Politik
SPD fordert Söders Diäten zurück
14. April 2023, 17:55 Uhr
MÜNCHEN - Wo ist Markus Söder? Zuletzt sorgte die Abwesenheit des Ministerpräsidenten während der Haushaltsdebatte für Kritik: Kein einziges Mal erschien der CSU-Chef während der dreitägigen Beratungen im Plenum des Bayerischen Landtags. "Lässt sich seine Hoheit heute noch blicken?", spottete SPD-Fraktionschef Florian von Brunn.
Das wusste bei der CSU zunächst niemand. Später hieß es eher ausweichend, Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sei an allen drei Tagen in der Vollversammlung gewesen.
Nun fordern die Sozialdemokraten, die das wiederholte Fehlen des Ministerpräsidenten während der Parlamentssitzungen schon mehrfach kritisiert haben, Konsequenzen finanzieller Natur: Söder solle einen Teil der Diäten zurückzahlen, die er im vergangenen Jahr in seiner Funktion als Landtagsabgeordneter erhalten habe - 42 225 Euro, um genau zu sein.
"Markus Söder hat 2022 an 25 von 30 Plenartagen gefehlt", sagt SPD-Generalsekretärin Ruth Müller. Söder bekomme zusätzlich zu seinem Gehalt als Ministerpräsident als Abgeordneter noch eine halbe Diät, also 4222,50 Euro pro Monat. Das mache 50 670 Euro pro Jahr oder 1689 Euro pro Plenartag. "Multipliziert man diesen Betrag mit 25 - also der Zahl der Tage, an denen er nicht da war - kommt man auf 42 225 Euro", rechnet Müller vor. "Diesen Betrag bekommt er einfach, Kraft seines Amtes. Aber das finde ich nicht in Ordnung: Man muss auch etwas tun für sein Amt. Deshalb wollen wir, dass Markus Söder dieses Geld zurückzahlt und es dem Staatshaushalt wieder zur Verfügung steht - oder dass er es spendet."
Für die Landshuterin, die seit 2013 im Landtag sitzt, ist das eine Frage des politischen Anstandes, wie sie sagt: "Wir leben in einer schwierigen Zeit: sei es Corona, die Inflation, der Krieg, die steigenden Energiepreise oder die Sorge um den Arbeitsplatz. Alles wird teurer, das merken die Menschen im Geldbeutel - und Markus Söder bekommt noch Tausende von Euro fürs Blaumachen. Das verstehen die Leute nicht."
Allerdings weist das Landtagsamt darauf hin, dass ein Verzicht auf die Entschädigung laut Bayerischem Abgeordnetengesetz unzulässig ist - was bleibt, ist die Möglichkeit einer Spende.
Ruth Müller: "Nicht alles, was man tun darf, ist auch moralisch in Ordnung"
Gegen Recht und Gesetz verstößt Söder nicht. Zwar heißt es in Paragraf 4 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag: "Zu den Pflichten der Abgeordneten gehört es, insbesondere an den Sitzungen und Beratungen des Landtags teilzunehmen." Dort steht aber auch: "Kann ein Mitglied des Landtags wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen an Plenarsitzungen nicht teilnehmen, so soll es dies rechtzeitig dem Präsidenten mitteilen."
Trotzdem bleibt Ruth Müller bei ihrer Kritik: "Nicht alles, was man tun darf, ist auch moralisch in Ordnung." Wenn Markus Söder wegen einer Ministerpräsidentenkonferenz nach Berlin müsse, sei das selbstverständlich wichtig - unlängst sei er dem Plenum aber wegen seiner Kino-Tour "Söder persönlich" ferngeblieben. Da frage man sich schon, warum dieser Termin auf einen Sitzungstag gelegt worden sei.
Welche Veranstaltungen der Ministerpräsident dem Haushalts-Marathon im Maximilianeum vorzog, lässt sich über seinen Twitter-Account nachvollziehen: Er absolvierte Termine beim Beamtenbund, bei Audi, der MT Aerospace in Augsburg und präsentierte bei der MVG vor Fotografen ein überdimensionales 49-Euro-Ticket.
Böse Zungen würden mit Blick auf die Landtagswahl im Oktober wohl formulieren, der CSU-Chef habe lieber PR in eigener Sache gemacht, als sich mit trockenen Staatsfinanzen zu beschäftigen.
"Es sollte den Ministerpräsidenten aber schon interessieren, was im Landtag passiert", findet die SPD-Generalsekretärin. "Natürlich können CSU und Freie Wähler mit ihrer Mehrheit im Prinzip alles durchsetzen, was sie wollen. Doch ein Parlament lebt vom Austausch und der Ministerpräsident sollte auch den Argumenten der Opposition zuhören." Dies bliebe bei Söder zu häufig auf der Strecke - "während er immer Zeit dafür findet, Bäume zu umarmen oder eine Tierpatenschaft zu übernehmen".
CSU-Generalsekretär Martin Huber: "Was für ein unverschämter Quatsch"
Bei der CSU stößt die SPD-Forderung naturgemäß auf harsche Ablehnung. "Was für ein unverschämter Quatsch. Der Ministerpräsident ist tagtäglich und unermüdlich für ganz Bayern und das Wohl aller Menschen im Einsatz", sagt Generalsekretär Martin Huber der AZ. "Es wäre schön, wenn sich Politikerinnen und Politiker der Opposition nur einen Bruchteil so viel für den Freistaat einsetzen würden, anstatt die Zeit mit sinnlosem Wahlkampfgetöse zu vergeuden", findet er.
