Straubing
Strahlenangst in der JVA
28. April 2018, 8:45 Uhr aktualisiert am 6. April 2023, 11:49 Uhr
Tetra-Funk. Ein Thema, das in den vergangenen Jahren bundesweit für Kontroversen in der Bevölkerung gesorgt hat. Ob der Funk gefährlich ist, daran scheiden sich die Geister. Behörden sehen vielfach keine Risiken. Ein aktueller Fall in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing sorgt allerdings für negative Schwingungen.
Der 7. April 2009 in der JVA Straubing. Ein Tag, der seine Spuren hinterlassen hat. Damals wurde eine Gefängnis-Psychologin von einem Häftling vergewaltigt. Sieben Stunden lang hatte er sich mit ihr verbarrikadiert, sieben Stunden dauerte das Martyrium der Frau. Neun Jahre später, im Februar 2018, nimmt sich die ehemalige Gefängnis-Psychologin aufgrund ihrer schweren Traumatisierung das Leben.
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In der JVA Straubing sah man sich nach diesem tragischen 7. April 2009 zum Handeln gezwungen. Beamte der JVA wurden fortan mit sogenannten Personalnotrufanlagen (PNA) ausgestattet. Ein spezielles Funkgerät, das nicht nur die genaue Ortung des Trägers ermöglicht. Liegt es zu lange in waagrechter Position oder wird es seinem Träger vom Körper gerissen, wird sofort Alarm ausgelöst. An sich also ein Fortschritt und eine gute Sache. Ein Fortschritt, der allerdings seine Tücken und Risiken in sich birgt.
Beschwerden und Krebsfälle häufen sich
Denn die Geräte senden auf der umstrittenen Tetra-Funk-Basis. Das bedeutet eine Dauerbestrahlung für den Träger. Etliche wissenschaftliche Studien belegen das Gesundheitsrisiko durch diese Technik. Auch in der JVA Straubing klagten kurz nach der Einführung der PNA auf Tetra-Funk-Basis schon bald erste Beamte über teils heftige Beschwerden. Meist handelte es sich dabei um starke Kopfschmerzen, Schwindelgefühle und Schlafstörungen.
Einige Jahre sind seither vergangen. Und mittlerweile haben diese Beschwerden der Bediensteten eine völlig neue Dimension erreicht. Denn im Zeitraum zwischen 2012 und 2017 wurde ein drastischer Anstieg von Krebserkrankungen verzeichnet. Elf an der Zahl. Zwei der Erkrankten verstarben noch während dieser Zeit. Zum Vergleich: in den Jahren zwischen 2000 und 2012 waren es gerade mal zwei Krebserkrankungen. Noch während unserer Recherchen zu diesem Artikel stirbt ein weiterer Angestellter Ende März 2018 an Krebs - mit Mitte 40. Alarmierende Zahlen. Nachvollziehbar, dass sich anhand dieser Vorfälle in Reihen der Justizvollzugsbeamten längst ein mulmiges Bauchgefühl breitgemacht hat. Mehr noch: es ist die Angst vor dem Unsichtbaren, der dauerhaften Strahlenbelastung.
Nach idowa-Informationen geht das sogar so weit, dass einige Beamte das Gerät bei Dienstantritt trotz anders lautender Vorschrift in der Ladestation stehen lassen. Auch ein Indiz dafür, wie groß Angst und Unsicherheit seit Einführung des Tetra-Funks bei den Justizvollzugsbeamten sein müssen.
Mediziner warnt vor den Gefahren durch Tetrafunk
Doch wie wahrscheinlich ist ein direkter Zusammenhang zwischen der deutlich gestiegenen Krebsrate und der Einführung des Tetra-Funk-Systems in der JVA Straubing? Wir haben deshalb bei einem Mediziner, der sich ausführlich mit dem Thema Strahlenbelastung befasst hat, nachgefragt. Dr. med. Horst Eger ist Facharzt für Allgemeinmedizin in Naila (Oberfranken). Er ist Mitglied des ärztlichen Qualitätszirkels "Elektromagnetische Felder in der Medizin - Diagnostik, Therapie, Umwelt", anerkannt von der Bayerischen Landesärztekammer.
"Wechselwirkung mit lebendem Gewebe physikalisch begründbar"
"Die heute vielfach verwendeten Funkfrequenzen (…) sind international durch eine Unterorganisation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als mögliches Karzinogen Klasse 2b eingestuft worden. Die verwendeten Frequenzen dringen dabei auch in tiefere Körperschichten ein, sodass eine Wechselwirkung mit lebendem Gewebe physikalisch begründbar ist", unterstreicht der Mediziner die Risiken durch Tetra-Funk. Im Gespräch tritt außerdem immer wieder ein Aspekt in den Vordergrund: der Grenzwert der Ganzkörperbestrahlung. Dieser liegt in Deutschland je nach Frequenz bei circa 40 bis 60 Volt pro Meter. Von Seiten einiger Behörden wird dieser Wert als ausreichend betrachtet. "Bei Einhaltung des Grenzwertes wird davon ausgegangen, dass keine gesundheitsschädigenden (Wärme-) Wirkungen durch elektromagnetische Felder auftreten", beantwortet ein Sprecher des Bundesamtes für Arbeitsschutz unsere Anfrage.
Ein Trugschluss? "Der Grenzwert bietet keinen ausreichenden Gesundheitsschutz. Er ist undifferenziert und nicht angemessen", sagt Dr. Eger. Der Mediziner aus Naila hatte gemeinsam mit vier weiteren Ärzten eine langjährige Studie durchgeführt, bei der es um die Auswirkungen von Mobilfunkantennen auf die Gesundheit der Bevölkerung ging. Auch hier konnten gesundheitliche Beeinträchtigungen nachgewiesen werden. "Zum einen ist die Trennung nach thermisch und nichtthermisch ein künstliches Konstrukt. Zum anderen beinhaltet der Grenzwert keine Zeiteinheit für die Dauer der Einwirkung", begründet Dr. Eger seine Kritik. Das bedeutet, dass beim momentanen Grenzwert lediglich die Wärmeveränderung im Körper, nicht aber die Veränderung der Zellen beurteilt wird.
Streitfrage Grenzwert
Und noch ein weiterer Punkt ist nach Ansicht des Mediziners in Betracht zu ziehen: "Der Grenzwert ist zu hoch angesetzt." So habe der renommierte neuseeländische Wissenschaftler Prof. Dr. Neil Cherry im Jahr 2000 in einer Studie nachgewiesen, dass bereits bei einer Strahlenbelastung weit unterhalb des geltenden Grenzwertes gesundheitliche Schädigungen auftreten können. Diese reichen bis hin zu Krebserkrankungen. Dr. Eger veranschaulicht die Gefahren des aktuellen Grenzwertes an einem alltäglichen Vergleich: "Wenn nun zum Beispiel in einer Stadt wie Straubing die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 300 km/h festgelegt wird, dann wird diesen Wert niemals jemand überschreiten. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass es ungefährlich wäre, mit 200 km/h durch die Stadt zu fahren."
Wenig verwunderlich daher, dass der zulässige Grenzwert auch bei den bisherigen Messungen in der JVA Straubing nicht erreicht wurde. Alles im grünen Bereich also? Nach Ansicht der Behörden, ja. "Es liegen weltweit keine Nachweise zu gesundheitlich negativen Wirkungen unterhalb der geltenden Grenzwerte vor. Die derzeit geltenden Grenzwerte (…) sind zur Zeit als ausreichend anzusehen", heißt es hierzu von Seiten des Bundesamtes für Arbeitsschutz. Man merkt: hier stehen sich zwei Überzeugungen gegenüber. Tetra-Funk-Gegner auf der einen, Tetra-Funk-Befürworter auf der anderen Seite. Doch wer hat Recht?
