Kultur

Vordenkertheater

Die Stadt reagiert auf den Publikumsschwund der Kammerspiele mit einem "Kammer-Rat"


Die Intendantin Barbara Mundel bekommt Gegenwind aus dem Stadtrat zu spüren.

Die Intendantin Barbara Mundel bekommt Gegenwind aus dem Stadtrat zu spüren.

Von Michael Stadler

Eigentlich können die Kammerspiele derzeit einige Erfolgsnachrichten vermelden: Mit der morbide-heiteren Erblastkomödie "A scheene Leich" von und mit Gerhard Polt und den Well-Brüdern steht auf dem Spielplan ein Stück, das bis in den März ausverkauft ist und sicherlich ein Dauerbrenner wird. Zudem wurde das Haus mit "Nora" zum Berliner Theatertreffen eingeladen, wo die zehn "bemerkenswertesten" Inszenierungen von 2022 aus dem deutschsprachigen Raum gezeigt werden.

Seit Juli 2022 steht bereits fest, dass die Stadt den Vertrag von Intendantin Barbara Mundel um fünf Jahre, bis 2028, verlängern wird. Ein Argument dafür war, dass Mundel und ihr Team aufgrund der Corona-Krise noch gar keine richtige Chance hatten, ihr Programm zu etablieren. Nun ist aber die Pandemie weitgehend vorbei, und der Blick des Stadtrats fällt etwas kritischer auf die Kammerspiele: Nur 56 Prozent Auslastung und ein Fehlbetrag von 1,2 Millionen Euro vermerkt der Jahresabschluss 2021/22 für das Theater, 2023 wird ein weiteres Minus von 915 000 Euro prognostiziert.

Kein Wunder also, dass der Kulturausschuss am letzten Donnerstag ein bisschen ausführlicher Auskunft von Barbara Mundel über den Status quo ihres Theaters haben wollte sowie über ihre Zukunftspläne: Wie wollen die Kammerspiele wieder mehr Publikum ins Haus locken? Die Stadt klagt zudem über Kommunikationsprobleme, was Julia Schönfeld-Knor von der SPD zu dem Vorschlag inspirierte, demnächst einen "Kammer-Rat" zu etablieren, in dem Vertreter der Kammerspiele, die Intendanz und Dramaturgie inklusive, und Vertreter der Stadt sich regelmäßig austauschen können.

Vorbild dafür ist der bereits existierende "Philharmonische Rat", der als Gesprächsforum zwischen den Münchnern Philharmonikern und der Stadt bislang offenbar recht gut funktioniert hat. Einerseits klingt das nach einem interessanten Dialogvorschlag, aber möchte die Stadt etwa durch den "Kammer-Rat" Einfluss auf die programmatische Ausrichtung der Kammerspiele nehmen? Denn gerade der progressive Kurs des Hauses, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf feministische, queere, integrative Projekte, gefällt nicht jedem traditionellen Theatergänger und sorgt wohl auch dafür, dass die Zuschauerränge oft nur zur Hälfte gefüllt sind, wenn nicht gerade Polt und die Well-Brüder spielen.

Chefdramaturgin Viola Hasselberg, die mit Barbara Mundel schon in Freiburg zusammenarbeitete, wo Mundel von 2006 bis 2017 das Theater Freiburg leitete, teilt solche Befürchtungen nicht. Im Gegenteil: "Ich empfand die Sitzung als sehr kollegial, alle waren den Kammerspielen sehr positiv zugewandt. Wir haben betont, dass wir unser Programm nach wie vor mit vollem Herzen vertreten, aber selbst natürlich auch die Defizite in der Vermittlung sehen und uns diesbezüglich viel vorgenommen haben. Den Vorschlag eines ,Kammer-Rats', der ja wirklich ein Vorschlag und keine Verordnung war, finden wir sehr gut, weil wir in Freiburg mit einem ähnlichen Gremium positive Erfahrungen gemacht haben."

Dass mit der Stadt in Zukunft ein regelmäßiger, tiefergehender Austausch stattfinden soll, findet Hasselberg, in Absprache mit Barbara Mundel, "begrüßenswert! Im ritualisierten Rahmen vereinzelter Sitzungen lassen sich komplexe Themen und Strategien schwer verhandeln, in einem gemeinsamen Gremium ist das viel besser möglich. Wir sehen auch keine Gefahr, bevormundet zu werden, sondern empfinden gegenseitiges Feedback als Zugewinn. Während der Pandemie haben wir uns bereits informell mit einzelnen Stadträten getroffen, was aber leider mit Ende der Pandemie nicht fortgeführt wurde. Insofern empfinden wir einen ,Kammer-Rat' als willkommene Fortsetzung der Gespräche."


Einen generellen Kurswechsel im Programm der Kammerspiele hält Viola Hasselberg nicht für notwendig: "Zum einen gibt es durchaus bereits Aufführungen, die einen ganz hohen Popularitätswert haben. Die Produktion mit Gerhard Polt war eine der ersten, die wir nach unserer Ankunft in München geplant haben! Inszenierungen, die spielerisch, musikalisch, leicht sind, haben wir schon gezeigt und sind weiterhin in Planung. Auch wenn wir uns stark an den Themen der Gegenwart orientieren, blicken wir immer wieder in die Vergangenheit, die ja stark mit der Gegenwart zusammenhängt. Diese Spielzeit haben wir mit einem Klassiker, Ibsens ,Nora', begonnen und werden wir auch mit einem Klassiker, Anton Tschechows ,Die Vaterlosen', beenden. Das wurde von uns schon sehr bewusst so gerahmt."

Weniger in den Inhalten sieht Hasselberg das Problem, sondern in der bisherigen Vermittlung des Programms: "Wir müssen noch herausfinden, wie wir die Leute dazu bringen, gewisse Hemmschwellen zu überwinden, damit sie sich die Stücke auch selbst angucken. Es gibt vielleicht das Missverständnis, dass die Kammerspiele ein bestimmtes Publikum nicht mehr ansprechen wollen, aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Kammerspiele haben den Anspruch, eine große programmatische Vielfalt zu bieten und dabei ein Vordenkertheater zu sein, ästhetisch wie inhaltlich. Das zu vermitteln, ist nicht leicht, da lernen wir gerade noch dazu. In der Sitzung am Donnerstag hat zum Beispiel eine Stadträtin gemeint, dass sie es ganz toll findet, dass wir in Neuperlach ein Theaterlabor eröffnet haben, nur weiß das dort niemand. Da mangelt es noch an der Kommunikation."

Einige Maßnahmen haben die Kammerspiele bereits ergriffen: Das verstärkte Angebot an Stückeinführungen und Publikumsgesprächen werde auch verstärkt genutzt, so Hasselberg. "Und wir wollen auch unser Ensemble noch besser sichtbar machen, weshalb wir demnächst eine Kampagne starten werden, bei der das Ensemble im Zentrum steht. Zudem haben wir unseren Förderverein neu aufgelegt. Und prüfen weiterhin, wie wir die analogen und digitalen Vermittlungskanäle noch besser nutzen können, um den Münchnerinnen und Münchnern unser Programm leicht verständlich zu vermitteln und schmackhaft zu machen." Nach Panik klingt das nicht, sondern weiterhin zuversichtlich. "Ich bin wirklich optimistisch", sagt Viola Hasselberg, "dass uns eine Trendwende gelingen wird."