Russischer Angriffskrieg
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
11. Februar 2023, 6:15 Uhr aktualisiert am 11. Februar 2023, 21:13 Uhr
Die jüngste Welle russischer Raketenangriffe erzwingt erneut Notreparaturen am ukrainischen Energienetz. Mehrere Wärme- und Wasserkraftwerke seien beschädigt worden, sagte der Chef des Energieversorgers Ukrenerho, Wolodymyr Kudryzkyj, am Freitagabend im ukrainischen Fernsehen.
Besonders schlecht sehe es mit der Stromversorgung im Gebiet Charkiw aus. Wegen der Instabilität im ukrainischen Stromnetz musste am AKW Chmelnyzkyj ein Reaktorblock abgeschaltet werden, in den Kernkraftwerken Riwne und Südukraine wurde die Produktion gedrosselt.
Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte den russischen Angriff mit etwa 100 Raketen und Marschflugkörpern vom Freitag als Terror. In einer Videobotschaft berichtete er aber seinen Landsleuten, wie viel Unterstützung die Ukraine bei seiner Reise nach London, Paris und Brüssel in dieser Woche erfahren habe.
Am 24. Februar wird seit einem Jahr Krieg herrschen. US-Präsident Joe Biden kündigte einen Besuch beim wichtigen Ukraine-Unterstützer Polen kurz vor dem Jahrestag an.
Im Osten der Ukraine kämpfen Kiews Truppen nach Angaben ihres Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj weiter um die von russischen Kräften massiv angegriffene Stadt Bachmut. "Trotz konstantem Druck des Feindes halten wir Bachmut weiter unter Kontrolle und ergreifen Maßnahmen, um die Frontlinie um diese Stadt herum zu stabilisieren", teilte Saluschnyj nach einem Telefonat mit US-Generalstabschef Mark Milley am Samstag mit. Die Lage im Gebiet Donezk im Osten der Ukraine sei gespannt, weil Russland dort bis zu 50 Angriffe täglich ausführe.
Es gebe schwere Kämpfe um die Städte Wuhledar und Marjinka, sagte Saluschnyj. "In einigen Frontabschnitten haben wir es geschafft, zuvor verlorene Positionen wiederzuerlangen und dort Fuß zu fassen." Notwendig sei für die ukrainischen Streitkräfte allerdings eine solide Feuerkraft, für die es ausreichend Waffen und Munition brauche, sagte er in dem Gespräch mit Milley der Mitteilung nach.
Die USA unterstützen die Ukraine militärisch in dem Krieg so stark wie kein anderes Land. Die ukrainische Regierung hatte zuletzt neben Kampfpanzern vom Westen und einer modernen Flugabwehr auch Kampfjets gefordert. Saluschnyj dankte nach eigenen Angaben Milley für die Unterstützung und lobte, dass der US-Generalstabschef Verständnis zeige für die ukrainischen Erfordernisse im Kampf gegen Russland und für einen Sieg.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat weitere Schritte im Kampf gegen russische Agenten im Staatsdienst des Landes angekündigt. Der Geheimdienst, Ermittler und Staatsanwaltschaft könnten schon jetzt bedeutende Ergebnisse vorweisen beim Schutz staatlicher Institution vor jenen, die für den Aggressorstaat Russland arbeiteten, sagte Selenskyj in seiner am Samstag verbreiteten abendlichen Videobotschaft.
Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine werde diese Arbeit fortsetzen, sagte Selenskyj. Ziel sei es, die staatlichen Institutionen zu stärken und vor Einflussnahme von innen und von außen zu schützen. Selenskyj sicherte zudem mehr Transparenz bei der Arbeit staatlicher Einrichtungen zu.
Russland blockiert unterdessen mit seinen jüngsten Raketenangriffen nach eigenen Angaben auch Schienenwege für den Transport westlicher Waffen, Munition und Reserven in die Kampfzone. Das Verteidigungsministerium in Moskau machte am Samstag keine Angaben dazu, wo genau der Bahntransport blockiert worden sei. Allerdings hieß es im täglichen Militärbulletin, dass bei dem "massiven Schlag" mit Raketen und Drohnen am Freitag alle Ziele erreicht worden seien. Russland hatte immer wieder angekündigt, alle von den Nato-Mitgliedsstaaten an die Ukraine gelieferten Waffen zu zerstören. Überprüfbar waren die Angaben nicht.