Wie kann es sein, dass in der JVA Straubing die Krebserkrankungen nahezu zeitgleich mit der Einführung des Tetra-Funks signifikant ansteigen? Zufall? Dr. Eger hat sich ebenfalls mit den Krebsfällen in der JVA Straubing befasst. Er warnt: "Wenn in einem gut beobachtbaren Kollektiv nach Einführung des Tetrafunks eine Zunahme von Krebsfällen beobachtet wird, handelt es sich um ein Alarmsignal, das eine dringende weitere Abklärung erforderlich macht." Diese Abklärung erscheine im vorliegenden Fall "umso dringender, als da neueste Studien aus den USA und Italien an Nagetieren, die lange Zeit einer Mikrowellen-Bestrahlung ausgesetzt waren, übereinstimmend eine Erhöhung der Krebsrate zeigten".
Das sagt Anstaltsleiter Amannsberger zu den Kritikpunkten
Noch deutlicher wird Helga Krause, Mobilfunkbeauftragte des BUND Naturschutz: "Ich habe keinen Zweifel daran, dass hier ein direkter Zusammenhang besteht. Es muss aber eben nicht nur nach Krebs gefragt werden, sondern auch nach weiteren Gesundheitsproblemen, die mit der Strahlung zusammenhängen können." Doch nicht nur die Justizvollzugsbeamten sind der Strahlenbelastung ausgesetzt, wie Helga Krause betont: "Abgesehen davon wäre es interessant, wie sich der Gesundheitszustand von Häftlingen entwickelt hat, die sich bereits länger in der JVA befinden." Tatsächlich sind der Dauerbestrahlung nicht nur Justizvollzugsbeamte und Häftlinge ausgesetzt, sondern auch Anwohner der JVA.
"Messungen weit unter dem Grenzwert"
Grund genug, den Leiter der JVA Straubing, Hans Amannsberger, mit den Expertisen und Kritikpunkten zu konfrontieren. Auf idowa-Nachfrage sagt er: "Das Tetra-Funk-System wurde bereits vor meiner Zeit als Leiter der JVA Straubing eingeführt. Damals wurde es infolge der Geiselnahme als notwendig erachtet. Dieses System wurde von offiziellen Behörden geprüft und entsprechend zugelassen, darauf verlasse ich mich. Zumal die Strahlenbelastungen bei den Messungen weit unter dem Grenzwert lagen."
Doch selbst, wenn ein direkter Zusammenhang zwischen den Krebserkrankungen in der JVA Straubing und dem Tetra-System nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, so bleibt noch immer die Verunsicherung und die Angst vor der Dauerbestrahlung bei den Justizvollzugsbeamten. "Die PNA gehören zu diesem Beruf eben dazu. Ich trage das Gerät ja schließlich auch. Beschwerden oder Verunsicherung kommen mir immer nur von einigen wenigen Leuten zu Ohren", schildert Hans Amannsberger seine Sicht der Dinge. Dass einige Beamte das Gerät im Dienst gar nicht mehr am Körper tragen würden, kann sich Amannsberger dagegen nicht vorstellen: "Das wäre ein klarer Verstoß gegen die Dienstvorschriften und in der Hinsicht ist mir noch nie etwas aufgefallen. Klar ist aber auch, wenn ich mal jemanden dabei erwischen sollte, müsste ich entsprechende Maßnahmen ergreifen."
Was tun? Weitere Untersuchungen und Tests in der JVA oder vorsichtshalber auf ein anderes System umstellen? In der JVA Landshut geht es beispielsweise ohne Tetra-Funk. Amannsberger: "In Landshut waren Ausgangssituation und Anforderungen anders gelagert . Deshalb braucht man dort keinen Tetra-Funk." Ein unvermeidbares "Übel" also in der Straubinger Anstalt?
Noch während unserer Recherchen zu diesem Artikel sickerte bereits durch, dass den Justizvollzugsbeamten der JVA Straubing nach idowa-Informationen nun plötzlich die Möglichkeit geboten werden soll, sich mit spezieller Kleidung aus schirmendem Baumwollgewebe mit 25 Prozent Silberanteil vor der Strahlengefahr zu schützen. Diese Schutzkleidung müsste vom jeweiligen Träger selbst bezahlt werden.