Politik
SPD-Generalsekretärin Ruth Müller: "Bei mir daheim bin ich einfach die Ruth!"
19. Januar 2023, 17:26 Uhr aktualisiert am 19. Januar 2023, 17:26 Uhr
AZ Interview mit Ruth Müller: Die 55-Jährige ist gebürtige Münchnerin und lebt seit ihrer Kindheit in Niederbayern. 2013 wurde sie für die SPD in den Landtag gewählt. Gemeinsam mit ihrem Vize Dr. Nasser Ahmed wird sie als Generalsekretärin die SPD in den Wahlkampf führen.
AZ: Frau Müller, die SPD will in diesem Wahljahr für eine andere Regierungsmehrheit kämpfen. Schaut man sich die Umfragen an, braucht es aber schon viel Fantasie, sich eine solche vorzustellen.
RUTH MÜLLER: Es braucht nicht Fantasie, sondern Zuversicht und ein gutes Programm! Und dann schaffen wir das auch. Wir erarbeiten derzeit unser Programm, das wir dann im Landesvorstand auf den Weg bringen wollen. Ich glaube, dass wir gute Lösungen für eine zukunftsgerichtete Politik in Bayern hinbringen.
Gibt es eine Koalition mit Beteiligung der SPD, die Sie sich realistischerweise vorstellen können?
Das kommt aufs Wahlergebnis an. Wir schließen nur undemokratische Parteien grundsätzlich als Partner aus. Alles andere muss man auf sich zukommen lassen. Und vor allem stellt sich nach der Wahl die Frage, was man mit einer Koalition erreichen kann. Schließlich wollen wir mit jemandem regieren, mit dem wir auch einen Großteil unseres Wahlprogramms umsetzen können.
Was zeichnet Ihren Spitzenkandidaten Florian von Brunn aus, um den bayerischen "Scholz" im Wahlkampf machen zu können?
Auf wie viele Eigenschaften soll ich mich beschränken (lacht)? Ich arbeite mit Florian von Brunn schon seit Jahren in Ausschüssen und in der Fraktion zusammen. Von daher weiß ich, wie hartnäckig er ist, wenn es um politische Ziele geht. Und wie schnell er im Denken ist. Außerdem ist er jemand, der die Leute hinter sich versammeln kann. Es braucht ein Team, in dem man sich vertrauen kann und das auch anderen vertraut. Das ist eine der wichtigsten Eigenschaften bei einem Spitzenkandidaten und das hat man ja auch bei Olaf Scholz gesehen.
Kein Beleg für gute Teamarbeit scheint es allerdings zu sein, dass die Fraktion erst sehr spät von den Vorwürfen gegen Arif Tasdelen erfahren hat.
Das war ja keine Sache der Fraktion. Aber wichtig ist auch: Hier geht es um Persönlichkeitsrechte - vor allem auch der betroffenen Frauen. Deshalb war der Kreis begrenzt.
Wie konnte das trotzdem rauskommen und wie haben Sie davon erfahren?
Ich weiß es nicht. Ich habe es persönlich von Florian von Brunn erfahren.
Was ist denn jetzt genau zwischen Herrn Tasdelen und den jungen Frauen vorgefallen?
Das weiß ich nicht, weil ich nicht dabei war. Mir gegenüber hat sich Arif Tasdelen immer völlig korrekt verhalten.
Das Ganze soll jetzt aufgearbeitet werden. Wann wird es dazu ein Ergebnis geben?
Es wird eine Kommission geben, die mit den Betroffenen sprechen wird. Unter anderem ist Franz Maget dabei und Vertreter der Jusos, außerdem Carmen König-Rothemund, die auch Juristin ist. Ich habe vollstes Vertrauen, dass sie den Prozess sehr gut moderieren und zu einem Ergebnis kommen werden, hinter dem sich alle versammeln können. Das Thema Umgang zwischen Männern und Frauen ist ja eines, das man ständig hat. Aber wann das sein wird, steht noch nicht fest.
Heißt das dann, dass die SPD-Landtagsfraktion Nachhilfe braucht beim Umgang zwischen Frauen und Männern?
Nein. Aber die SPD ist eine Volkspartei mit ganz unterschiedlichen Menschen. Und da gibt es vielleicht den einen oder anderen, der Verhaltensweisen anders beurteilt. Genau wie in der Gesellschaft auch.
Ihr Spitzenkandidat polarisiert sehr stark. Wie erklären Sie sich das?
Als Spitzenkandidat muss man auch mal polarisieren können. Aber wichtig ist es ja vor allem, dass sich alle hinter der Person versammeln. Am Nominierungsparteitag hatte ich absolut nicht den Eindruck, dass die Delegierten das nicht tun. Florian von Brunn ist mit 93 Prozent Zustimmung gewählt worden. Mein Anliegen als Generalsekretärin ist: Wenn es Gräben gibt, überwindet man sie, indem man sich die Hände reicht.
