Pressestimmen
Peinlich oder ehrlich? Die Pressestimmen zum CSU-Parteitag
22. November 2015, 17:29 Uhr aktualisiert am 22. November 2015, 17:29 Uhr
87,2 Prozent - dass er bei der Wiederwahl doch so deutlich Federn lassen musste, hätte Horst Seehofer sicher nicht gedacht. Viele geben die Schuld an der Pleite seinem Benehmen gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CSU-Parteitag. Dort hatte Seehofer Merkel auf der Bühne wie ein Schulmädchen belehrt und ihre Entscheidungen in der Flüchtlingsthematik kritisiert. Schlechter Stil? Oder einfach nur ehrlich? Das sagen die Zeitungen.
Berliner Zeitung: "Empfangen wie einen Fremdkörper"
Die CSU hat Merkel auf ihrem Parteitag empfangen wie einen Fremdkörper. Schweigen, mühseliger Applaus, das muss sie schon mal hinnehmen. Doch ein Parteichef, der eine Kanzlerin, die von seiner Partei mitgetragen wird, auf der Bühne stehen lässt wie eine Angeklagte - das hat eine neue Qualität. Seehofer wollte seine eigene Position in der CSU damit stärken, aber das ist ihm nicht gelungen, sein Ergebnis bei der Wiederwahl zum Parteivorsitz beweist es. Gleichzeitig aber hat er die Kanzlerin beschädigt.
General-Anzeiger: "Eine Nummer kleiner geht's auch"
Es spricht für die Sensibilität der Delegierten, dass sie Horst Seehofer bei seiner Wiederwahl dennoch einen Dämpfer gaben. Denn so uncharmant war er auf offener Bühne selten. Man muss das eine aber nicht gleich Demütigung und das andere nicht Abstrafung nennen. Eine Nummer kleiner geht's auch. Vollends paradox wird der unionsinterne Zwist zudem, wenn man berücksichtigt, dass über die Ziele zwischen CSU und CDU mittlerweile Einigkeit besteht.
Münchner Merkur: "Dieser Bruch wird noch Folgen haben"
Wow, da haben die CSU-Delegierten aber ganze Arbeit geleistet: eine heimliche Vorsitzende (Angela Merkel) davongejagt, den alten Chef (Horst Seehofer) beschädigt und einen neuen (Markus Söder) designiert - das müssen andere erst mal schaffen. Wer, wie mancher Grande aus der CDU, den Bayern jetzt vorwirft, so gehe man mit einer Kanzlerin nicht um, muss sich schon auch den Gegenvorwurf gefallen lassen: So wie Merkel am Freitagabend geht man mit einem CSU-Parteitag nicht um. Trotzig und unversöhnlich sprach die Kanzlerin. Dieser Bruch wird noch Folgen haben, auch für Merkels Autorität in der eigenen Partei. Denn dort wird ihre Politik ebenfalls als abgehoben empfunden bis hin zur Frage, wessen Kanzlerin Frau Merkel denn eigentlich sein will. Der Gewinner aber heißt Söder. Denk- und Sprechverbote in der Flüchtlingspolitik haben die Menschen satt.
Straubinger Tagblatt: "Alle wieder quitt"
87,2 Prozent sind kein Beinbruch, aber dennoch geht Seehofer angeschlagen in die kommenden zwei Jahre. Und die am Freitagabend so gedemütigte Kanzlerin dürfte sich ins Fäustchen gelacht haben. Also alle wieder quitt.
Kölner Stadt-Anzeiger: "Entfremdung, die kein Lächeln so leicht kitten wird"
Es hatte sich einiges aufgestaut in den vergangenen Wochen. Seehofers fast tägliche Angriffe haben bei der Kanzlerin Spuren hinterlassen. Merkel hat den CSU-Kollegen umgekehrt gezeigt, dass sie nicht mehr gewillt ist, ihn ernst zu nehmen. Der Eklat auf dem Parteitag war die öffentliche Vorführung dieser Entfremdung, die kein Lächeln so leicht kitten wird.