantastischer Räume schwebt ein Guckkasten als verzaubertes Wolkentschechowheim. Mit den "Drei Schwestern" setzt Susanne Kennedy ihre Flucht aus dem Dramatischen hin zur Bildenden Kunst fort. Das Premierenpublikum der Kammerspiele fremdelte nicht im mindesten und feierte die tönende Rauminstallation lang anhaltend.
Münchner Kammerspiele, wieder am 4., 5., 14., 22. Mai, 20 Uhr, Tel.: 233 96600