Münchner Stadtmuseum
Warum Albrecht Widmann und Kenneth Barlow ihre Sammlung dem Stadtmuseum vermachen
19. September 2019, 17:15 Uhr aktualisiert am 19. September 2019, 17:15 Uhr
Albrecht Widmann und Kenneth Barlow haben ihre Sammlung mit Jugendstil-Kunst dem Stadtmuseum vermacht
Das "Who is Who" des Münchner Jugendstils trifft sich in dieser Sammlung. Das heißt, Künstler wie Bruno Paul, Bernhard Pankok, Friedrich Adler oder Richard Riemerschmid, die die Moderne schwungvoll mit angestoßen haben. Mittlerweile ist die über 600 Werke umfassende Kollektion von Kenneth Barlow und Albrecht Widmann im Stadtmuseum gelandet. Geschenkt. "Was denn sonst?", fragt Albrecht Widmann fast vorwurfsvoll. Die AZ hat ihn in adäquater Umgebung im Café Altschwabing getroffen.
AZ: Herr Widmann, Sie sind gerade dabei, mit Ihrem Partner Kenneth Barlow von England zurück nach Deutschland zu ziehen. Aus Heimweh oder Frust?
ALBRECHT WIDMANN: Aus totalem Frust! Wir wollten in unserem Haus in Bournemouth unseren Lebensabend verbringen. Dort waren wir auch glücklich, bis wir gemerkt haben, dass die politische und die gesellschaftliche Entwicklung im Land komplett schiefläuft. Dieser Brexit ist doch völlig absurd!
Kenneth Barlow ist Brite.
Und er kann es trotz seiner fast 83 Jahre kaum erwarten, aus England rauszukommen. Er leidet! Und ich genauso. Wir sind überzeugte Europäer! Das Land ist völlig gespalten, Freundschaften gehen auseinander, Familien sind zerstritten. Wir wohnen in einer Gegend mit vorwiegend älteren Leuten. Die meisten sind verknöcherte Brexit-Befürworter, die ans Empire glauben und meinen, Neuengland sei noch eine Kolonie. Dabei übersehen sie, dass das Great leider längst zum Little Britain geworden ist.
Zumindest München profitiert jetzt in Ihrem Fall vom Brexit. Warum geben Sie Ihre Sammlung gerade ans Stadtmuseum?
Dort passt sie einfach hin. Über die Jahre hat sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, wir haben auch einiges ans Museum verkauft, bei Ausstellungen geholfen. Nicht zuletzt hat so etwas aber auch mit persönlichen Kontakten zu tun. Antonia Voit, die für die angewandte Kunst zuständig ist, kam vor ein paar Jahren mit ihrem hinreißenden Hund zu uns in den Kunstbunker nach Geretsried, wo es vor allem Ausstellungen zeitgenössischer Kunst gab.
Sie haben sich in den Hund verguckt?
Oh ja, den hätten wir gerne unter unseren zwölf anderen Hunden gesehen, aber da ließ sie nicht mit sich reden. Doch alles andere hat gepasst, wie Sie an der Schenkung sehen.
Ihre hochkarätige Sammlung ist fast 4 Millionen Euro wert. Fällt es schwer, sich von solchen Schätzen zu trennen?
Leicht ist es uns sicher nicht gefallen, aber die Vernunft hat gesiegt. Bei aller Wehmut sind wir jetzt gottfroh, die Verantwortung abgeben zu können. Wir sind alt, wir haben die schönen Werke sehr lange bei uns gehabt und wollten diese Freude mit vielen anderen Menschen teilen. Und im Stadtmuseum werden sie gebraucht und geschätzt. Von unserer Verwandtschaft könnte ich das nicht behaupten, da würde sicher alles zu Geld gemacht werden.
Haben Sie Bedingungen gestellt?
Überhaupt nicht, warum denn? Das Schöne ist doch, dass alles beieinanderbleibt. Bedingungen zu stellen wie einen eigenen Saal oder Trakt, das ist doch Kokolores. Das bedient nur die eigene Eitelkeit, dem Museum ist damit aber nicht gedient.
Sie waren beide beim Ballett, wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Ich muss korrigieren, Kenneth Barlow war der Star. Er kam 1962 nach Deutschland, war in John Crankos Stuttgarter Ballett der Tybalt schlechthin. Dann ging es nach München, das war die Zeit von Winfried Krisch, Konstanze Vernon, Heinz Bosl. Wenn Tänzer klug sind, überlegen sie sich früh etwas anderes. Und bei Barlow war das 1969 die Kunstgeschichte.
Sie haben aber auch mehrere Karrieren.
Ich war ein engagierter Grundschullehrer, erst bei Augsburg, dann bei Ebersberg, und schließlich Sonderschullehrer. Aber das Theater hat mich unglaublich angezogen. Das war auch eine tolle Zeit. Ich durfte für George Balanchine arbeiten und habe auch Tourneen organisiert. Dann sollte ich mit in die USA, aber für mich bot das auf Dauer keine Perspektive. Kenneth und ich haben uns dann ganz auf die Galerie konzentriert - erst an der Occamstraße, dann im Kunstblock an der Ottostraße und schließlich an der Maximilianstraße. Wir hatten uns bald schon auf den deutschen und Münchner Jugendstil spezialisiert. Von dort aus ging's nach London.
Sie hatten sich an der Ecke zur noblen Bond Street niedergelassen.
Das war sensationell, und London war wirklich das Zentrum für den Kunsthandel. Zu uns kamen Museumsdirektoren aus der ganzen Welt.
Auch mondäne Kunden?
Oh ja, wobei das alles durch den Sultan von Brunei übertroffen wurde. Ein angenehmer, sehr gebildeter Mann. Ich dachte aber erst, das sei ein Verrückter. Ganze Vitrinen wollte er leerkaufen und ein Regal nach dem anderen. Eine Pfauenplastik aus der Porzellanmanufaktur Nymphenburg war auch dabei. Als er mit seiner Entourage wieder abgezogen war, stellte ich ein bisschen etwas ins leere Schaufenster. Das wollte er auch gleich noch haben. Barlow meinte dann am Telefon, komm heim, wir räumen das morgen wieder ein und vergessen den Schmarrn.
Und?
Abends schauten wir Nachrichten, und da war ich plötzlich im Fernsehen. Ein Filmteam hatte alles durchs Schaufenster aufgezeichnet. Der Sultan war wegen eines Treffens mit Margaret Thatcher nach London gekommen und ging danach auf Einkaufstour. Jedes ausgesuchte Stück hat er dann tatsächlich erworben. Er musste wieder einen neuen Palast füllen! Eine unserer schönsten Kundinnen war übrigens die Sängerin Dionne Warwick.
Die Muse des großen Burt Bacharach.
Tolle Stimme! Dionne interessierte sich sehr für den Jugendstil und hat auch gesammelt. Als wir mit dem Münchner Stadtmuseum an einer Ausstellung im Orange County Museum in Los Angeles beteiligt waren, kam sie sogar vorbei.
Und jetzt ziehen Sie nach Geretsried.
Wir haben dort schon viele Jahre ein Anwesen, das früher dem Bildhauer Alf Lechner gehörte.
Haben Sie noch genügend Stühle, wenn Besuch kommt?
Oh ja, so großzügig waren wir dann doch nicht. Wobei wir inzwischen wieder neue Stühle von Bruno Paul gekauft haben. Eine echte Leidenschaft wird man ja nicht los.