Todesfahrt
Tote und Verletzte bei Weihnachtsmarkt-Attacke in Magdeburg
20. Dezember 2024, 23:05 Uhr aktualisiert am 21. Dezember 2024, 13:05 Uhr
Der mutmaßliche Täter hinter der Todesfahrt vom Magdeburger Weihnachtsmarkt ist als islamkritischer Aktivist bekannt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bezeichnet sich der 50-jährige Arzt, der aus Saudi-Arabien stammt und seit 2006 in Deutschland lebt, selbst als Ex-Muslim. Er war nach der Todesfahrt festgenommen worden. Die Polizei kennt nach eigenen Angaben noch keine Hintergründe zur Tat - geht aber von einem Einzeltäter aus. Kanzler Olaf Scholz, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) und Bundesjustizminister Volker Wissing sind am Tag nach der Tat nach Magdeburg gekommen.
Wirre Vorwürfe im Netz
Der Mann wird verdächtigt, mit einem Auto am frühen Freitagabend auf einem Weihnachtsmarkt in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt in eine Menschengruppe gefahren zu sein. Nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist die Zahl der Toten auf fünf gestiegen. "Wir haben fünf Menschenleben zu beklagen und über 200 Verletzte, davon viele schwerst und schwer verletzt", sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).Viele Fragen sind offen - allen voran nach den Motiven des festgenommenen Tatverdächtigen. "Wir ziehen alles in Betracht", sagte eine Sprecherin der Polizei am Samstagmorgen.
In sozialen Medien und Interviews erhob der Tatverdächtige zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: "Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland."
Haseloff kündigte eine umfassende Aufarbeitung der Attacke an. Er sprach von einem "menschenverachtenden Anschlag". "Eine solche Tragödie an einem Ort, an dem Familien und Freunde voller Vorfreude auf das Fest gemeinsam schöne Stunden verbringen wollten, macht fassungslos." Der Ministerpräsident sprach von einer Dimension, die sich "keiner von uns vorstellen konnte". Die Polizei äußerte sich zunächst zurückhaltend zu der Frage, ob sie die Tat als Anschlag wertet. Man sei noch in der Klärung, hieß es.
Scholz und Faeser in Magdeburg erwartet
Scholz, Faeser und Wissing reisten am Tag nach der Tat in die Landeshauptstadt nach Sachsen-Anhalt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die tödliche Attacke als "furchtbare, wahnsinnige Tat". Es gebe keinen friedlicheren und fröhlicheren Ort als einen Weihnachtsmarkt, sagte Scholz am Tatort in Magdeburg. "Was für eine furchtbare Tat ist das, dort mit solcher Brutalität so viele Menschen zu verletzen und zu töten." Am Abend soll es im Dom eine Gedenkfeier geben. Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt ordnete bis Montag Trauerbeflaggung an allen Dienstgebäuden des Landes an.
Am Morgen nach der Tat war der Weihnachtsmarkt komplett abgeriegelt, die Buden und der Baum waren aber noch erleuchtet. Blumensträuße und Kerzen wurden vor der Johanniskirche abgelegt. Nur vereinzelt waren nach Angaben eines dpa-Reporters Passanten unterwegs.
Mutmaßlicher Täter war Facharzt für Psychiatrie
Der Tatverdächtige wurde nach Angaben aus der Nacht verhört. Weiterhin gehen die Ermittlungsbehörden von einem Einzeltäter aus. Hinweise, nach denen ein zweites, möglicherweise tatrelevantes Auto in der Innenstadt gesichtet wurde, hätten sich nicht bestätigt, teilte die Polizei auf X mit. Es würden unter anderem Durchsuchungen durchgeführt, sagte eine Sprecherin. Am Morgen sagte sie, es laufe eine Durchsuchung in Bernburg.
Der mutmaßliche Täter hat als Facharzt für Psychiatrie in Sachsen-Anhalt gearbeitet. Wie eine Sprecherin der Betreibergesellschaft Salus auf Anfrage mitteilte, war der 50 Jahre alte Arzt im Maßregelvollzug in Bernburg (Sachsen-Anhalt) tätig. Er habe mit suchtkranken Straftätern gearbeitet und sei seit März 2020 in der Einrichtung tätig gewesen. Nach Informationen der dpa hatte das Gesundheitsministerium von Sachsen-Anhalt noch in der Nacht die Personalakte des Mannes angefordert und den Ermittlungsbehörden übergeben.
