Rückkehr zur Meisterpflicht
Selbstständig nur noch mit Brief: Das sagen Handwerker
12. Dezember 2019, 18:19 Uhr aktualisiert am 12. Dezember 2019, 21:40 Uhr
15 Jahre nach dem Gesetz, das zahlreiche Handwerks-Disziplinen von der Meisterpflicht entbunden hatte, macht das deutsche Parlament die Rolle rückwärts. Viele der alteingesessenen Handwerker in Ostbayern atmen auf. Aus ihrer Bilanz über die 15 Jahre Deregulierung ist anscheinend wenig Positives zu berichten.
Für den bayerischen Wirtschaftsminister liegt der Fall klar. Die Abschaffung des Meisterzwangs für 53 sogenannte Gewerke, also "Handwerks-Disziplinen", sei ein politischer Fehler, der nun teilweise zurückgenommen werde. Das schreibt Hubert Aiwangers Pressestelle in einer Mitteilung.
Bis zu der damaligen Entscheidung hatte im Handwerk nur der einen eigenen Betrieb eröffnen und Azubis ausbilden können, der seine Kenntnisse dokumentieren konnte. Allen voran mit dem Meisterbrief. Für zwölf der vom Gesetz von 2004 betroffenen Berufe kommt mit dem Bundestagsbeschluss vom Donnerstag die Rolle rückwärts: Die Meisterpflicht soll für sie wieder eingeführt werden.
Betriebe-Explosion: Von 12 auf 80 in wenigen Monaten
2004 war der Meisterzwang gefallen. Was ist seither passiert? Wenig Positives, sagt Fliesenlegermeister Andreas Beckerle aus Oberpiebing im Landkreis Straubing-Bogen. Sein Gewerk war eines der 53, in denen der Meisterbrief nicht mehr notwendig war: "Auch bei uns in der Region ist die Zahl der Betriebe schlagartig explodiert. Wir hatten im Landkreis Straubing-Bogen zuvor zehn bis zwölf Fliesenlegerbetriebe, kurz darauf waren es 75 bis 80."
Konkurrenz belebt das Geschäft, mag man zunächst vermuten. Die neuen Betriebe ohne Meister - und teilweise auch ganz ohne Ausbildung - brachten für die Kunden und Auftraggeber aber oft ein böses Erwachen, sagt Beckerle. Mit der Qualität im Handwerk sei es bergab gegangen: "Auch heute erlebe ich das noch auf Baustellen. Da müssen Bäder, die noch nie benutzt worden sind, wieder herausgerissen werden wegen Pfusch."
Viele Kunden hätten in der ersten Zeit nicht verstanden, was es mit den neuen Betriebsbezeichnungen, die plötzlich da waren, auf sich hatte. Ein Fehler, meint Beckerle heute, "dass es nicht genügend kommuniziert wurde, dass sich Hinz und Kunz jetzt selbstständig machen und ‚Fließenlegerfachbetrieb' auf ihr Auto schreiben durften. Man brauchte plötzlich nur noch einen Gewerbeschein."
Lesen Sie im zweiten Teil, welche Entwicklung die Betriebslandschaft in Ostbayern nach dem Fall der Meisterpflicht genommen hatte.
Nach dem Preissturz das Erwachen
Der Eindruck aus dem Raum Straubing scheint sich für Ostbayern insgesamt zu bestätigen. Auf idowa-Nachfrage sagt Jürgen Kilger, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz: "Die Entscheidung hatte gravierende Folgen. Denn mit der Abschaffung der Meisterpflicht durfte sich in den betroffenen Gewerken quasi jeder als Handwerker ausgeben. So entstanden kleinere Unternehmenseinheiten mit weniger Beschäftigten, häufig auch Soloselbstständige."
Diese neuen "Handwerker" hätten dann vor allem für ein beispielloses Preis-Dumping gesorgt, sagt Jürgen Kilger: "Gerade zu Beginn der Deregulierung wurden sehr häufig extrem niedrige Preise auf dem Markt geboten, die zwar die Kunden gefreut haben, aber niemals auskömmlich waren für den frisch gebackenen Selbstständigen. Häufig haben es diese Betriebe erst nach drei bis vier Jahren gemerkt, dass die Stundensätze, zu denen sie arbeiten, nicht auskömmlich waren. In dieser Zeit hat sich die Entwicklung natürlich auf die vorher etablierten Betriebe in der Branche ausgewirkt."
Ohne Meister kein Handwerker-Nachwuchs?
Die nächste Konsequenz war, dass die finanziell auf Kante genähten Betriebe kaum noch wagten, auszubilden. Von den neuen handwerklichen Mini-Einheiten war laut Jürgen Kilger noch weniger zu erwarten: "Ganze 95 Prozent aller Azubis im Handwerk werden von Betrieben in meisterpflichtigen Berufen ausgebildet, wohingegen die Ausbildungsleistung in den ‚deregulierten' Berufen deutlich zurückgegangen ist. Know-how wurde oft nicht weitergeben. Das alles hat die Fachkräfteproblematik verschärft und für einen Einbruch bei Qualität und Verbraucherschutz gesorgt."
Dem bayerischen Wirtschaftsminister Aiwanger geht die jetzige Regelung nicht weit genug: "Ich hoffe, dass dieser Rückvermeisterung von zwölf Gewerken weitere folgen und auch bei neuen Branchen wie beispielsweise beim Kosmetiker der Meister Einzug hält, damit der Kunde ein weiteres Qualitätskriterium hat", heißt es in seiner offiziellen Stellungnahme zum Votum des Parlaments.
HWK-Geschäftsführer Jürgen Kilger pflichtet bei: "Wir würden uns natürlich schon eine weitere Ausweitung wünschen, da wir sehen, welche Bedeutung das Handwerk gerade in Ostbayern hat. Stabile, gut etablierte und mit fundiertem Wissen geführte Betriebe tragen dazu bei, dass Ostbayern eine prosperierende Region ist und bleibt."
Nicht ganz so eng sieht es Fliesenlegermeister Andreas Beckerle: "Wir haben eine Meisterpflicht für alle Gewerke, in denen bei Fehlern eine Gefahr für Leib und Leben ausgeht. Dass die Fliesenleger dort ausgenommen waren, war aus meiner Sicht nicht korrekt. Ansonsten ist durch die Meisterpflicht schon ziemlich viel abgedeckt."
Was wird der aktuelle Bundestagsbeschluss ändern? Lesen Sie es im dritten Teil.
Der Wahnsinn geht wohl eine Zeit lang weiter
So oder so - eine schnelle Änderung der Verhältnisse durch den Bundestagsbeschluss versprechen sich weder die Handwerkskammer noch ihre Mitglieder. Zum einen, weil die derzeit tätigen, meisterlosen Handwerker und vor allem die schwarzen Schafe unter ihnen ihre Gewerbescheine per Bestandsschutz erst mal behalten dürfen: "Ich vermute, dass jetzt noch viele sich einen Gewerbeschein besorgen, damit sie das Handwerk weiterhin ausüben können", sagt Andreas Beckerle: "Ich würde das auch machen, wenn ich in dieser Situation wäre."
Zum anderen geht in den betroffenen Gewerken eine ganze Meister-Generation ab, erklärt Jürgen Kilger von der Handwerkskammer: "In den Handwerksberufen, in denen die Meisterpflicht wiedereingeführt wurde, müssen nun erst einmal Meister ausgebildet werden, die ihrerseits Betriebe übernehmen oder eröffnen und dann beginnen, erste Lehrlinge auszubilden. Diese Meister gibt es nicht von heute auf morgen."
In jedem Fall empfiehlt es sich aus Kundensicht, genau hinzusehen, welchen Handwerker man beauftragt. Ein aktuelles Beispiel, was ansonsten passieren kann, weiß Fliesenlegermeister Andreas Beckerle idowa gegenüber zu berichten: "Erst kürzlich habe ich von einem Schaden von 50.000 Euro erfahren. Der entstand nach unseren Erkenntnissen, weil der Fliesenleger keine Ahnung von Untergrundprüfung hatte. Er hatte den Untergrund falsch eingeschätzt und jetzt löst sich der Belag. Das sind Dinge, die man auf der Meisterschule lernt. Man muss sich vorstellen, was 50.000 Euro Schaden bedeuten können! Das kann existenzbedrohend sein, nicht nur für den Betrieb, auch für den Bauherren, der sich da ein Haus gebaut hat."