Straubing/Aarau
Von Traktanden und Zitingen: Gudrun Kulzer zog von Straubing in die Schweiz - bald kommt sie zurück
2. September 2015, 7:34 Uhr aktualisiert am 2. September 2015, 7:34 Uhr
"Heimat ist Heimat", sagt Gudrun Kulzer und lacht. Derzeit lebt die 59-jährige Straubingerin, die vielen noch als Leiterin der Stadtbibliothek ein Begriff sein wird, in Aarau in der Schweiz. Aber nicht mehr lange: "Ich habe ein Grundstück in Straubing, werde im Ruhestand dort ein Haus bauen und mir einen Hund zulegen." Bevor es für sie aber wieder zurück nach Niederbayern geht, telefonierten wir mit ihr in der Schweiz und sprachen über Verständigungsschwierigkeiten mit Schwizerdütsch, was die Schweizer vom Euro halten und wie man sich als Bayer am besten dort verhält.
Seit einem Jahr leben und arbeiten Sie in Aarau. Erinnern Sie sich noch an ein erstes außergewöhnliches Erlebnis in der Schweiz?
Gudrun Kulzer: Oh ja. Ich bin damals gerade mit meinem Umzugswagen dort angekommen und es ging um die Mehrwertsteuer für mein neues Sofa. Ich habe einen Mann gefragt, ob ich das in Euro oder Franken bezahlen soll. Daraufhin hat er zu mir gesagt: "Wir reden doch von Geld, nicht von Euros."
Was, glauben Sie, halten die Schweizer von den Deutschen?
Kulzer: Die Deutschen gelten als sehr schnell, sehr organisiert, teilweise aber auch als vorlaut. Die Deutschen sind für sie Menschen, die gerne voranpreschen. Ich neige auch ein bisschen dazu, Dinge voranzutreiben. Da habe ich mich aber sofort zurückgenommen, als ich das bemerkt habe. Die meisten Schweizer sind eben sehr überlegt, wir Deutschen sind ihnen oft einfach zu vorschnell. Man muss sich da schon anpassen.
Gab es noch andere Dinge, auf die Sie achten mussten?
Kulzer: Man redet in der Schweiz nicht über Geld oder Einkommen. Hier gibt es wenig Transparenz. Man spricht auch nicht darüber, ob etwas teuer ist oder nicht - das ist hier eh alles relativ.
Wie ging es Ihnen mit Schwizerdütsch?
Kulzer: Es gab tatsächlich einige Wörter, die ich anfangs nicht verstanden habe. In meiner Arbeit sprachen alle immer von "Traktanden". Dank Google habe ich herausgefunden: das ist die Tagesordnung. "Speditiv" wird häufig verwendet und bedeutet schnell. Was auch nicht ganz einfach ist, ist, dass die Schweizer aus "ei" ein "i" machen. Statt Zeitung sagen sie "Ziting". Ich hatte damit anfangs wirklich große Probleme.
Ein Zweit- oder Drittstudium ist nichts Ungewöhnliches
Sie arbeiten nun seit über einem Jahr in der Aarauer Kantonsbibliothek, was sind Ihre Aufgaben?
Kulzer: Wir sind eine öffentliche Bibliothek mit wissenschaftlicher Ausrichtung. Bei uns gibt es zum Beispiel keine Kinder- oder Jugendbücher, sondern Fachliteratur für Studenten und Forscher. Ich bin für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und im Kundendienst tätig. Ich versuche, dass die Bibliothek immer auf dem neuesten Stand ist. Dabei arbeite ich mit einem Team aus sechs Mitarbeitern zusammen, die alle studiert haben. Ein Zweit- oder Drittstudium ist in der Schweiz übrigens nichts Ungewöhnliches. Schweizer bilden sich ständig weiter.
Da haben Sie ja etwas mit den Schweizern gemeinsam. Denn auch Sie haben immer versucht, sich weiterzubilden und weiterzuentwickeln.
Kulzer: Ich bin so (lacht). Ich habe damals nach der Schule in Köln "Öffentliches Bibliothekswesen" studiert und dort meinen Mann kennengelernt. Nachdem meine Tochter zur Welt kam, arbeitete ich in Essen in einer Bibliothek. Dann habe ich 15 Jahre mit meiner Familie wieder in Straubing gelebt, war dort bis Ende 2008 Leiterin der Stadtbibliothek. Da ich mich weiterentwickeln wollte, begann ich in Regensburg ein Master-Studium. Das war die beste Entscheidung überhaupt, ich hab' das immer so vorgehabt. Ab 2009 leitete ich die Stadtbibliothek in Offenbach. Die Entscheidung war richtig, aber die Stelle nicht optimal. Dann hat mich eine Kollegin aus der Schweiz, die ich einmal auf einer Fortbildung kennengelernt hatte, angeworben. Mit 58 Jahren dachte ich mir: Ja, das machst du jetzt!
Was hält Ihre Familie von Ihren Entscheidungen?
Kulzer: Sie steht absolut hinter mir. Meine Tochter studiert ja schon, mein Mann arbeitet in Wiesbaden. Wir führen eine Fernbeziehung, pendeln 400 Kilometer zwischen Frankfurt und Aarau und sehen uns am Wochenende. Aber er hat gleich zu mir gesagt: "Mach das. Die Stelle, die passt."
Sie haben nach Ihrer Arbeit in Essen 15 Jahre in Straubing gelebt. Wie kam es dazu?
Kulzer: Aus einem sehr traurigen Anlass. Meine Mutter ist damals von heute auf morgen mit nur 59 Jahren gestorben. Wir hatten das Hotel Römerhof an der Ittlinger Straße, das ist mein Elternhaus. Wir haben sofort beschlossen, zurück nach Straubing zu ziehen und haben das Hotel übernommen. Obwohl es dieser traurige Anlass war, hatte ich dennoch das Gefühl, das passt jetzt. Was für mich nicht so gepasst hat, war es, ein Hotel zu führen. Also habe ich mich bei der Stadtbibliothek in Straubing beworben. Es war eine tolle Zeit, ich hab' eigentlich gar nicht mehr daran gedacht, wegzuziehen.
Sie sind ja Straubingerin, sind hier aufgewachsen und zur Schule gegangen.
Kulzer: Als Jugendliche war ich immer gern im "Venezia" und im "Cairo" an der Fraunhoferstraße. Mit 18, 19 Jahren war ich auf sämtlichen Faschingsbällen der Schulen im Leserkeller anzutreffen. Als ich noch kleiner war, war ich gerne im Tierpark und im Freibad. Wir konnten früher noch so viel auf der Straße spielen - meine zwei besten Freundinnen und ich.
Sie planen, für Ihren Ruhestand gemeinsam mit Ihrem Mann wieder zurückzukommen.
Kulzer: Ja. In der Schweiz arbeitet man bis man 65 Jahre alt ist, aber ich nehme mir vor, schon etwas eher aufzuhören. Ich habe ein Grundstück in Straubing, werde im Ruhestand dort ein Haus bauen und mir einen Hund zulegen. Heimat ist Heimat. Am meisten freue ich mich auf meine beiden engsten Freundinnen, die ich seit 56 Jahren kenne. Außerdem freue ich mich auf meine guten Bekannten Claudia Bracht und Dorit-Maria Krenn. Ich habe vor, mich ehrenamtlich zu engagieren. Und ich möchte weiterhin Vorträge halten - denn man muss sein Gehirn immer bewegen, sonst wird man alt.