Physiotherapeut des DFB
"Schweren Herzens": Klaus Eder und seine WM-Absage
10. Juni 2018, 11:00 Uhr aktualisiert am 10. Juni 2018, 11:00 Uhr
Die Weltmeisterschaft in Russland hätte Klaus Eders letzte als Physiotherapeut der Nationalmannschaft werden sollen. "Aber der liebe Gott hat anders entschieden", sagt er. Eine Rückenoperation lässt einen Einsatz nicht zu.
Dass ihm diese Entscheidung nicht leichtgefallen ist, das merkt man Klaus Eder an. Bis zuletzt, genauer gesagt bis zum Ende der vergangenen Woche hat er darum gekämpft, doch noch bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland dabei zu sein. Doch es hat nicht mehr ganz gereicht. Wegen Rückenproblemen - Eder wurde an der Wirbelsäule operiert - musste er seine Teilnahme an der WM absagen. "Auf Anraten der Ärzte, auch der Mannschaftsärzte des DFB und meinem subjektiven Gefühl folgend habe ich mich schweren Herzens dazu entschieden, abzusagen", erklärt der langjährige Physiotherapeut der Nationalmannschaft im Gespräch mit idowa.
Acht Europameisterschaften und sieben Weltmeisterschaften hat Eder mit dem DFB erlebt. "Dadurch weiß ich, dass man so ein Turnier nur durchstehen kann, wenn man physisch und psychisch hundertprozentig fit ist. Diese Fitness habe ich leider nicht mehr erreicht." Ein großes Turnier bedeutet für den Physiotherapeuten: früh aufstehen, selbst Sport treiben und anschließend von 9 Uhr bis Mitternacht oder länger verfügbar sein. Das kann Eder aktuell nicht leisten. Und wegen persönlicher Eitelkeiten wollte der 64-Jährige die Reise dann auch nicht antreten. "In meinem Zustand könnte ich der Mannschaft nicht helfen."
Eder ist aktuell nicht das erste Mal Patient. 20 Jahre lang hat er in Donaustauf und Regensburg Eishockey gespielt - Verletzungen inklusive. Zwei Kreuzbandrisse, ein gebrochenes Schlüsselbein, herausgefallene Zähne zählt er auf. Eder war immer aktiv, nach dem Eishockey fuhr er gerne Ski. Erst im Februar hat er sich eine Beckenringfraktur in Hinterklemm zugezogen - "weil ich mal wieder viel zu schnell dran war", wie er mit einem Schmunzeln berichtet.
"Der liebe Gott hat anders entschieden"
Die meiste Zeit ist Eder aber freilich auf der Seite des Helfenden. Seit 1988, also genau 30 Jahre lang, ist er nun Physiotherapeut der Nationalmannschaft. Die anstehende Weltmeisterschaft hätte seine letzte in aktiver Rolle beim DFB sein sollen - "aber der liebe Gott hat anders entschieden", sagt er. Peter Fischer aus der "Eden Reha" wäre ohnehin Eders designierter Nachfolger nach der WM gewesen. Nun übernimmt er schon früher. "Über seine fachlichen Qualifikationen höre ich nur das Allerbeste. Gepaart mit seinen charakterlichen Eigenschaften ist er ein absolut würdiger Vertreter", sagt Eder. Es müsse ohnehin weitergehen. "Es ist wichtig, dass man die Betreuung in junge und kompetente Hände legt. Das ist bei Peter Fischer hundertprozentig der Fall."
Eder selbst wird die Weltmeisterschaft zu Hause auf der Couch verfolgen. "Ich werde das genießen. Da habe ich einen riesigen Bildschirm und sehe das Spiel viel besser, als wenn ich auf der Bank sitzen würde", sagt er. Nationalmannschaft-Manager Oliver Bierhoff hat ihm angeboten, dass er zu jedem Spiel auf Einladung des DFB reisen könnte. Ob er das bei einem möglichen Halbfinale oder Finale wahrnimmt, weiß Eder noch nicht. "Ich muss schauen, wie es mir geht - ob ich physisch wieder so weit bin und ob ich es dann überhaupt möchte", sagt er. Dann fügt er hinzu: "Obwohl ich schon froh wäre, die Nähe zur Mannschaft noch einmal zu spüren."
