„Eine lange Hängepartie wäre Gift“

Manfred Weber will „Qualitätsoffensive“ für ein besseres Europa


Manfred Weber mahnt gegenüber Großbritannien zur Besonnenheit.

Manfred Weber mahnt gegenüber Großbritannien zur Besonnenheit.

Der Brexit ist ein Warnschuss für die EU. Ohne Veränderung wird es nicht gehen. Manfred Weber (CSU), Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, fordert im Interview mit unserer Zeitung ein "besseres Europa", das sich auf die großen Fragen konzentriert. In erster Linie müsse die EU den Menschen "Sicherheit bieten", sagt Weber.

Herr Weber, die Briten wollen aus der EU austreten. Was erwarten Sie jetzt von der britischen Regierung?

Weber: Das Ergebnis des Referendums war knapp, aber eindeutig. Das müssen wir respektieren. Jetzt sind Besonnenheit und klare Botschaften gleichzeitig gefragt. Letztlich ist es an der britischen Regierung zu erklären, wie sie sich das weitere Prozedere vorstellt. Ein zügiges Austrittsverfahren ist sinnvoll. Eine lange Hängepartie wäre Gift für die Wirtschaft dies- und jenseits des Kanals. Allerdings ist Großbritannien in einer äußerst instabilen Situation: Das Pfund ist auf Talfahrt gegangen, die Börse eingebrochen, das Land völlig zerrissen und die Regierung handlungsunfähig.

Der Brexit wird sich auf jeden Fall noch Jahre hinziehen. Was bedeutet dies für die Zusammenarbeit mit ihren britischen Kollegen im Europäischen Parlament?

Weber: Die Kollegen sind bis 2019 gewählt oder bis Großbritannien aus der EU ausgetreten ist. Da gibt es viele fachlich hervorragende Abgeordnete, die uns nach dem Austritt fehlen werden. Solange Großbritannien keinen Antrag stellt, ändert sich auch bei uns nichts. Das Land ist ja nach wie vor Mitglied. Aber wenn im Parlament besondere Aufgaben an Abgeordnete vergeben werden, wird man von Fall zu Fall entscheiden müssen. Beispielsweise ist kaum denkbar, dass britische Abgeordnete eine führende Rolle bei Zukunftsfragen der EU übernehmen.

Die Brexit-Entscheidung zeigt eine große Unzufriedenheit mit Europa. Was muss die europäische politische Ebene tun, um die Menschen wieder zu erreichen?

Weber: Vor allem hat Großbritannien gerade ein großes Problem, das zeigt das Durcheinander auf der Insel. Aber es ist offensichtlich, dass die Menschen wollen, dass sich auch in Europa manches ändert. Ich halte nichts davon, jetzt irgendwelche Schnellschüsse zu fabrizieren, wie es die SPD fordert. Deshalb habe ich gegen die Forderung im Europäischen Parlament nach einem schnellen Konvent, der über weitere Vertiefungsschritte beraten soll, mein Veto eingelegt. Wir müssen erst einmal innehalten und eine ehrliche Bestandsaufnahme machen. Europa muss weg vom Elitenprojekt und hin zu den Menschen. Da ist zwar schon einiges passiert durch mehr Transparenz und Demokratie, wie etwa den Spitzenkandidatenprozess 2014 und die Stärkung des Europäischen Parlaments, aber das ist noch nicht genug.

Das alles ist keine ganz neue Erkenntnis, es mangelt aber an der Umsetzung dieser Schritte. Warum bewegt sich in Brüssel so wenig?

Weber: Das würde ich bestreiten. Wir haben als EVP-Fraktion durchgesetzt, dass die Juncker-Kommission unter dem Strich nur noch ein Fünftel so viele neue Gesetze vorschlägt als noch ihre Vorgänger-Kommission. Vieles ist einfach unnötig. Da könnten sich wohl auch die eine oder andere nationale Regierung und insbesondere nationale Verwaltungen eine Scheibe abschneiden. Ich mache die Erfahrung, dass Europa oft einfache Vorschläge entwirft, diese dann in Berlin oder München von den Bürokratien verkompliziert werden. Das Europäische Parlament versteht sich außerdem als Wächter für die Interessen der Menschen. Beispielsweise haben wir eine schnelle Visafreiheit für die Türkei gestoppt. Ich weiß aber auch, dass das noch zu wenig wahrgenommen wird und wir noch mehr liefern wollen.

Nationale Egoismen sind sicher an vielen Fehlentwicklungen schuld. Aber Entscheidungen zur begrenzten Wattzahl bei Staubsaugern oder die Abschaltautomatik bei Kaffeemaschinen gehören doch sicher nicht zu den Glanztaten, die die europäischen Institutionen, mit denen Europa drängende Probleme der Menschen löst. Was muss Europa aus sich selbst heraus leisten, um wieder mehr Rückhalt bei den Völkern Europas zu bekommen?

Weber: Das unterstreiche ich voll. Europa muss sich aufs Wesentliche konzentrieren. Deshalb werden Sie aus den letzten Jahren auch praktisch keine neuen Negativ-Beispiele für das Kleinklein mehr benennen können. Wir haben als CSU durchgesetzt, dass Zuständigkeiten auf die Staaten zurückverlagert wurden, etwa die Entscheidung darüber, wo mit Gentechnik angebaut werden darf. Das muss ja wirklich nicht Brüssel machen. Wir werden eine Qualitätsoffensive starten. Wir wollen ein besseres Europa, nicht Europa zerstören. Es ist völlig klar, dass heute ein Land allein kaum mehr eine Chance hat, in einer immer unübersichtlicheren Welt zu bestehen. Denken Sie an die Migrationsströme, Sicherheitsfragen oder die Digitalisierung. Die Staaten gewinnen durch Europa erst ihre Handlungsfähigkeit wieder. Europa muss den Menschen Sicherheit bieten. Das ist die Schlüsselfrage für die Zukunft.