AZ-Interview
Katar-Kritik am FC Bayern: "Wir wünschen uns mehr Mut und Zivilcourage"
3. Januar 2020, 9:29 Uhr aktualisiert am 3. Januar 2020, 9:29 Uhr
Regina Spöttl von Amnesty International spricht in der AZ über die Menschenrechtslage in Katar und das Trainingslager der Münchner. "Wenn Spieler Stellung beziehen würden, wäre viel gewonnen", meint sie.
München - Die Menschenrechtlerin Regina Spöttl ist als Nahost-Expertin für Amnesty International tätig. Im Interview mit der AZ spricht sie über die Situation vor Ort und die Kritik am FC Bayern.
AZ: Frau Spöttl, der FC Bayern reist am 4. Januar erneut nach Katar, um sich auf die Rückrunde vorzubereiten. Wie hat sich die Menschenrechtslage im WM-Gastgeberland von 2022 entwickelt?
REGINA SPÖTTL: In Bezug auf die generelle Lage der Menschenrechte hat sich leider nicht viel geändert. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in Katar weiter in Gefahr. Es gibt zudem keine politischen Parteien, keine Gewerkschaften, schon gar nicht für die Arbeitsmigranten, um die es uns hauptsächlich geht. Es bestehen lediglich Arbeitsvereinigungen, die aber nur katarischen Staatsbürgern offenstehen. Auch in Bezug auf Frauenrechte liegt noch sehr viel im Argen. Frauen werden noch immer benachteiligt, wenn es um Eheschließungen und -scheidungen, das Sorgerecht für die Kinder und Erbschaftsangelegenheiten geht. Für Homosexuelle bleibt die Lage weiter angespannt. In den Richtlinien des Auswärtigen Amtes heißt es, dass man seine Homosexualität besser nicht öffentlich zeigen sollte, etwa Hand in Hand gehen. Homosexualität ist in Katar immer noch strafbar.
Erkennen Sie überhaupt positive Entwicklungen?
Positiv hervorzuheben ist, dass Katar im vergangenen Jahr zwei Konventionen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet hat - wenn auch mit Vorbehalten. Das ist in islamischen Staaten meist üblich. Unser Hauptaugenmerk liegt seit der Vergabe der WM 2022 auf den Rechten der rund zwei Millionen Arbeitsmigranten.
Wie viele Menschen sterben auf Katars Baustellen wirklich?
Haben die Gastarbeiter inzwischen denn mehr Rechte?
Dazu ist zunächst zu sagen, dass nur zwei Prozent dieser Arbeitsmigranten am Bau der WM-Stadien mitwirken. Die anderen errichten Infrastrukturprojekte, beispielsweise Hotels, Trainingscenter, ein neues U-Bahn-System, Schnellstraßen. Ohne diese große Zahl an Arbeitern, die aus armen Ländern Südostasiens kommen, wäre das überhaupt nicht möglich. Deshalb appellieren wir immer wieder an Katar, mehr Wertschätzung zu zeigen für diese Menschen, die zu sehr niedrigen Löhnen arbeiten und ihr Geld oft nicht pünktlich oder gar nicht bekommen. Daher gibt es noch keine Entwarnung. Viele Arbeitsmigranten leben und arbeiten weiterhin unter erschwerten Bedingungen.
Ist das "Kafala"-System (Bürgschaftssystem, das den Arbeitnehmer abhängig macht vom Arbeitgeber, Anm. d. Red.) tatsächlich abgeschafft?
Katar sagt zwar, dass das Kafala-System abgeschafft wurde. Tatsächlich blieb es bisher unter einem neuen Namen in Kraft. Seit ein paar Wochen sind positive Signale aus Katar zu vernehmen. Es gab eine Zusammenarbeit mit der International Labour Organization (ILO) der Vereinten Nationen, um ein neues, verbessertes Arbeitsgesetz zu entwerfen. Das scheint in die richtige Richtung zu gehen. Im Januar 2020 soll das Gesetz in Kraft treten. Amnesty International bleibt jedoch sehr skeptisch. Im Laufe der vergangenen Jahre wurde viel Verbesserung versprochen - aber nicht eingehalten.
Nasser Al Khater, der Vize-Chef des WM-Organisationskomitees, sprach vergangenes Jahr davon, dass bislang "nur drei Arbeiter bei Arbeitsunfällen gestorben" seien. Gesundheitsbehörden gehen hingegen von Todesfällen im drei- oder vierstelligen Bereich aus. Welche Erkenntnisse haben Sie?
Ich möchte mich zu Zahlen nicht äußern. Amnesty International fordert, dass bei Todesfällen die Gründe untersucht werden müssen und Abhilfe zu schaffen ist, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passiert.
FC Bayern: Auch die Frauen-Mannschaft reist nach Katar
Auf was müssen sich Fans einstellen, die zur WM 2022 nach Katar reisen: Droht Chaos, wird es zu vielen Verhaftungen kommen?
Man muss sich als Fan vor Augen halten, dass der Islam in vielen Golfstaaten noch immer sehr streng ausgelegt wird. Es wird daher empfohlen, sich an die Gegebenheiten im Land anzupassen.
Tut der FC Bayern aus Ihrer Sicht genug, um auf die Missstände in Katar hinzuweisen?
Wir sind in Kontakt mit dem FC Bayern, versorgen den Klub mit Informationen und Berichten. Amnesty International würde es natürlich begrüßen, wenn Spieler und Verantwortliche des FC Bayern mit offenen Augen und Ohren in Katar unterwegs wären. Der FC Bayern ist einer der bekanntesten Klubs der Welt. Spieler und Präsidium haben eine Vorbildfunktion. Wenn Spieler Stellung beziehen und öffentlich Missstände ansprechen würden, wäre viel gewonnen. Auch die Führungsetage des FC Bayern, die sicherlich Zugang zu den höchsten Ebenen der Entscheidungsfindung in Katar hat, zum Beispiel zu Ministerien, vielleicht sogar zum Staatsoberhaupt, könnte ihren Einfluss geltend machen und Missstände ansprechen. Amnesty International wünscht sich mehr Mut und Zivilcourage vom FC Bayern, von der Führungsebene bis zu den Spielern. Positiv zu erwähnen ist, dass auch die Frauen-Mannschaft des FC Bayern inzwischen zum Trainingslager nach Katar reist und dort Turniere mit lokalen Frauenmannschaften veranstaltet.
Wie bewerten Sie die Entwicklung, dass Bayern von Sponsoren aus Katar, etwa Qatar Airways, sehr viel Geld bekommt?
Es steht uns als Nichtregierungsorganisation nicht zu, eine Zusammenarbeit mit katarischen Wirtschaftsunternehmen zu kritisieren oder zu bewerten. Wir können den FC Bayern aber bitten, sich bereits im Vorfeld über die Lage der Menschenrechte zu informieren. Bei neuen Verträgen sollte man darauf pochen, dass die Menschenrechte darin Erwähnung finden und dass die Einhaltung der Menschenrechte vertraglich festgelegt wird.