1990, bei seiner ersten Weltmeisterschaft als Physiotherapeut, wurde Eder mit der Nationalmannschaft in Italien gleich Weltmeister. Es folgte der Europameistertitel 1996 in England und 2014 der nächste WM-Triumph. "Das waren natürlich die besonderen Highlights", blickt er zurück. Auch abseits des Sportlichen bleiben dem Oberpfälzer viele nette Anekdoten in Erinnerung. Etwa, als man dem ehemaligen Physiotherapeuten des Nationalteams, Adolf Katzenmeier, einen Hasen in seinem Behandlungskoffer versteckt habe. "Mit Sepp Maier hatten wir ohnehin den Spaßvogel schlechthin in unserer Mannschaft", sagt Eder.
Positive Veränderungen
Es hat sich aber auch einiges verändert über die Jahre - vieles auch zum Positiven, wie Eder erklärt. "Die heutige Generation von Fußballspielern ist, was den sozialen Umgang betrifft, sehr geschliffen und hat sich gewandelt. Es gibt heute ein ‚Bitte' und ein ‚Danke'. Das war früher, vor 30 Jahren, nicht immer so", sagt er. Man müsse sich nur Joshua Kimmich anschauen. Einser-Abiturient, Nationalspieler - und dennoch mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben. Es sei schön, diese Entwicklung miterlebt zu haben.
Die Beziehung der Spieler zu den Physiotherapeuten ist eine sehr innige. Bei den stundenlangen Behandlungen wird viel gesprochen und erzählt. "Als Physiotherapeut ist man auch ein bisschen die seelische Müllkippe der Spieler. Sie liegen ein, zwei Stunden auf dem Behandlungstisch, da kommen auch einige Probleme zur Sprache. Wenn jemand bei der Aufstellung nicht berücksichtigt worden ist, wenn jemand Stress mit einem Mitspieler oder Gegenspieler hat oder wenn die Freundin drei Tage nicht mehr angerufen hat", sagt Eder.
Wie gut das Verhältnis ist, verdeutlicht auch die Tatsache, dass sich nach Eders Operation durchweg alle Spieler mit Nachrichten bei ihm gemeldet und ihm alles Gute gewünscht haben. "Das zeigt mir, dass ich eine große Akzeptanz bei der Mannschaft genieße. So etwas hilft mir schon auch ein bisschen über die Enttäuschung über das Verpassen der WM hinweg", freut er sich.
Über die Jahre hat sich auch Eders Kerngeschäft, die Physiotherapie, weiterentwickelt. Früher sei Johan Cruyff bei der niederländischen Nationalmannschaft oder Rudi Brunnenmeier vom DFB-Team rund 1.000 Meter im Spiel gelaufen - Miroslav Klose dagegen legte rund 15 Kilometer zurück. "Mit dem hohen Anforderungsprofil an die Spieler müssen auch wir uns anpassen", erklärt Eder. "Eis auflegen, irgendetwas massieren und eine Salbe draufschmieren - das reicht nicht mehr." Vielmehr müsse man auch biomechanische, manualmedizinische und ostheopatische Erkenntnisse in die Behandlung einfließen lassen.
Wie ein Formel 1-Auto
Zudem wird sehr viel präventiv gearbeitet. Das müsse man sich wie bei einem Formel 1-Auto vorstellen, veranschaulicht Eder. "Da reicht es auch nicht, wenn man alle 30.000 Kilometer zum Kundendienst fährt. Das muss jeden Tag gecheckt werden." Man sei als Physiotherapeut quasi für das Feintuning bei den Spielern zuständig, damit die Trainer optimal mit ihnen arbeiten könnten.
Klaus Eder hat mit dem DFB erfolgreiche und weniger erfolgreiche Turniere erlebt. Was die Titel-Mannschaften ausgezeichnet habe? "Sie hatten immer Topspieler im Team, aber auch einen sehr guten Teamspirit." Zudem brauche man auch das nötige Quäntchen Glück, um den ganz großen Wurf zu schaffen. Bei der anstehenden Weltmeisterschaft in Russland traut er Deutschland auf jeden Fall den Finaleinzug zu. "Dann", sagt er, "kommt es sicher auch auf die Tagesform und das Quäntchen Glück an, um den Titel zu holen."
Klaus Eder wird nach 30 Jahren erstmals ein großes Turnier nicht als Physiotherapeut begleiten, zu Hause aber genauso mitfiebern: "Ich bin nach wie vor mit Herzblut dabei und drücke der deutschen Mannschaft natürlich die Daumen."