Politik
Bundesjustizminister Marco Buschmann: "Wir werden nicht zur Kriegspartei!"
13. Januar 2023, 18:18 Uhr aktualisiert am 13. Januar 2023, 18:18 Uhr
AZ-Interview mit Marco Buschmann: Der 45-jährige Liberale ist seit dem vergangenen Jahr Bundesjustizminister. Seine Kindheit und Jugend hat der Jurist in Gelsenkirchen verbracht.i
AZ: Herr Buschmann, wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine sorgen sich viele Menschen, dass Deutschland zur Kriegspartei wird. Sie haben das ja im Grundsatz schon verneint. Was aber, wenn demnächst die ukrainische Besatzung eines deutschen Marder-Schützenpanzers mit seinen zwei Kilometern Reichweite auf russisches Gebiet schießt?
MARCO BUSCHMANN: Diese Sorge kann ich Ihnen nehmen. Gemäß dem fundamentalen völkerrechtlichen Gewaltverbot, wie es in der UN-Charta niedergelegt ist, ist die Anwendung militärischer Gewalt grundsätzlich unzulässig. Deshalb haben wir die Situation, dass Russland sich völkerrechtlich im Unrecht befindet, weil es seinen Nachbarn angegriffen hat. Die Ukraine befindet sich im Recht, weil sie einen Selbstverteidigungskrieg führt. Nach dem Völkerrecht dürfen wir der Ukraine dafür Waffen liefern. Wir werden dadurch nicht zur Kriegspartei. Egal, welche Qualität die Waffen haben.
"Die Ukraine muss gewinnen - für sich, aber auch für uns!"
Das gilt auch für den Fall, dass die Ukraine Ziele in Russland angreift?
Die Ukraine hat das Recht zur Selbstverteidigung. Das kann auch umfassen, russische militärische Ziele in Russland anzugreifen, wenn sie von dort aus attackiert wird. In keinem Fall würden auch bei Angriffen der Ukraine auf Ziele in Russland die Lieferanten der Waffen oder die Länder, in denen die Waffen produziert worden sind, zur Kriegspartei.
Wenn schon Marder, warum dann nicht auch Leopard-Kampfpanzer. Wie stehen Sie zu dieser Debatte?
Meine persönliche Auffassung ist klar und die lautet: Das darf kein Tabu sein. Würde Herr Putin aus den fortwährenden Aggressionen gegen seine Nachbarn die Lehre ziehen, dass er sich am Ende mit dieser Taktik durchsetzt, wird er immer weitermachen. Das macht Europa nicht sicherer, sondern unsicherer. Deshalb muss die Ukraine ihren Selbstverteidigungskrieg gewinnen - für sich selbst, aber auch für uns. Wichtig war und ist mir, dass wir uns beim Thema Waffenlieferungen ganz eng mit unseren Verbündeten abstimmen.
Es gibt eine Debatte über die Einrichtung eines Sondertribunals, um die Verantwortlichen dieses Angriffskrieges zur Verantwortung zu ziehen. Was ist Ihre Meinung?
Mir liegt die Verfolgung von Kriegsverbrechen sehr am Herzen. Ich war dazu unter anderem in den USA und in Kiew. Es gab auf unsere Initiative hin das erste Mal in der Geschichte ein Treffen der G7-Justizminister, genau zu diesem Thema. Wir haben dort die Errichtung eines Kontaktnetzwerkes vereinbart, um Kriegsverbrechen effektiver zu verfolgen. Wir haben den Generalbundesanwalt dazu personell aufgerüstet, damit er besser ermitteln kann. Deutschland ist bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen weltweit führend. Wir unterstützen auch darüber hinaus den Internationalen Strafgerichtshof.
Also kein Sondertribunal?
Ich kann sehr gut verstehen, dass die Ukraine insbesondere Herrn Putin eines Tages vor Gericht sehen will. Idealerweise würde das vor dem Internationalen Strafgerichtshof gelingen.
Aber warum? Die Union kritisiert, die Regierung ducke sich beim Thema Sondertribunal weg.
