Politik
Atomkraft: Söder bleibt beim Sonderweg
17. April 2023, 16:02 Uhr
MÜNCHEN - Der Sturm der Entrüstung ficht ihn nicht an: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält an seinem Vorschlag länderbetriebener Kernkraftwerke fest.
Nach einer Schaltkonferenz des Parteivorstands bekräftigte der CSU-Chef gestern seine Forderung, zumindest den Meiler Isar 2 in eigener Regie wieder hochzufahren. Söder hatte auch eine Antwort auf die Frage nach dem Verbleib des dabei neuerlich anfallenden Atommülls.
Mangels Endlager seien die genutzten Atombrennstäbe ohnehin bei den Anlagen zwischengelagert worden. Da Isar 2 maximal drei bis fünf Jahre weiter in Betrieb sein solle, wäre "das Bisschen" an zusätzlichem Müll "keine Herausforderung". Die Länder seien bisher sowieso schon für den sicheren Betrieb der Atomkraftwerke und die Lagerung der abgebrannten Brennstäbe zuständig und verantwortlich.
"Das Wohlstands-Eis wird jeden Tag dünner"
Söder wollte auch eine Renaissance der Atomkraft in Deutschland mit neuen Technologien nicht ausschließen. So könnte Atommüll in neue Energie umgewandelt werden. "Das", so Söder, "wäre viel klüger als Lager für eine Million Jahre zu planen." Mit dem Abschied von der Kernkraft schneide sich Deutschland "von der Zukunft komplett ab" und gehe einen "Sonderweg in Europa": "Das Wohlstands-Eis wird jeden Tag etwas dünner."
Seinen Vorstoß rechtfertigte er mit der Berliner Energiepolitik. Die Bundesregierung weigere sich nachhaltig, "die bayerische Energieversorgung nur annähernd oder die süddeutsche ernst zu nehmen, während bei anderen Bundesländern die Zusage erfolgt, neue Gaskraftwerke auf den Weg zu bringen". Weder Bayern noch Baden-Württemberg seien Alternativen für wegfallende Kohlekraftwerke angeboten worden.
Die "hysterische Reaktion" aus der Berliner Ampel-Koalition zeuge von "ganz schlechtem Gewissen", so Söder weiter. "Führung ist das eine, sich aber dauerhaft von der Bevölkerung abzukoppeln, ist schwierig", sagte er mit Blick auf Umfragen, nach denen eine Mehrheit der Deutschen die Abschaltung der Reaktoren für falsch hält.
Söder hatte am Wochenende gefordert, der Bund solle das Atomgesetz ändern, damit Bayern den Meiler bei Landshut in Eigenregie weiterbetreiben kann. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) pochte auf die Zuständigkeit des Bundes für die Atomkraft und verwies darauf, dass die Länder bei dem Thema im Bundesauftrag handelten.
"Markus Söder wechselt seine Positionen ja wie Unterhosen"
"Es ist geradezu bedrückend, wie ein Ministerpräsident genehmigungs- und verfassungsrechtliche Fragen und Aspekte der nuklearen Sicherheit so leichtfertig ignoriert", sagte sie der "SZ". "Selbst wenn man den Reaktor, wie Herr Söder es offensichtlich will, wieder ans Netz bringen möchte, reicht es dazu nicht, ihm eine neue Laufzeit rechtlich einzuräumen. Es bedürfte quasi einer Neugenehmigung des Reaktors."
Auch FDP-Politiker zeigten sich verwundert über Söders Aussagen. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai machte in der "Rheinischen Post" deutlich, dass die FDP Sympathie für einen längeren AKW-Betrieb habe. In Richtung Söder sagte er jedoch: "Bis ein Gesetz zur Föderalisierung der Stromerzeugung aus Kernenergie beschlossen wäre, hätte er seine Meinung vermutlich wieder geändert." Als bayerischer Umweltminister habe Söder den Atomausstieg auch noch vorangetrieben.
FDP-Vize Johannes Vogel äußerte sich vergleichbar. "Markus Söder wechselt seine Positionen ja wie Unterhosen", sagte er bei "Anne Will". "So jemand Erratischem würde ich ungern die Verantwortung für Energiepolitik geben."
Sympathien ließ hingegen der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erkennen. Angesichts der Folgen des Atomausstiegs für die Versorgungslage seien "alle denkbaren Alternativen zur besseren Energieversorgung diskussionsfähig - auch dieser Vorschlag aus Bayern", sagte Merz gestern. Er kritisierte die Stilllegung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke als "überstürzte Entscheidung der Bundesregierung" - "durchgesetzt letztendlich durch die Grünen".
Aiwanger: "Genauso begründbar wäre gewesen, Atomkraft noch einige Jahre zu belassen und Kohle zu reduzieren"
Und was sagen die Mitglieder der bayerischen Staatsregierung zum söderschen Sonderweg? "Es ist ein Problem, dass Deutschland immer mehr in energiepolitische Länderinteressen zerfällt", teilt Vize-Ministerpräsident und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) der AZ mit. Auch er verweist auf Berlin: Mit Isar 2 und Neckarwestheim seien im Süden trotz Ukrainekriegs und Energiekrise zwei leistungsfähige AKW abgeschaltet worden, während im Norden mehr Kohlekraftwerke ans Netz genommen wurden.
"Genauso begründbar wäre gewesen, Atomkraft noch einige Jahre zu belassen und Kohle zu reduzieren. Insofern führt diese einseitige Energiepolitik gegen den Süden zum Ruf nach Wahrung der regionalen Interessen, also Beibehaltung der Atomkraft im Süden für die nächsten Jahre, weil wir eben kaum Kohlekraftwerke haben."
Glauber: "Für den Klimaschutz ist das eine nicht nachvollziehbare Entscheidung"
Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) sieht die Dinge ähnlich: Isar 2 habe zuletzt rund zwölf Prozent des gesamten bayerischen Stromverbrauchs abgedeckt, sagt er - und: "Es ist nicht verantwortbar, dass die Bundesregierung während der Energiekrise aus der Kernkraft aussteigt." Dies führe dazu, dass die Kohleverstromung hochgefahren werde. "Für den Klimaschutz ist das eine nicht nachvollziehbare Entscheidung."
Bayern habe sich dafür ausgesprochen, die Laufzeit der letzten drei deutschen Kernkraftwerke befristet zu verlängern, bis die aktuelle Energiekrise vorüber sei. Die Bundesregierung habe diesen Vorschlag jedoch abgelehnt. Glauber weiter: "Für das Umweltministerium als Aufsichtsbehörde gilt: Sicherheit hat oberste Priorität. Das Kraftwerk ist eines der sichersten Kernkraftwerke weltweit. Isar 2 abzuschalten ist, wie einen topfitten 50-Jährigen in den Ruhestand zu schicken."