Bundesverfassungsgericht

Minister Herrmann hält an Kennzeichenerkennung fest


Die automatisierte Erkennung von Nummernschildern ist in Teilen grundgesetzwidrig, hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden. (Symbolbild)

Die automatisierte Erkennung von Nummernschildern ist in Teilen grundgesetzwidrig, hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden. (Symbolbild)

Von Redaktion idowa

Das Bundesverfassungsgericht schützt unverdächtige Autofahrer vor zu weitgehender Erfassung ihrer Nummernschilder durch die Polizei. Nach Klagen mehrerer Privatleute aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg erklärten die Karlsruher Richter die Vorschriften zum automatischen Abgleich von Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdaten in den drei Ländern zum Teil für verfassungswidrig. Diese Regelungen verstießen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, heißt es in den am Dienstag veröffentlichten Beschlüssen.

Der Kennzeichen-Abgleich zur Gefahrenabwehr ist in den Polizeigesetzen der Länder geregelt. Gegenstand der Klagen waren nur die Vorschriften in den drei Bundesländern, sie dürfen in dieser Form höchstens bis Ende des Jahres in Kraft bleiben. Auch andere Länder haben solche Kontrollen in ihren Polizeigesetzen vorgesehen.

Dabei werden mit speziellen Geräten an der Fahrbahn die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Autos gescannt und kurz mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfasst. Die Insassen bekommen davon nichts mit. Ergibt der automatisierte Abgleich mit dem Fahndungsbestand keinen Treffer, werden die Daten sofort wieder gelöscht. Zeigt das System eine Übereinstimmung an, überprüft ein Polizist den Fall und schlägt gegebenenfalls Alarm.

Die Polizei nutzt die Kennzeichen-Kontrollen, um gestohlene Autos zu finden oder polizeibekannte Unruhestifter auf dem Weg zu einer Großveranstaltung oder einer Demonstration abzupassen. Auch im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität oder beim Aufspüren von Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung kommt das Verfahren zum Einsatz.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hingegen sieht sich durch das Urteil des Verfassungsgerichts bestätigt, an diesem Fahndungsmittel festzuhalten: "Unsere Automatisierte Kennzeichenerkennung an polizeilichen Kontrollstellen und im Rahmen der Schleierfahndung ist mit der Verfassung grundsätzlich vereinbar. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft nicht den Kern der eingeräumten Befugnisse, sondern nur einzelne Aspekte ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung", wird Herrmann in einer Pressemitteilung des Ministeriums zitiert.

Nach Herrmanns Worten zeigen die Fahndungserfolge, wie wichtig die Kennzeichen-Erkennung für mehr Sicherheit sei. "Selbstverständlich werden wir unsere Automatisierte Kennzeichenerkennung bis Ende 2019 den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anpassen", erklärte Herrmann. Laut Herrmann konnte die Bayerische Polizei mit der Autokennzeichen-Erkennung eine Vielzahl gestohlener Fahrzeuge feststellen und deren Verschiebung ins Ausland verhindern sowie erhebliche Mengen Rauschgift sicherstellen. Ferner wurden laut Herrmann Schleusungen aufgedeckt oder beispielsweise Diebesbanden dingfest gemacht und somit weitere Wohnungseinbruchdiebstähle durch diese Gruppierungen verhindert. Dank der Treffermeldungen konnten Polizisten auch Personen retten, die in Selbstmordabsicht unterwegs waren und beispielsweise eine junge Frau nach vorangegangener Entführung und Vergewaltigung aus den Fängen des Täters befreien.

Bayern nutzt die Geräte beispielsweise seit 2006. Nach Angaben, die die Landesregierung dem Gericht 2017 gemacht hat, betrieb der Freistaat damals 19 stationäre Anlagen an zwölf Standorten und zwei mobile Geräte. Knapp 8,9 Millionen Fahrzeuge im Monat passierten demzufolge 2016 durchschnittlich die Anlagen. Baden-Württemberg hingegen hatte damals nur ein Gerät für einen Pilotversuch.

Die Verfassungsrichter hatten 2008 schon einmal wichtige Vorgaben zum Kennzeichen-Abgleich gemacht. Damals erklärten die Richter die Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein für nichtig, weil sie unverhältnismäßig und unklar waren. So sei etwa nicht auszuschließen, dass über längere Zeit ganze Bewegungsprofile erstellt würden.

Die neuen Entscheidungen gehen darüber noch hinaus. 2008 hatte der Erste Senat angenommen, dass nur dann Grundrechte berührt sind, wenn die Daten nicht sofort gelöscht werden. Jetzt gehen die Richter davon aus, dass das immer der Fall ist - schon der Scan an sich sei freiheitsbeeinträchtigend. "Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden", heißt es in einem der Beschlüsse.

Im Einzelnen gibt es unterschiedliche Beanstandungen. Bayern etwa hat gar keine Gesetzeskompetenz, um den Abgleich unmittelbar zum Grenzschutz zu erlauben, das ist Sache des Bundes. Außerdem müssen die Kontrollen dort verpflichtend dokumentiert werden. Zur Schleierfahndung dürfen die Scans in allen drei Ländern nur mit Grenzbezug und nicht auf allen Durchgangsstraßen eingesetzt werden. Baden-Württemberg und Hessen müssen künftig die Fahndungsdaten enger eingrenzen, mit denen beim konkreten Einsatz abgeglichen wird.

Der bayerische Informatiker Benjamin Erhart hatte sich wegen der Kontrollen seit 2008 durch alle Instanzen geklagt - erst jetzt in Karlsruhe mit Erfolg. Er äußerte sich erfreut, bedauerte aber, dass "es so lange gedauert hat". Der Piraten-Politiker Patrick Breyer kritisierte, dass die "permanente massenhafte automatisierte Kontrolle der gesamten Bevölkerung" immer weitere Kreise ziehe. Er selbst hat nach eigenen Angaben 2018 Verfassungsbeschwerde gegen den Kennzeichen-Abgleich durch die Bundespolizei eingereicht.