Landtagspräsidentin Ilse Aigner fordert Söder auf, häufiger zu erscheinen
Und wie denkt Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) über Söders Abwesenheit? "Ich habe volles Verständnis dafür, wenn ein Regierungschef nicht so häufig im Landtag sein kann wie andere Abgeordnete. Unser Ministerpräsident ist ein stark gefragter Politiker", sagte sie im Dezember der "SZ" - und schob hinterher: "Unser Parlament kann gar nicht genug von ihm bekommen. Deshalb hoffe ich sehr, dass er im nächsten Jahr öfters im Plenum präsent sein kann." Nach AZ-Informationen forderte Aigner Söder im Nachgang auf, doch bitte öfter im Plenum zu erscheinen.
Tatsächlich zeigen die Regierungchefs der anderen Bundesländer mehr Präsenz in ihren Parlamenten. "Wir wissen, dass die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer so gut wie immer da ist - und Frau Dreyer hat MS. Auch Manuela Schwesig, die an Krebs erkrankt war, hat vergangenes Jahr an 23 von 34 Sitzungen in Mecklenburg-Vorpommer teilgenommen - trotz sechswöchiger Reha", sagt Müller.
Eine Umfrage der AZ bei den Landtagsämtern der 15 anderen Bundesländer zeigt ebenfalls: Nirgendwo war die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident in der laufenden Legislaturperiode bei Plenarsitzungen - soweit nachvollziehbar - so oft abwesend wie Markus Söder allein im vergangenen Jahr.
AZ-Umfrage: Wie oft sind andere Regierungschefs abwesend?
Wie oft haben die Regierungschefinnen und -chefs der deutschen Bundesländer in der jeweils laufenden Legislaturperiode wegen der Ministerpräsidentenkonferenz, Bundesratsterminen, aus Krankheits- oder anderen Gründen ganztägig oder teilweise bei Plenarsitzungen des Landesparlamentes gefehlt?
Die AZ hat nachgefragt:
Baden-Württemberg: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat seit Mai 2021 bei zehn von 61 Plenarsitzungen ganz oder stundenweise gefehlt.
Bayern: In den Plenarprotokollen aus dem Maximilianeum werden weder Anwesenheit noch Abwesenheit der Abgeordneten festgehalten. Da Mitglieder der Staatsregierung nicht verpflichtet sind, sich in die Präsenzlisten einzutragen, geben auch sie keine Auskunft darüber, wie oft Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an den 142 Vollversammlungen seit November 2018 auf der Regierungsbank saß. Im vergangenen Jahr allerdings hat die SPD eine "Strichliste" geführt.
Berlin: Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) war laut Plenarprotokollen seit Dezember 2021 bei sechs von 25 Senatssitzungen ganz oder teilweise abwesend.
Brandenburg: "Die An- und Abwesenheit des Ministerpräsidenten im Plenum wird nicht gesondert aufgelistet", schreibt die Landtagsverwaltung der AZ. Wie oft Dietmar Woidke (SPD) seit November 2019 an den 84 Sitzungen teilgenommen hat, bleibt daher offen.
Bremen: Die Bürgerschaft erfasse in ihren Plenarprotokollen nicht explizit, wann Senatsmitglieder an- oder abwesend seien, teilt die Pressesprecherin mit. Zu Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) vermerkt sie: "Aus der Erfahrung und Beobachtung heraus, ist der Bürgermeister allerdings regelmäßig im Parlament zugegen."
Hamburg: Bei der Bürgerschaft der Freien Hansestadt wird die Anwesenheit der Senatsvertreterinnen und - vertreter ebenfalls nicht im Protokoll erfasst. Wie oft der Erste Bürgermeister Peter Tschenscher (SPD) seit Februar 2020 an den 66 Sitzungen teilnahm, bleibt daher unklar.
Hessen: Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) nahm seit Mai 2022 an zwei von 28 Plenarsitzungen nicht teil.
Mecklenburg-Vorpommern ließ die Anfrage der AZ leider unbeantwortet.
Niedersachsen: Regierungschef Stephan Weil (SPD) war seit November 2022 bei allen zwölf Plenarsitzungen, wie aus den Protokollen hervorgeht.
Nordrhein-Westfalen: Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) war seit Juni 2022 bei sechs von 29 Plenarsitzungen nicht dabei.
Rheinland-Pfalz: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) blieb zwei der 40 Sitzungstage seit Beginn der Legislatur im Mai 2021 fern.
Saarland: Regierungschefin Anke Rehlinger (SPD) war seit April 2022 bei vier von zwölf Sitzungen verhindert.
Sachsen: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat seit Oktober 2019 an drei der 68 Plenarsitzungen nicht teilgenommen.
Sachsen-Anhalt: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) fehlte seit Juni 2021 bei acht von 39 Plenarsitzungen.
Schleswig-Holstein: Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ließ sich seit Juni 2022 an acht von 24 Tagen ganztägig oder teilweise entschuldigen.
Thüringen: Seit März 2020 trat der Landtag in Erfurt 106 Mal zusammen. Laut den Plenarprotokollen bis zur 98. Sitzung war Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) neun Mal abwesend.