Meinung

Europas Hilflosigkeit

Es braucht mutige Schritte


Ein Militärflugzeug nach dem Abzug der US-Truppen am Kabuler Flughafen. Wie kann es sein, dass die Partner ohne die amerikanischen Streitkräfte nicht einmal in der Lage waren, den Flughafen in Kabul zu sichern, um ihre Schutzbefohlenen zu retten?

Ein Militärflugzeug nach dem Abzug der US-Truppen am Kabuler Flughafen. Wie kann es sein, dass die Partner ohne die amerikanischen Streitkräfte nicht einmal in der Lage waren, den Flughafen in Kabul zu sichern, um ihre Schutzbefohlenen zu retten?

Die Katastrophe in Afghanistan hat die Hilflosigkeit Europas auf schonungslose Weise bloßgelegt - und offenbarte vor allem zwei Probleme: Zum einen fehlte den Europäern ein geostrategischer Blick in die Zukunft. Zum anderen haben sie sich auf gefährliche Weise abhängig von den USA gemacht. Wie kann es sein, dass die Partner ohne die amerikanischen Streitkräfte nicht einmal in der Lage waren, den Flughafen in Kabul zu sichern, um ihre Schutzbefohlenen zu retten? Ein Armutszeugnis, ja. Aber auch ein fatales Zeugnis, wie es um Europas Sicherheit bestellt ist. Das Kräfteverhältnis muss sich zumindest in Teilen ändern. Dass Washington, der bei weitem größte Beitragszahler der Nato und Sicherheitsgarant für Europa, weiterhin eine überaus bedeutende Rolle in der westlichen Verteidigungspolitik spielt, steht außer Frage. Doch weder verspüren die Amerikaner große Lust, unentwegt als Weltpolizist aufzutreten noch stehen Europas Bedürfnisse auf Joe Bidens Prioritätenliste allzu weit oben, wie die letzten Wochen gezeigt haben. Die EU muss fundamental umdenken und Afghanistan als letzten Weckruf verstehen, will sie denn glaubhaft sein. Dafür sind mutige Schritte nötig und ein großes Maß an Selbstreflexion. Wie ist es um die eigenen militärischen Fähigkeiten bestellt? Um die Infrastruktur, die Geheimdienste? Wie können mehr Solidarität und Zusammenhalt in diesem Verbund aus unterschiedlichen Nationalstaaten, Kulturen und Armeen erreicht werden? Verpasst es Europa, sich diesen Fragen zu stellen und mehr noch, werden keine Konsequenzen aus dem jüngsten Debakel gezogen, sind auch all jene Mühen, die europäischen Werte außerhalb der Gemeinschaft zu verteidigen, zwecklos. Bislang hat es an politischem Willen gefehlt, mehr in die Stärkung des Militärs zu investieren, Übungen und Missionen zu bündeln oder gar eine Art Streitkräfte der EU zu gründen. Afghanistan hat auf brutale Weise demonstriert, warum Europa schlichtweg die Pflicht hat zu handeln.

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