Großbritannien
Das Rennen um die Nachfolge von Theresa May beginnt
10. Juni 2019, 18:20 Uhr aktualisiert am 11. Juni 2019, 17:22 Uhr
Der Sitzkrieg ist vorbei, jetzt wird das Rennen offiziell. Nach Monaten des Manövrierens und Positionierens begann am Montag der Kampf um die Nachfolge von Theresa May als Vorsitzende der Konservativen Partei. Zehn Tory-Politiker ließen sich für das Amt nominieren. Dazu gehören Kandidaten, denen kaum eine Chance eingeräumt wird, wie der neoliberale Brexit-Hardliner Dominic Raab oder der Gesundheitsminister Matt Hancock.
Das Favoritenfeld dagegen besteht aus drei Konkurrenten: Außenminister Jeremy Hunt, Ex-Außenminister Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove. In einer ersten Runde ermitteln die Abgeordneten der Regierungsfraktion zwei Bewerber durch eine Reihe von Wahlgängen. Die beiden Finalisten treten danach in der zweiten Runde in einer Stichwahl gegeneinander an, bei der das Parteivolk von rund 160.000 Mitgliedern entscheidet. Ende Juli sollen die Konservativen dann einen neuen Chef und das Land einen neuen Premierminister haben.
Johnson will nicht zahlen
Boris Johnson hat bisher vermieden, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Sein Team fürchtet, dass der zu verbalen Ausrutschern neigende Blondschopf wieder einmal patzen könnte und seine Spitzenreiterposition verspielt. In einem Interview mit der Sunday Times meldete sich der 54-Jährige zu Wort und verkündete, die Brexit-Austrittsrechnung von rund 44 Milliarden Euro vorerst nicht zahlen wollen. Dabei handelt es sich um finanzielle Verbindlichkeiten, die Großbritannien gegenüber der EU eingegangen ist. Er werde das Geld zurückhalten so Johnson, bis die EU ihm einen besseren Deal anbieten würde: "Um einen guten Vertrag zu bekommen, ist Geld ein großartiges Lösungsmittel und Schmierstoff."
Johnsons Ankündigung kam in Paris nicht gut an. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte eine Person aus dem Umfeld von Präsident Emmanuel Macron: "Wenn man seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, verstößt man gegen internationale Zusagen, was einem Zahlungsausfall von Staatsschulden entspricht. Die Konsequenzen daraus sind wohlbekannt". Soll heißen: Die Ratingagenturen würden die Bonität Großbritanniens herabstufen. Und die EU würde auf Zahlung bestehen, bevor irgendetwas anderes verhandelt wird.
Der Erpressungsversuch von Johnson illustriert, wie abgehoben von der Wirklichkeit die Brexit-Diskussion im Land verläuft. Der ehemalige Außenminister verspricht den unbedingten Austritt am 31. Oktober "mit Deal oder ohne", ohne zu realisieren, dass es im Falle eines No Deal eine Reihe von kleinen Deals braucht, um das Land vor chaotischen Konsequenzen zu bewahren - von Landerechten für Flugzeuge über die Lieferung von radioaktiven Isotopen für die Krankenhäuser bis zu hunderterlei anderen Vereinbarungen.
Goves Drogenbeichte
Johnsons Rivale Michael Gove hatte am Montag keinen guten Start für seine Kampagne. Fast alle Zeitungen machten mit seiner Beichte auf, vor 20 Jahren Kokain geschnupft zu haben. "Gove, der Kokain-Heuchler" titelte der Daily Mirror und wies darauf hin, dass der ehemalige Journalist in seinen Beiträgen Drogenkonsum verdammt, aber selbst Kokainpartys veranstaltet habe. Die Aufregung ist etwas künstlich, weil Goves Sündenfall schon Jahrzehnte zurückliegt und andere Mitbewerber ebenfalls Drogenerfahrungen haben wie zum Beispiel Hunt und Raab (Cannabis) oder der etwas exzentrische Entwicklungsminister Rory Stewart (Opium). Doch der Skandal hat das Potenzial, seine Karriere zu beenden.
Michael Gove versuchte am Montag, seine Kandidatur zu retten, indem er auf seine Führungsqualitäten verwies. Aber es ist möglich, dass die Unterstützung seiner Fraktionskollegen jetzt zu einem anderen, ebenfalls eher moderaten Wettläufer schwenkt: Jeremy Hunt. Der 52-Jährige hatte im Referendum für den Verbleib gestimmt und warnt vor einem No-Deal-Brexit. Hunt gilt als das reichste Mitglied im Kabinett. Er hat seine Millionen als Unternehmer gemacht, bevor er in die Politik ging, und stilisiert sich als jemand, dem es im Blut läge, einen Deal abzuschließen. Am Donnerstag findet der erste Wahlgang statt, wobei der Letztplatzierte sowie jene Kandidaten, die weniger als 17 Stimmen bekommen, ausgesiebt werden. Dann wird sich zeigen, wie groß die Unterstützung für Johnson und wie realistisch die Chancen seiner Herausforderer sind.