Türkei und Syrien

Nach Katastrophe: Angst vor Krankheiten im Erdbebengebiet

Beschädigte Wasserleitungen, Mangel an sanitären Anlagen und Leichen unter den Trümmern - in den Erdbebengebieten kämpfen die Menschen mit den Auswirkungen. Ärzte fürchten den Ausbruch von Infektionskrankheiten.


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Eine von der Gemeinde Kayseri bereitgestellte mobile Toilette für Frauen steht neben einem eingestürzten Gebäude im türkischen Kahramanmaras.

Manchmal geht Elif Yasar in ihr einsturzgefährdetes Haus, um sich zu waschen. Eigentlich hätte sie es nach dem Erdbeben nicht mehr betreten dürfen. "Wir haben seit zwei Wochen nicht mehr geduscht", erzählt sie halb entschuldigend. Mit einem Ofen heize sie mit ihrer Tochter Melike dann das mitgebrachte Wasser auf, es gebe keines aus der Leitung, aber immerhin Privatsphäre. Einer stehe an der Tür, sollte ein Nachbeben kommen könne man schnell raus, so die Hoffnung.

Seit dem Beben vor zwei Wochen wohnt die 40-Jährige mit ihrer Familie in einem Lager am Eingang der südtürkischen Stadt Kahramanmaras. Zelt reiht sich hier an Zelt. Ofenrohre ragen heraus, geheizt wird mit Kohleöfen - der Geruch hängt in der Luft, Qualm vernebelt die Sicht.

Etwa 1,6 Millionen Menschen leben alleine in der Türkei in der Erdbebenregion in Notunterkünften. Wie viele es in Syrien sind, ist unklar. Menschen aus 40.000 Haushalten seien nach der Katastrophe obdachlos geworden, heißt es vom UN-Nothilfebüro Ocha.

Die Menschen bleiben in Zelten, bei Verwandten auf dem Dorf oder in Zügen am Bahnhof. Einige sind vergleichsweise gut versorgt, mit Heizern, regelmäßigen Mahlzeiten, Duschen und Kinderbetreuung. Andere hausen in unbeheizten Zelten, und es gibt kein fließendes Wasser oder sanitäre Anlagen. Im völlig zerstörten Antakya etwa berichten Menschen, dass sie ihre Notdurft draußen verrichten müssen. Dadurch können nach Ansicht von Medizinern Keime ins Grundwasser geraten. Angesichts der prekären Lebensumstände vieler Erdbebenopfer warnen Ärzte bereits vor der nächste Katastrophe in der Türkei und Syrien: Dem Ausbruch von Seuchen.

In Syrien ist die Lage noch schwieriger als im Nachbarland: Im Nordwesten seien die Menschen aufgrund von Krieg und Vertreibung seit langem medizinisch unterversorgt, sagt die stellvertretende Vorsitzende von Ärzte ohne Grenzen, Parnian Parvanta. "Schon vor den Erdbeben gab es in dieser Region Fälle von Cholera." Laut UN gibt es derzeit in Nordwestsyrien 47.000 Verdachtsfälle sowie 20 Todesfälle, die womöglich im Zusammenhang mit Cholera stehen. Im vergangenen Jahr starben in Syrien Dutzende an der Durchfall-Erkrankung.

Eigentlich ist Cholera leicht zu behandeln - wenn Betroffene Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Cholera kann laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch erheblichen Flüssigkeitsverlust zu Nierenversagen oder gar zum Tod führen.

Die Erdstöße haben Ärzte ohne Grenzen zufolge Krankenhäuser und Sanitäranlagen zerstört. Deshalb gebe es an vielen Orten Probleme bei der Wasseraufbereitung. Die vielen noch immer nicht geborgenen Leichen könnten zudem das Wasser verunreinigen, warnt Thomas Geiner, erdbebenerfahrener Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis. Auch in der Türkei werden noch Tausende Tote in den Trümmern vermutet. Die Behörden versuchen sie, auch mit Hilfe aus Deutschland, so schnell wie möglich zu bergen.

"In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen", warnt auch Geiner. Parvanta von Ärzte ohne Grenzen fürchtet angesichts der bereits grassierenden Cholera sogar den Ausbruch einer Epidemie im Erdbebengebiet. "Die Situation könnte außer Kontrolle geraten", sagt auch der für Syrien zuständige UN-Nothilfekoordinator Muhannad Hadi. Er sieht auch in der Türkei die Gefahr für einen Cholera-Ausbruch - vor allem wenn die Temperaturen wieder steigen.

Der Chef der Ärztekammer Adana, Selahattin Mentes, erkennt in der Türkei aktuell zwar noch keine Anzeichen dafür, warnt aber: Sichere Unterkünfte wie Container, Versorgung mit fließendem Wasser, Hygiene und Müllentsorgung seien nun das Drängendste, um Infektionskrankheiten zu vermeiden. Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fordert eine rasche Notfallversorgung mit Wasser und Sanitäranlagen im Erdbebengebiet.

Ein weiterer Risikofaktor für Seuchen sind große Menschenansammlungen. In Camps, in denen vor Gewalt und Bomben Vertriebene vor allem in Syrien schon vor den Beben unter schlimmen Bedingungen gelebt haben, suchen nun auch noch die vielen neuen Obdachlosen Zuflucht. "Die Ressourcen an diesen Orten reichen bei weitem nicht aus, um dem Bedarf der Menschen an Trinkwasser, Hygieneartikeln und anderen Gütern der Grundversorgung gerecht zu werden", warnt Parvanta. Auch fehlende Impfungen können hier zum Problem werden - und etwa die Ausbreitung der Masern begünstigen.

Die Situation in der Türkei und Syrien erinnere ihn an die Lage in Haiti nach dem Erdbeben 2010, sagt Mediziner Geiner. Damals starben mehr als 200.000 Menschen in Folge des Bebens - und dann noch einmal Tausende an Cholera.