400 Meter über das Gelände
Der Täter soll mit einem Leihwagen in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gerast sein. Nach Angaben der "Bild" unter Berufung auf die Polizei erstreckte sich die Fahrt auf dem Gelände über 400 Meter.
Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte, der Kanzler werde "mit uns die Lage bewerten" und Maßnahmen besprechen, die notwendig seien. Bundesinnenministerin Faeser hatte zuletzt wiederholt zu Wachsamkeit bei Weihnachtsmarktbesuchen aufgerufen. Konkrete Gefährdungshinweise gebe es nicht, hatte sie Ende November gesagt.
Oberbürgermeisterin unter Tränen
Bei der Tat - fast auf den Tag genau acht Jahre nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche - kamen laut Haseloff ein Erwachsener und ein Kleinkind ums Leben. Nach Angaben der Polizei gab es über 60 Verletzte, darunter mehrere Schwerstverletzte. Haseloff sagte, weitere Tote könnten nicht ausgeschlossen werden. "Das ist eine Katastrophe für die Stadt Magdeburg und für das Land und auch generell für Deutschland."
Man wolle bei der Gedenkfeier am Abend im Dom Betroffenen, Angehörigen und allen anderen Bürgern eine Möglichkeit zum Trauern geben, sagte Oberbürgermeisterin Simone Borris am Abend unter Tränen vor Journalisten. "Wir werden eine lange Zeit zum Trauern brauchen", sagte sie sichtlich fassungslos. "Wir werden das alles umfassend aufarbeiten."
Die AfD-Landtagsfraktion forderte eine Sondersitzung des Innenausschusses - auch zur Aufklärung möglicher Verfehlungen oder Versäumnisse. Es sei zu hinterfragen, ob das Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarkts so aufgestellt worden sei, dass man die Tat hätte verhindern können, sagte der innenpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Matthias Büttner.
Video soll Festnahme des Verdächtigen zeigen
Ein Handyvideo soll die Festnahme des Verdächtigen zeigen. In dem Clip ist zu sehen, wie ein Polizist seine Waffe auf den Verdächtigen richtet und ihm zuruft, sich hinzulegen: "Die Hände auf den Rücken!" und "Bleib liegen!" Der Mann legt sich neben einem schwarzen - sichtbar beschädigten - Auto auf den Boden und befolgt die Anweisungen. Schließlich kommt Verstärkung, mehrere Polizisten springen aus dem Einsatzwagen und umkreisen den liegenden Verdächtigen.
Der AfD-Politiker Tobias Rausch wurde nach eigenen Angaben selbst Zeuge der Attacke auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. "Wenn man das miterlebt hat, das war erschreckend, wie die Panik ausgebrochen ist, wie die Leute umgefallen sind", schilderte Rausch seine Eindrücke am Morgen danach vor Pressevertretern in Magdeburg. "Auf einmal hat man ein dumpfes Geräusch gehört, da waren schon Schreie, Panik ist ausgebrochen." Ein Motor habe laut aufgeheult, Scheinwerfer seien auf ihn und seine Begleitung zugekommen. "Meine Begleitung sagte geistesgegenwärtig, der fährt auf uns zu, rennt weg."
Bundesländer erhöhen Polizeipräsenz an Weihnachtsmärkten
Einige Bundesländer verschärfen ihre Sicherheitsvorkehrungen auf den Weihnachts- und Adventsmärkten. So soll etwa in Berlin, Bayern und Hamburg die Polizeipräsenz auf den Märkten erhöht werden. Der Magdeburger Weihnachtsmarkt soll geschlossen bleiben.
Rund acht Jahre nach Berliner Weihnachtsmarktanschlag
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, war in Berlin ein islamistischer Terrorist mit einem entführten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Dabei wurden 12 Menschen getötet, das 13. Opfer starb 2021 an den Folgen. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde. Die Berliner Polizei erhöht nun ihre Präsenz auf den Berliner Weihnachtsmärkten nach der tödlichen Attacke auf den Magdeburger Markt. Das teilte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mit.