Politik-Experte Heinrich Oberreuter:

"Auch die Idioten gehören zur Demokratie"


Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter sieht in der CSU-Politik eine "Brandmauer" gegen Extremisten.

Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter sieht in der CSU-Politik eine "Brandmauer" gegen Extremisten.

Der Aufmarsch der Pegida in Dresden hat scharfe Kritik hervorgerufen. Professor Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler aus Passau und ehemaliger Direktor der Akademie für politische Bildung in Tutzing, gibt auch der Politik eine Mitschuld an der Radikalisierung.

Im Interview mit unserer Zeitung benannte er den Mangel an Kommunikation seitens der etablierten Partei als einen wesentlichen Grund für das Phänomen Pegida. Jene besorgten Bürgern, die dennoch weiterhin an den "Spaziergängen" der Islamgegner Teilnehmern wirft Oberreuter vor, sie seien "in ihrer Naivität als nützliche Idioten kaum mehr zu überbieten".

Herr Oberreuter, zum einjährigen Pegida-Jubiläum hat in Dresden der deutsch-türkische Autors Akif Pirinçci, mit Blick auf den Zustrom von Flüchtlingen bedauert, dass die Konzentrationslager "leider außer Betrieb" seien. Haben wir es bei Pegida noch mit besorgten Bürgern zu tun, die nur das christliche Abendland verteidigen wollen, oder wer geht da auf die Straße?

Oberreuter: Wir haben es hier noch immer mit zweierlei Gruppen zu tun. Nämlich mit durch nichts zu entschuldigende Extremisten, die Menschenrecht und Menschenwürde nicht respektieren und die unbedachte Nationalisten und Chauvinisten sind. Aber leider Gottes gibt es drum herum immer noch eine Peripherie von Leuten, die da mitlaufen, ohne sich Gedanken zu machen, wo sie mitlaufen und wem sie damit eine große gesteigerte öffentliche Resonanz bieten. Die Besorgten sind noch da, aber sie sind allmählich in ihrer Naivität als nützliche Idioten kaum mehr zu überbieten.

Wie soll man mit solchen Einstellungen politisch umgehen? Mangelt es konservativen, besorgten Wählern tatsächlich nur an politischer Heimat?

Oberreuter: Die Seele der Demokratie ist die Kommunikation. Die Tatsache, dass dieses Phänomen hat entstehen können, auch schon ohne diesen demokratiewidrigen Akzent, den es derzeit hat, ist ein Nachweis dafür, dass diese Kommunikation vernachlässigt worden ist. Im Grunde sind die Besorgten welche, die sich von der Politik nicht mehr vertreten gefühlt haben. Die Politik hat also über die Köpfe weg geredet und die Alltagsgefühle nicht erreicht. Die Politik hat sich die Dinge auch am Anfang zu leicht gemacht, weil sie die Besorgten nicht gesehen hat, sondern nur den radikalen Kern. Und dann kam da so die Idee auf: "Mit Idioten redet man nicht." SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Schwierigkeiten bekommen, weil er mal hingegangen ist, um zuzuhören. Ich habe das für sehr positiv gehalten. Dafür ist er gescholten worden. Im Klartext: Die Politik hat schon ihre kommunikativen Defizite. Auch die Idioten gehören zur Demokratie und auch die Idioten haben Anspruch auf ein gutes Argument. Wenn sie aber mit Galgen und Guillotine durch die Gegend spazieren, dann ist der Punkt erreicht, wo man sie ins Abseits stellen muss.

Letzten Umfragen zufolge nimmt die Union insgesamt in der Wählergunst tendenziell eher ab, die AfD gewinnt hinzu. Wie sehr wirkt sich darin der unklare Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus?

Oberreuter: Die Entwicklung der demoskopischen Werte ist unmittelbar auf diesen Kurs zurückzuführen; oder auf das Gefühl, dass der Kurs der Kanzlerin dafür verantwortlich ist, dass Deutschland gegenwärtig von einem ungeregelten Flüchtlingsstrom überschwemmt wird. Interessant ist dabei, dass die Dinge in Bayern, wo der Strom am stärksten schwillt, noch am übersichtlichsten sind. Das liegt aber daran, dass die bayerische Staatsregierung von Beginn an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung das Wort geredet hat, während andere das nicht für so wesentlich gehalten haben. Dass Merkel den Eindruck erweckt hat, alles sei willkommen was kommt, egal was die Leute denken, wie sie kulturell formiert sind und sich hier einordnen, hat sich verbreitet und Verunsicherung und Widerspruch hervorgerufen. Das spiegelt die Demoskopie derzeit wider.

Merkel erhält immer mehr Widerspruch von der eigenen Parteibasis. Droht Merkel Ihrer Ansicht nach an der Flüchtlingspolitik zu scheitern?

Oberreuter: Hochinteressant ist schon, dass der Widerspruch gegen diese allzu weite Öffnungspolitik so weit zunimmt, dass man schon von einer Kanzlerinnendämmerung spricht. Tatsache ist, dass Frau Merkel eine solche Situation im Amt eigentlich nie gewohnt war. Tatsache ist aber auch, dass die Widerspruchsneigung schon im Kontext mit der Griechenland-Finanzkrise entstanden ist. Ein Drittel der Fraktion hat ihr damals die Gefolgschaft verweigert. Dass derzeit der Fraktionschef am Ende der Sitzung feststellt, "wir sind uns nicht einig", ist eigentlich in einem parlamentarischen Regierungssystem relativ brisant, wo ja die Mehrheit die Regierung tragen muss. Wenn die Kanzlerin auf die Stimmen des Koalitionspartners angewiesen wäre, weil die Stimmen der eigenen Partei nicht mehr ausreichten, dann wäre das schon besorgniserregend. Was Merkel allerdings rettet, ist, dass alle denkbaren Alternativen zu ihr verschlissen sind. Als Alternative fällt einem ja eher Gabriel ein, als jemand in der CDU. Mag sein, dass diese Alternativlosigkeit Merkel letztendlich stabilisiert. Aber falls die Dinge unerträglich werden, wird sich sicher eine Alternative finden. Als Übergangskandidat fiele mir da etwa Wolfgang Schäuble ein.