Wir müssen unsere Entschlossenheit, rechtsstaatliche Prinzipienfestigkeit und den Schutz bestehender Institutionen zusammenführen. Der Internationale Strafgerichtshof ist eine historische Errungenschaft. Er darf nicht geschwächt werden. Aber wenn Putins Angriffskrieg hier nicht ausreichend verfolgt werden kann, sind wir auch offen für andere Wege. Ich halte dann auch ein Sondertribunal für vorstellbar. Wichtig ist, dass wir diese Diskussionen in enger Abstimmung mit unseren Partnern und unter Einbindung der bereits ermittelnden Institutionen führen.
Eine Diskussion um Waffen wird nach den Silvesterausschreitungen auch innenpolitisch geführt. Innenministerin Nancy Faeser von der SPD will das Waffenrecht verschärfen. Sie sind dagegen. Wie kann eine Einigung aussehen?
Der Ruf nach neuen und schärferen Gesetzen gehört leider zum Standard-Repertoire der meisten Innenpolitiker. Im Koalitionsvertrag ist aber vereinbart, dass wir erst mal evaluieren, was die verschiedenen Gesetzesänderungen in der Vergangenheit gebracht haben. Dann schauen wir weiter. Meine Meinung ist, dass wir das bislang geltende Recht nicht gut genug durchsetzen. Das halte ich für wichtiger. Wenn wir uns anschauen, womit in der Silvesternacht Gewalt ausgeübt wurde, dann haben scharfe Waffen keine und Schreckschusswaffen keine entscheidende Rolle gespielt. Da wurde in erster Linie mit Böllern, Feuerlöschern und anderen Gegenständen geworfen. Und was die Entwaffnung beispielsweise von Reichsbürgern angeht, da haben wir heute schon alle rechtlichen Möglichkeiten. Dafür brauchen wir kein verschärftes Waffenrecht.
"Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist skandalös"
Die vergangenen Jahre haben deutlich gezeigt, dass die deutsche Verwaltung langsam arbeitet und schwer in Papier verliebt ist. Neuerungen, wie die elektronische Gesundheitsakte, bekommt der Staat trotz jahrelanger Anstrengungen nicht hin. Wieso kommt Deutschland bei der Digitalisierung nicht voran?
Deutschland kommt durchaus voran, aber ja: Wir brauchen noch mehr Tempo. Auch, weil bei uns Digitalisierung noch viel zu oft bedeutet: Man denkt, man kann Geld auf den Tisch legen, kriegt einen grauen Kasten dafür, den stellt man auf den Tisch und damit ist man dann in der digitalen Welt angekommen. Digitalisierung ist aber kein Beschaffungsvorgang, sondern ein Veränderungsprozess.
Sie wollen nicht nur weniger Papier im Rechtssystem, Sie wollen das gesamte Strafrecht entrümpeln. Warum?
Der Staat muss in seinen Kernaufgaben stark sein. Bei schweren Straftaten muss er schnell ermitteln. Das erwarten die Bürger - zu Recht. Da ist es natürlich Unsinn, die Strafverfolgungsbehörden mit Dingen zu beschäftigen, die keine Begründung mehr haben. Priorisieren statt Verzetteln lautet unsere Philosophie.
Zum Beispiel?
Wer eine Bekanntmachung einer Behörde vom Schwarzen Brett runterreißt, kann sich strafbar machen. Das stammt aus einer Welt, in der sich die Menschen über amtliche Mitteilungen im Wesentlichen über Aushänge informierten. In der digitalen Realität wirkt das kurios.
Ärger mit den Ermittlern hat derzeit Ihr Parteichef Christian Lindner. Der Finanzminister steht wegen einer Immobilienfinanzierung in der Kritik. Einige sprechen von einem Skandal. Ist dies aus Ihrer Sicht übertrieben oder muss er da jetzt transparent werden?
Wenn man an diesem gesamten Sachverhalt etwas Skandalöses finden wollte, und das sage ich als Abgeordneter und nicht in amtlicher Eigenschaft, dann ist es das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin.
Wieso?
Sie gibt öffentlich lediglich die Erwägung bekannt, eines Tages vielleicht mal möglicherweise einen Antrag auf Aufhebung der Immunität stellen zu wollen. Gleichzeitig räumt sie ein, dass die Schwelle zum Anfangsverdacht nicht überschritten wurde. Als Jurist halte ich das für unzulässig. Wenn es hier einen Skandal gibt, dann ist es diese Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen.