Rottenburg

Mordprozess: Asylbewerber erstach Mitbewohner im Streit


Dem Angeklagten Mohamed S. werden im Gerichtssaal des Landgerichts in Landshut von einem Polizeibeamten die Handschellen abgenommen.

Dem Angeklagten Mohamed S. werden im Gerichtssaal des Landgerichts in Landshut von einem Polizeibeamten die Handschellen abgenommen.

Von kö

Der eine wollte die Zimmertür stets abgesperrt haben; der andere nicht. In der Asylbewerberunterkunft in Dorfen hatte es aus diesem Grund bereits häufiger Zoff zwischen Hassan M. und seinem Mitbewohner gegeben. In der Nacht auf den 21. Februar eskalierte die Situation: Am Ende lag einer der beiden Asylbewerber, die sich acht Monate lang ein Zimmer geteilt hatten, in seinem Blut. Der 38-jährige Hassan M. muss sich jetzt wegen Mordes vor der als Schwurgericht tagenden ersten Strafkammer des Landgerichts verantworten.

Laut der von Staatsanwalt Achim Kinsky vertretenen Anklage war es am 21. Februar gegen 0.30 Uhr im gemeinsamen Zimmer der beiden Männer in der Asylbewerberunterkunft erneut zum Streit gekommen. M. hielt dabei ein Klappmesser in seiner Hand verborgen. Im Verlauf der Auseinandersetzung öffnete der Angeklagte plötzlich das Messer mit einer Klingenlänge von 7,5 Zentimetern und verletzte seinen Mitbewohner mehrfach. Dieser verstarb noch am Tatort nach erfolglosen Reanimationsmaßnahmen. Das rechtsmedizinische Gutachten listet 21 Stich- und Schnittverletzungen in Brust- und Kopfbereich sowie Rücken des Opfers auf; tödlich war ein Stich in die rechte Herzkammer und den Herzbeutel. Zwei weitere Stiche führten laut Gutachten zu einem Durchstich des linken Lungenoberlappens, die auf Dauer ebenfalls zu einem Verblutungstod geführt hätten.

Verteidiger Dr. Thomas Krimmel räumte im Namen seines Mandanten ein, für den Tod seines Zimmergenossen verantwortlich zu sein. Hassan M. bedauere seine Tat zutiefst. Der 38-jährige Somalier, der seit 2002 als Flüchtling durch Europa irrt, selbst sagte, habe er sich mit seinem Mitbewohner früher bereits einmal geprügelt wegen der unterschiedlichen Ansichten bezüglich der Zimmertür. Am Morgen vor der Tat habe es aus diesem Grund erneut Streit gegeben. Beide hätten sie dabei ein Messer in der Hand gehabt. Als die Polizei eingetroffen sei, sei die Auseinandersetzung aber schon wieder beendet gewesen. Einer der Streifenbeamten sagte am Dienstag vor Gericht, man habe vor Ort mit einem Dolmetscher die Übereinkunft getroffen, dass Landratsamt einzuschalten, damit die Streithähne alsbald in andere Zimmer kommen würden. Dies wurde beiden Männern auch mitgeteilt, so der Polizist. "Ob der Angeklagte das auch verstanden hat, kann ich aber nicht beurteilen."

Der Zeuge war auch dabei, als die Polizei in der Nacht erneut in die Asylbewerberunterkunft gerufen wurde. Er habe beim Abbiegen zum Asylbewerberheim noch mit seinem Kollegen gerätselt, ob es erneut der Angeklagte sei, der Ärger gemacht habe. "Da stand er schon vor uns auf dem Weg mit erhobenen Händen." Seine Boxer-Shorts, sein T-Shirt und seine Beine seien voller Blut gewesen, berichtete der zweite Streifenpolizist. "It's all over. I've killed him", habe M. gerufen und ihm ein blutiges Messer entgegen geworfen. Widerstand habe er keinen geleistet. Im folgenden Trubel habe er immer wieder mal wahrgenommen, wie der Angeklagte stets ruhig dagesessen sei.

Der Polizei hatte S. unmittelbar nach der Tat gesagt, sein Zimmergenosse habe sich nach dem zweiten Messerstich an seine Jacke geklammert und gebettelt, er solle ihn in Ruhe lassen. Daran konnte M. sich am Dienstag - wie an vieles andere auch, was er bei der Polizei angegeben hatte - nicht mehr erinnern. Er sei sich aber sicher, keine Jacke angehabt zu haben. Er frage sich nur, warum sein Zimmergenosse denn nicht weggelaufen sei. Er könne sich nur noch an wenig erinnern, aber er habe den anderen sicher nicht töten wollen, so der Angeklagte. "Ich wollte ja nur, dass er weggeht." Mit dem Messer habe er sich bewaffnet, weil sein Mitbewohner nach einem ersten Streit um die verschlossene Zimmertür etwa zehn Minuten vor der Tat fortgegangen sei. Als es wieder an der Tür geklopft habe, hätte dieser sich in der Zwischenzeit ja auch bewaffnen können.

Eine Betreuerin bezeichnete den Angeklagten vor Gericht als "schweigsamen Einzelgänger". Nach dem Streit am Vormittag mit seinem Mitbewohner hatte Hassan M. die 70-Jährige zu Hause besucht und ihr einen Brief von der Arbeitsagentur gezeigt mit einem Vorstellungsgespräch für die kommende Woche. Da er nie zuvor bei ihr zu Besuch gewesen sei, sei sie überrascht gewesen, so die Zeugin. Im Rahmen des Gespräches habe M. ihr gegenüber auch den Streit am Vormittag erwähnt. Er brauche frische Luft und sein Mitbewohner wolle das Fenster immer geschlossen haben, habe M. ihr erzählt. Sie habe ihm zur Gelassenheit geraten. Ob es die Kinder seien, Kollegen oder die Nachbarn: Im Leben müsse ein jeder sich arrangieren. Ein Mitbewohner berichtete, dass es immer wieder Probleme mit dem Angeklagten gegeben habe, weil dieser mitten in der Nacht gekocht habe und davon auch trotz Beschwerden nicht abgelassen habe. Er selbst sei aber gut mit ihm zurechtgekommen, so der 24-Jährige. In der Tatnacht sei er durch Schreie alarmiert in den ersten Stock gelaufen. Dort habe er M. gesehen: Voller Blut; in der Hand ein Messer. Dann erst habe er das Opfer wahrgenommen. Es sei am Boden gelegen mit den Beinen auf dem Flur; der Oberkörper habe sich im Zimmer befunden. "Was hast Du getan?", habe er M. gefragt, so der Zeuge. "Ich habe es ihm gesagt", habe dieser geantwortet.

Der psychiatrische Gutachter Dr. Bernd Weigl hatte bei Hassan M. keine eindeutigen Hinweise für eine psychotische Erkrankung finden können - gegenüber der Ermittlungsrichterin hatte M. nämlich unter anderem davon gesprochen, dass Mitbewohner mehrmals versucht hätten, ihn zu vergiften (was womöglich aber auch einem Übersetzungsfehler geschuldet war). Die vor Gericht geltend gemachten Erinnerungslücken zur Tat waren für Weigl nicht nachvollziehbar. Zudem verneinte Weigl eine Affekttat: Er sehe eine Art Machtkampf zwischen den beiden Männern. Der "Beziehungsstreit" habe sich über Wochen hinweg "aufgeschaukelt" und sei in der Tatnacht eskaliert. Hassan M. ist dem Gutachter zufolge damit als voll schuldfähig einzustufen.

Das Urteil soll am Mittwoch gesprochen werden.

Anm. d. Redaktion: Liebe Leserinnen und Leser, im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf idowa.de finden Sie unter diesem Text keine Kommentare. Leider erreichen uns zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene, beleidigende oder justiziable Beiträge, dass eine gewissenhafte Moderation nach den Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich ist. Wir bitten um Verständnis.