"Es sind alle anvisierten Objekte getroffen worden", sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. So sei Energieinfrastruktur zerstört worden, mit der Betriebe der Militärindustrie und das Transportsystem der Ukraine versorgt würden. Die ukrainischen Behörden hatten am Freitag mitgeteilt, dass es nach den massiven Raketen- und Drohnenangriffen auf Energieanlagen vielerorts zu Stromausfällen kam. Den Angaben zufolge wurden aber die meisten Raketen und Drohnen durch die ukrainische Flugabwehr abgeschossen.
"London, Paris, Brüssel - überall habe ich in diesen Tagen darüber gesprochen, wie wir unsere Soldaten stärken können", sagte Selenskyj am Freitagabend in einer Videobotschaft. "Es gibt sehr wichtige Vereinbarungen, und wir haben gute Signale erhalten." Dies gelte für Raketen mit höherer Reichweite und Panzer. An der erhofften Lieferung von Kampfflugzeugen als nächster Stufe der Zusammenarbeit "müssen wir aber noch arbeiten".
In London habe er gespürt, dass die Briten der Ukraine wirklich den Sieg über die russische Invasion wünschen. Das Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Paris sei wichtig gewesen, um Argumente auszutauschen. "Es wird mehr Unterstützung geben", sagte Selenskyj.
Seine folgenden Besuche beim EU-Gipfel und beim Europäischen Parlament nannte er den "Beginn einer neuen Etappe", in der die Ukraine nicht mehr Gast der europäischen Institutionen sein werde, sondern vollwertiges Mitglied. Nach seinem Besuch in Washington im Dezember war es für Selenskyj die zweite Auslandsreise seit der russischen Invasion vor knapp einem Jahr.
Der polnische Präsident Andrzej Duda hat ausgeschlossen, dass sein Land im Alleingang Kampfjets an die Ukraine liefern würde. Eine solche Entscheidung müsse von den Nato-Verbündeten gemeinsam getroffen werden, sagte das Staatsoberhaupt wenige Tage vor einem geplanten London-Besuch dem britischen Sender BBC. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert mit Nachdruck die Lieferung von Kampfjets.
Duda betonte, dass eine Überlassung von F-16-Kampfjets von Polen an Kiew eine "sehr ernste Entscheidung" wäre, die nicht leicht zu treffen sei. Die Luftstreitkräfte seines Landes verfügten über weniger als 50 dieser Maschinen aus US-amerikanischer Produktion - das seien schon für Polen nicht genug. Der nationalkonservative Politiker wies zudem auf die logistischen Herausforderungen einer möglichen Lieferung an die Ukraine hin, die seit fast einem Jahr gegen den russischen Angriffskrieg kämpft.
Unter anderem Polen hatte die Nato-Partner zuletzt dazu gedrängt, nach Kampfpanzern auch die Lieferung von Kampfjets zu bewilligen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte kürzlich aber auch schon gesagt, nur für die Entsendung von Kampfjets zu sein, wenn dies eine Entscheidung der gesamten Nato wäre.
Beim Zeitplan für einen EU-Beitritt wolle die Ukraine keine Sonderrabatte, sie habe aber eine Sonderrolle, sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev. Daher verdiene sie - bei Einhaltung aller Kriterien - auch besondere Geschwindigkeit, sagte er im Deutschlandfunk. Die Korruption in der Ukraine nannte der Botschafter eine Pest, die gerade überwunden werde. Das sei nicht nur wichtig mit Blick auf eine Aufnahme in die EU, sondern auch eine entscheidende Sicherheitsfrage im Abwehrkampf gegen Russland.
Sein Land werde bis zu einem Sieg gegen Russland durchhalten, sagte Makeiev. Die Ukraine habe keine andere Wahl, auch wenn sie gegen einen Riesen kämpfe. Schließlich sei nicht nur die Freiheit des Landes bedroht, sondern seine Existenz als eigenständiger Staat.
US-Präsident Biden wird vor dem ersten Jahrestag des Kriegsbeginns an die Nato-Ostflanke nach Polen reisen. Er werde bei seinem Besuch vom 20. bis 22. Februar unter anderem den polnischen Präsidenten Andrzej Duda treffen, kündigte das Weiße Haus an. Geplant sei auch eine Rede Bidens mit Blick auf den 24. Februar. Polen ist ein wichtiger Unterstützer der Ukraine. Über seine östliche Grenze kommt ein Großteil der ausländischen Militärhilfe in das angegriffene Land.
Bidens Besuch wird sich mit einem wichtigen Auftritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin überschneiden. Der Kremlchef will am 21. Februar in Moskau seine alljährliche Rede an die Nation halten - ebenfalls abzielend auf den Jahrestag. 2022 war die Rede ausgefallen.