Lösung nicht in Sicht
Brexit-Dilemma: May übersteht Misstrauensvotum
17. Januar 2019, 7:01 Uhr aktualisiert am 17. Januar 2019, 7:01 Uhr
Das Misstrauensvotum hat die britische Premierministerin überstanden. Doch eine Lösung für ihr Brexit-Dilemma ist damit nicht in Sicht. Sie muss nun bald einen Plan B vorlegen. Die Zeit wird immer knapper.
Die britische Premierministerin Theresa May hat einen Tag nach der krachenden Niederlage für den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Vertrag einen Misstrauensantrag der Opposition überstanden.
Eine Mehrheit von 325 zu 306 der Abgeordneten sprach May und ihrem Kabinett am Mittwochabend im Parlament in London das Vertrauen aus. Oppositionschef Jeremy Corbyn hatte zuvor in einer leidenschaftlichen Debatte vergeblich eine Neuwahl gefordert.
Bei einer kurzfristig angekündigten Ansprache am späten Mittwochabend sagte May vor dem Regierungssitz in London, sie halte es für ihre Pflicht, Großbritannien aus der EU zu führen. Sie habe bereits Gespräche mit Oppositionspolitikern über den weiteren Brexit-Kurs des Landes geführt. Oppositionschef Jeremy Corbyn hatte ein Treffen mit der Regierungschefin verweigert, solange May einen ungeordneten Brexit nicht ausschließt. Sie bedauere das, die Tür stehe aber weiter offen, sagte May.
Die Premierministerin will dem Parlament am kommenden Montag darlegen, wie es weitergehen soll, um einen chaotischen EU-Austritt in zehn Wochen doch noch zu verhindern. Zuvor will sie sich mit den anderen Parteien im Unterhaus beraten. Die Abgeordneten hätten klargemacht, was sie nicht wollten, sagte die Regierungschefin in der kurzen Ansprache. Nun müsse konstruktiv daran gearbeitet werden, herauszufinden, was das Parlament will. Es sei jetzt an der Zeit, Eigeninteressen hintanzustellen.
Forderungen der EU werden lauter
In der EU werden die Forderungen an die Adresse Großbritanniens immer lauter, möglichst rasch konkrete Vorschläge für das weitere Verfahren auf den Tisch zu legen. Eine Neuverhandlung des Abkommens schlossen EU-Spitzenpolitiker aus. Die Zeit drängt. Wenn ein EU-Austritt ohne Abkommen mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und Chaos in vielen Lebensbereichen vermieden werden soll, muss binnen weniger Wochen eine Einigung her. Am 29. März will Großbritannien die EU verlassen.
Der Bundestag befasst sich an diesem Donnerstag mit dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens. Den Abgeordneten liegt ein Entwurf der Bundesregierung für ein Brexit-Übergangsgesetz vor. Darin geht es um Regelungen für einen Übergangszeitraum nach dem für Ende März geplanten Austritt. Das Brexit-Abkommen, das am Dienstagabend im britischen Unterhaus in London mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde, sieht eine Übergangsphase bis mindestens 2020 vor.
Auch in Bayern gibt es kritische Töne aus Politik und Wirtschaft zu der Hängepartie in Großbritannien.
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Die FDP-Bundestagsfraktion kündigte einen Entschließungsantrag an, mit dem die Bundesregierung dazu aufgefordert werden soll, "im Gespräch mit unseren britischen Partnern dafür zu werben, den Weg der Artikel-50-Rücknahme offen zu halten". Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit genau zwei Jahre später am 29. März 2019 endet.
Kommt ein zweites Referendum?
Der Europäische Gerichtshof hatte im Dezember entschieden, dass Großbritannien den für 2019 angekündigten Brexit noch ohne weiteres stoppen und Mitglied der Europäischen Union bleiben könnte. Eine Zustimmung der übrigen EU-Staaten sei dazu nicht nötig. Bislang zeichnet sich aber nicht ab, dass London diesen Weg beschreiten will.
Inzwischen werden auch die Forderungen nach einer zweiten Volksabstimmung lauter. Die Briten hatten bei einem Referendum im Juni 2016 mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt. Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum dürfte Oppositionsführer Corbyn unter Druck geraten. Eine große Gruppe der Labour-Abgeordneten will, dass er sich hinter die Forderung nach einem zweiten Brexit-Referendum stellt. Corbyn hatte angekündigt, diese Option zu erwägen, sollte sich eine Neuwahl als unmöglich herausstellen.
Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, sieht angesichts der verfahrenen Lage in London zunehmende Chancen für ein zweites Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU. "Mein Eindruck ist, dass diese Möglichkeit wahrscheinlicher geworden ist, als sie das noch vor wenigen Wochen war", sagte die Bundesjustizministerin der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochabend.