"Ich kann's nicht mehr hören"
Krankenschwester setzt emotionalen Corona-Post ab
7. Dezember 2020, 17:55 Uhr aktualisiert am 7. Dezember 2020, 18:29 Uhr
Der emotionale Facebook-Post einer Krankenschwester aus dem Landkreis Regen sorgt aktuell für viel Aufsehen im Internet. In dem Beitrag kritisiert die Pflegekraft offen Corona-Leugner und schildert in drastischen Worten die angespannte Situation im Pflegebereich. Ihr Arbeitgeber hat sich ebenfalls zur Situation vor Ort geäußert.
"Alles nur Schikane? Maßlos übertrieben? Ist eh nur ne leichte Grippe? Die im Kh übertreiben??? Ich kann's nicht mehr hören." So beginnt der Facebook-Post einer Krankenschwester, der über die vergangene Woche massive Reaktionen in dem sozialen Netzwerk hervorgerufen hat. Der öffentliche Beitrag hat seit Donnerstag, also innerhalb weniger Tage, mehr als 2.000 Likes erhalten und Hunderte Kommentare nach sich gezogen. Viele sprechen der Krankenschwester in der Kommentarspalte ihren Respekt aus, bedanken sich für die offenen Worte und den Einsatz aller Pflegekräfte.
Mit ihrer Wortmeldung richtet sich die Krankenschwester vor allem an Corona-Leugner und Querdenker, also jene Gruppe, die sämtliche Maßnahmen der Regierung als übertrieben empfindet, die Viruserkrankung als wenig gefährlich abtut und behauptet, die Situation in den Krankenhäusern werde dramatisiert. Emotionsgeladen berichtet die junge Frau von ihren Erfahrungen als Krankenschwester in der zweiten Corona-Welle. Diese habe selbst im beschaulichen Bayerischen Wald "mit voller Wucht" eingeschlagen. In der Folge seien die Intensivstation und eine weitere Station teils voll ausgelastet. Sie schließt mit der Aufforderung an Corona-Leugner, sich die Situation in der Praxis anzusehen: "Wenn dass alles nur halb so wild ist, möcht ich euch gern einladen für einen Monat im 4-Schichtbetrieb unter diesen Umständen mitzuhelfen, mal schauen wie ihr dann dazu steht..."
Zweite Intensivstation in Corona-Zeiten
Wie drückt sich diese Wucht der zweiten Welle, von der die Krankenschwester spricht, aktuell in Zahlen aus? Am Sonntag lag der Wert im Landkreis Regen laut Gesundheitsamt bei fast 600 Infektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. Ist die Intensivstation infolge dessen tatsächlich am Limit, wie in dem Post dargelegt wird?
Nach Angaben der Arberlandkliniken gibt es zum Stand 7. Dezember 37 Covid-19-Patienten am Standort in Zwiesel, von denen zwei auf der Intensivstation liegen. Am Standort in Viechtach sind es demnach 30 Patienten in Zusammenhang mit Corona, sieben davon liegen auf der Intensivstation. Vor zwei Wochen war die Anzahl der Corona-Patienten noch um ein Vielfaches geringer. Zum 29. November gab es in Zwiesel rund halb so viele Corona-Patienten, keiner war intensivpflichtig. In Viechtach waren es Ende November ein Drittel des jetzigen Wertes, drei davon lagen auf der Intensivstation. Die Zahlen sprechen also für eine schnell steigende Belegung der Intensivbetten.
