Kommentar

Zeit zum Neuanfang


Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff muss sich in diesen Tagen auch noch mit einem Amtsenthebungsverfahren herumschlagen.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff muss sich in diesen Tagen auch noch mit einem Amtsenthebungsverfahren herumschlagen.

Die Hoffnung ist längst der Ernüchterung gewichen. Brasilien, einst gefeiert als kommende wirtschaftliche Weltmacht, darbt. Neben der schlimmsten Rezession seit den 1930er-Jahren erlebt das riesige Land in Südamerika derzeit ein politisches Schmierenstück, das zur völligen Blockade des politischen Systems geführt hat. Hinzu kommen zahlreiche Korruptions- und Umweltskandale.

Nun ist die einst so beliebte Präsidentin Dilma Rousseff auch noch mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert, das ihr Gegenspieler, Parlamentspräsident Eduardo Cunha initiiert hat. Die Hoffnung der Brasilianer auf eine Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in dem tief gespaltenen Land hat sich nicht erfüllt. Nur noch gut zehn Prozent der Wähler stehen hinter der Präsidentin, der vorgeworfen wird, auch ihre Arbeiterpartei habe von Bestechungsgeldern rund um die Affäre um den Ölkonzern Petrobras profitiert.

Zudem soll Rousseff Haushaltszahlen geschönt haben, um ihre Wiederwahl zu sichern. Das Delikate: Auch Cunha steht unter Korruptionsverdacht rund um den Petrobras-Skandal und sieht sich ebenfalls mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert. Dabei ist dieser politische Stillstand genau das Gegenteil dessen, was die bisher siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt derzeit brauchen kann. Durch den Einbruch der Rohstoffpreise hat Brasilien sehr gelitten. Die Folgen: Rezession, Arbeitslosigkeit, Stillstand, Krise. Dringend notwendige Reformen bleiben auf der Strecke. "Sie kann es nicht" ist in den Städten und Dörfern des Landes immer häufiger zu hören. Demonstrationen gegen Dilma, wie sie in ihrer Heimat einst so liebevoll genannt wurde, gehören inzwischen zum Alltag. Die Hürden, um die Präsidentin aus dem Amt zu jagen, sind hoch - und die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering. Dabei wäre zumindest die Chance auf einen politischen Neuanfang womöglich das, was das Land derzeit bräuchte. Damit wäre die wirtschaftliche Krise nicht über Nacht verschwunden. Und auch die Korruption, die sich durch Politik und Gesellschaft zieht, lässt sich nicht durch ein Kreuzchen in der Wahlkabine beseitigen. Doch der derzeitige politische Stillstand, in dem sich die Kontrahenten nur gegenseitig belauern und politische Entscheidungen praktisch unmöglich geworden sind, schadet dem Land zusätzlich. Wenn es so weitergeht wie derzeit, verspielt Brasilien viel von dem, was es sich in vergangenen Jahren aufgebaut hat.