Vor fünf Jahren machte die Bayern-SPD bezahlbares Wohnen zu Ihrem zentralen Wahlkampfthema - und scheiterte historisch. Welche Anliegen wollen Sie 2023 nach vorne stellen?
Tatsächlich ist das Thema Wohnen immer noch ein sehr wichtiges! 33 Prozent der Haushalte sind davon betroffen, dass sie mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für Miete und Nebenkosten ausgeben müssen. Die Ausprägung des Problems ist regional unterschiedlich: Im städtischen Bereich geht es um die Bezahlbarkeit der Miete. Im ländlichen Raum würden viele Menschen gerne ein Eigenheim bauen, schaffen das aber nicht, weil der Grund fehlt oder es zu teuer geworden ist.
Aber es soll weitere Schwerpunkte geben ...
Ja, zum Beispiel die Energieversorgung. Da haben CSU und Freie Wähler viel verschlafen! Die CSU tat so, als wären Windräder so gefährlich wie Atomkraftwerke. Wenn ich mir anschaue, wie nahe Isar 2 am Kirchturm und den Häusern ist, passt das nicht so ganz. Die Freien Wähler haben die Meinung vertreten, dass Stromleitungen Monstertrassen sind. Wenn man die Leute auf die Bäume scheucht, ist es schwer, sie wieder runter zu kriegen. Wir wollen jedoch dafür sorgen, dass Infrastruktur in Bayern schneller erneuert und ausgebaut wird. Und nicht zuletzt ist auch Sozialpolitik ein ganz wichtiges Thema: Lehrerstellen, Kitaplätze und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Überschrift lautet: Soziale Politik für Dich!
Soziale Gerechtigkeit scheint aber kein großes Thema für die Bayern zu sein. Laut einer Umfrage sind knapp zwei Drittel der Meinung, dass es in Bayern gerecht zugeht.
Viele Leute übersehen dabei vielleicht, was alles zur sozialen Gerechtigkeit gehört. Zum Beispiel die Frage, ob es genügend Kitaplätze gibt. Oder eine ausreichende Rente für Frauen. Wenn ich unterwegs bin, nehme ich aber schon viel Unzufriedenheit wahr. Ich glaube eher, dass sich viele Leute mit vielem abgefunden haben. Das heißt aber nicht, dass das so bleiben muss.
Als erste Generalsekretärin haben Sie einen Stellvertreter an Ihrer Seite. Wie werden Sie sich aufstellen?
Ich bin erst mal froh, dass Nasser Ahmed ja gesagt hat. Er kommt aus einer anderen Generation und steht für den fränkischen und für den städtischen Raum. Ich freue mich, wenn er diese Expertise einbringen kann. Wir werden uns geografisch aufteilen, allein schon aus ökologischen und Effizienzgründen.
Haben Sie nicht ein bisschen die Sorge, dass Ihnen die Tatsache, dass es jetzt noch einen zweiten Generalsekretär gibt, als Schwäche ausgelegt wird?
Nein, die Sorge habe ich nicht. Frauen können Macht teilen und ich finde es gut, wenn auch andere Talente sich einbringen können.
Wann werden Sie denn jetzt zum Wadlbeißer?
Zur Wadlbeißerin (lacht)! Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt mal werde. Meine Fähigkeiten sind vor allem Integrationsfähigkeit, mit Menschen umzugehen und ansprechbar zu sein. Aber ich komme nicht umsonst aus Niederbayern. Wir können schon klare Ansagen machen, wenn's sein muss.
Mit Christian Bernreiter von der CSU und Hubert Aiwanger von den Freien Wählern haben Sie es im Wahlkampf in Niederbayern mit zwei Kabinettsmitglieder zu tun. Erhoffen Sie sich von Ihrem neuen Amt in der SPD Rückenwind?
Das ist nicht der Grund gewesen, Generalsekretärin zu werden. Die zwei sind mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Wenn ich Christian Bernreiter sehe, dann habe ich schon manchmal den Eindruck, als ob er sich fragen würde: "Mein Gott, was bin ich für ein Depp, dass ich nicht Landrat geblieben bin." Ob Hubert Aiwanger sich weiterhin mit der Rolle der ungeliebten Verwandtschaft in der Regierung - und jetzt hätte ich beinahe gesagt als Hofnarr von Markus Söder - zufriedengeben wird, das wird man sehen. Die Liebe zwischen Markus Söder und Hubert Aiwanger wird sicherlich vor dem 8. Oktober noch abkühlen.
Schaden dürfte der Niederbayern-SPD im Wahlkampf mehr Prominenz aber auch nicht, oder?
Ich weiß nicht, ob ich prominent bin, nur weil ich jetzt Generalsekretärin bin. Bei mir daheim bin ich einfach die Ruth. Und viele Leute haben sich mit mir gefreut und mir gesagt, dass ich mit meiner Bodenständigkeit genau die Richtige für den Posten sei. Meine Nachbarinnen haben mir gesagt, dass ich jederzeit klingeln kann, wenn's ein bisschen viel wird. Und das, glaube ich, zeigt auch, wie mein Umfeld ist.