"Manchen gefällt es, die Bayern als rückständiges Bergvolk hinzustellen"

"Wir schaffen das" ist von Merkel immer wieder zu hören. Das "wie" sagt sie nicht. Welchen Plan verfolgt die Kanzlerin?

Oberreuter: Ich habe den Eindruck, dass sie konsequent versucht, die Lösung zu europäisieren und zu internationalisieren. Ihrer Bemerkung, dass sie schon wisse, was vor Ort los ist, traue ich nicht mit Konsequenz. Das überlässt sie mit großen Respekt den Bayern, deren Landesgrenze ja inzwischen praktisch die EU-Außengrenze ist. Sie setzt darauf, die Dinge in Kooperation mit den europäischen Partnern zu lösen, die sich aber sperren. Sie setzt ferner darauf, die Dinge mit der Türkei oder auch Saudi-Arabien zu lösen, was, wenn überhaupt, nur zu hohe Preisen funktioniert. Man fragt sich ja nach der Konsequenz der Politik. Erst lässt man die Türkei am langen Arm verhungern mit ihrem EU-Beitrittsgesuchen. Jetzt geht man wieder so intensiv auf sie zu, dass die Türkei, die zuletzt selbst an einem EU-Beitritt nicht mehr interessiert war, sagt, wunderbar, wir wollen wieder, aber das kostet euch was. Die Irrationalität der Politik, die Getriebene von aktuellen Situationen zu sein, ist schwer hinnehmbar.

Die CSU setzt die Kanzlerin ebenso unter Druck. Ist das geschickt?

Oberreuter: Im Gesamtkontext muss man feststellen, hat die CSU mit ihrem realistischen Kurs erheblich dazu beigetragen, im Chaos zu stabilisieren. Alle ihre Vorschläge sind ja mittlerweile im Gesetzgebungsprozess eingebracht worden. Zusätzlich stemmt die CSU-getragene Landesregierung derzeit ja auch alle Lasten. Der Vorwurf, die Polemisieren ja nur, geht ins Leere, weil das alles konstruktive Vorschläge waren. Der Populismusvorwurf geht aber noch weiter ins Leere, wenn man sich die Politik von Horst Seehofer ansieht, mit der Bereitstellung von 500 Millionen Euro für Integration, Bildung und Wohnungsbau. Diese realistische Politik ist noch am Ehesten geeignet, um Brandmauern gegen eine emotionale und radikalisierte Rechte hochzuziehen.

Den Vorwurf, CSU-Chef Horst Seehofer habe mit seinem harten Kurs fremdenfeindliche Ressentiments erst hoffähig gemacht teilen sie also nicht?

Oberreuter: Das halte ich mit Verlaub für blanken Blödsinn. Die Formulierung eines rechtsstaatlichen und europarechtskonformen Ordnungskonzepts zieht ja keineswegs diesen Verdacht auf sich. Zudem hat Seehofer immer wieder Reden gehalten, die durchaus von der humanitären Dimension dieses Problems geprägt waren. Da machen es sich manche zu einfach, die sich dem Problem nicht stellen wollen und denen es gefällt, die Bayern immer als rückständiges Bergvolk hinzustellen.

Auf Bundesebene sind in der SPD Stimmen zu hören, die den CSU-Kurs verteidigen. Auf Landesebene greift die SPD die CSU dagegen immer wieder wegen ihrer Asylpolitik an. Welchen Kurs können Sie bei den Sozialdemokraten erkennen?

Oberreuter: Die SPD bietet einerseits der Kanzlerin Asyl an, wenn es ihr in ihrer eigenen Partei zu kalt wird. Andererseits ist es offensichtlich so, dass lokale Amtsträger der SPD sehr stark dem realistischen CSU-Kurs zuneigen. Die Funktion der SPD, als wichtiger Koalitionspartner dafür zu sorgen, dass keine ganz einseitigen Entscheidungen gefällt werden und das Thema in seiner Komplexität im Gespräch bleibt - auch gegenüber der Öffentlichkeit -, die sehe ich positiv. Aber wenn man es den Bayern schon nicht abnimmt, nimmt man es vielleicht wenigstens der SPD mit der Kanzlerin ab, dass die humanitären Dimensionen bei der Bundesregierung in guten Händen ist.

Die Grünen sind derzeit in einer Zwickmühle. Einerseits sind sie klassisch die Partei, die auf der Seite von Flüchtlingen steht, andererseits soll Ministerpräsident Winfried Kretschmann im kommenden März die Landtagswahl wieder für die Grünen gewinnen. Wie schafft die Partei diesen Spagat?

Oberreuter: Bei den Grünen ist die Naht an der Hose bis zum Zerreißen gespannt. Das konnte man auch beim Landesparteitag der bayerischen Grünen in Bad Windsheim sehen. Da gab es einen Antrag von Claudia Stamm, die offizielle Politik zugunsten der Flüchtlingsinteressen auszurichten. Die Grünen sind es gewohnt, zwischen zwei Flügel zu agieren. Das müssen sie jetzt auch wieder aushalten. In der Hauptsache müssen sie realistisch auf dem Boden stehen bleiben, dazu trägt Kretschmann auch bei. Ihn werden sie auch - wenn auch zähneknirschend - unterstützen. Zumindest wahltaktisch werden sie die einseitig idealistische Position nicht halten können.