Zu den Intensivbettenkapazitäten der Arberlandkliniken in Viechtach und Zwiesel sagt die Unternehmenssprecherin Stephanie Blüml gegenüber idowa: "Wir haben frühzeitig zu Beginn der Pandemie unsere Intensivbehandlungs- beziehungsweise Beatmungskapazitäten erweitert." Hierfür seien auch bauliche Maßnahmen vorgenommen worden, um in jedem Haus die Möglichkeit einer zweiten Intensivstation zu schaffen. In der Arberlandklinik Viechtach gibt es nach Angaben der Sprecherin regulär sechs Intensivbetten, die um eine Kapazität von vier aufgestockt wurden. In der Arberlandklinik Zwiesel sind es demnach ebenfalls regulär sechs Intensivbetten, die Option auf fünf weitere Betten besteht. Aktuell seien die Kliniken nicht an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen. In der Arberlandklinik Zwiesel ist eine Intensivstation in Betrieb. Die Arberlandklinik Viechtach betreibt seit Ende vergangener Woche bereits eine zweite Intensivstation. Die Patientenversorgung ist aus infektiologischer Sicht so zu gewährleisten, dass COVID-19-Patienten strikt getrennt von Nicht-COVID-19-Patienten versorgt werden - auch durch getrenntes Personal.
An einer Stelle spricht wiederum die junge Krankenschwester in ihrem Post davon, dass regelmäßig in den Kliniken Entscheidungen über Leben und Tod gefällt würden. Wörtlich heißt es: "Auf Intensiv muss entschieden werden ob der 35-jährige Hr. Sowieso oder der 70-jährige an die ECMO angeschlossen wird [...] das heißt wer stirbt und wer nicht." Unklar ist, ob sie sich damit auf eigene Erfahrungen oder die generelle Situation in Kliniken bezieht, die vor einer Überlastung stehen.
In Bezug auf die angeführte ECMO Spezial-Behandlung, die für Patienten mit akutem Lungenversagen entwickelt wurde, verweist Stephanie Blüml darauf, dass diese nur an wenigen Zentren in ganz Deutschland möglich sei. Sie sagt: "Eine sogenannte extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) wird in den Arberlandkliniken, also weder in Viechtach noch in Zwiesel, durchgeführt." Insgesamt erhielten die Patienten unter Betrachtung der individuellen Situation die bestmögliche Versorgung.
Operationen abgesagt
Die Belegung der Intensivbetten ist derzeit vielfach im Fokus, weniger aber ein anderer Sachverhalt, der laut Stephanie Blüml ebenfall ein Knackpunkt sei: ausgebildete Fachkräfte. "Pflegekräfte, die auf einer Intensivstation tätig sind, haben größtenteils eine zweijährige Fachweiterbildung zu Fachkrankenpflegern für Anästhesie und Intensiv absolviert", sagt sie. Es sei deshalb nicht ohne Weiteres möglich, einfach Personal aus anderen Bereichen abzuziehen und auf einer Intensivstation einzusetzen. Hinzu komme der Umstand, dass zum Stand 7. Dezember in der Arberlandklinik Zwiesel 67 Pflegekräfte in Krankenstand beziehungsweise Quarantäne sind, in Viechtach sind es 10. Wie also Abhilfe schaffen?
Seit vergangener Woche werden wieder Operationen verschoben beziehungsweise abgesagt. Dabei handelt es sich der Sprecherin zufolge um "geplante, verschiebbare und elektive Eingriffe". Mit "elektiv" werden in der Medizin bewusst nach jeweiligen Kriterien ausgewählte Eingriffe bezeichnet. So könne das frei gewordene OP-Personal auch auf den Intensivstationen eingesetzt werden.
Um weiter auf den akuten Pflegekräftemangel bei den Arberlandkliniken zu reagieren, wurde am Sonntagabend die Klinik Zwiesel von der Notfallversorgung abgemeldet, also ein Aufnahmestopp verhängt, wie Stephanie Blüml schildert. Diese Entscheidung sei nicht leichtfertig getroffen worden, jedoch sei sie von allen Beteiligten als notwendig erachtet worden. Die Arberlandklinik Viechtach nimmt weiterhin Notfälle auf. Geburten finden in der Arberlandklinik Zwiesel weiterhin uneingeschränkt statt.