Einziger Deutscher in Tschechiens erster Liga

Till Schumacher: Zwischen Luxuskäfig und tschechischer Kälte


Die Heimspielstätte mitten im Viertel: Till Schumacher spielt seit Sommer 2018 für Bohemians Prag. Derzeit ist er der einzige Deutsche in Tschechiens erster Liga.

Die Heimspielstätte mitten im Viertel: Till Schumacher spielt seit Sommer 2018 für Bohemians Prag. Derzeit ist er der einzige Deutsche in Tschechiens erster Liga.

Till Schumacher spielt Fußball bei Bohemians Prag. Er ist der einzige Deutsche in der ersten tschechischen Liga. Ein Besuch bei einem deutschen Talent und einem Verein mit ganz besonderem Flair.

Es war kalt. Eiskalt, um genau zu sein. Minus 16 Grad zeigte das Thermometer, als Till Schumacher im Januar 2018 sein erstes Training beim FC Vysocina Jihlava absolvierte. Durch die Feuchtigkeit seines Atems gefror sogar sein Neckwarmer. Kein einfacher Start bei seinem neuen Club, doch Schumacher nahm die Situation an. "Es ist Tschechien, es ist Winter, da ist es eben kalt", sagt er heute mit einem Schmunzeln. Für Schumacher, zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre jung und gerade von der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund gekommen, war es eine riesige Umstellung. Jihlava ist eine sehr traditionelle Stadt, 50.000 Einwohner, selbst mit Englisch tut man sich hier schwer.

Als "riesigen Kulturschock" bezeichnet Schumacher die damalige Situation, es habe auch ein bisschen auf die Psyche geschlagen. Doch er kämpfte sich durch. "Ich habe mich angepasst, habe schnell die Basics in der Sprache gelernt, damit ich als Lebewesen wahrgenommen werde", kann er heute scherzen. Im Team hat er sich wohlgefühlt und sich durch gute Leistungen schnell Anerkennung verschafft. Nach einem halben Jahr, in dem der Klassenerhalt nicht mehr gelang, verließ der Linksverteidiger Jihlava wieder.

Einfache Verhältnisse - aber "alles, was man zum Arbeiten braucht"

Als er am vergangenen Dienstag über das Trainingsgelände seines neuen Vereins Bohemians Prag schlendert, blickt Schumacher auf ein weitläufiges Gelände, am Stadtrand gelegen und an einen Wald angrenzend. Einen Kunstrasenplatz und drei weitere Plätze gibt es hier. Naturrasen, kein Rollrasen. Das Gelände teilt sich der tschechische Erstligist mit einem kleineren Verein. Die Kabinen würde man in Deutschland eher ab der Landesliga abwärts vermuten statt bei einem Proficlub. Im gleichen Gebäude hat der Platzwart seine Wohnung.

Ist einen anderen Standard gewohnt, kommt aber auch mit den Bedingungen bei Bohemians Prag zurecht: Till Schumacher, hier in der Kabine auf dem Trainingsgelände.

Ist einen anderen Standard gewohnt, kommt aber auch mit den Bedingungen bei Bohemians Prag zurecht: Till Schumacher, hier in der Kabine auf dem Trainingsgelände.

Für Schumacher sind die Bedingungen hier gewöhnungsbedürftig. Er ist anderes gewohnt. Klar, bei Borussia Dortmund, wo er viereinhalb Jahre lang spielte, finden auch die Jugendspieler schon beste Bedingungen vor. "Ich bin aus einem Luxuskäfig gekommen", veranschaulicht er. Für seine Mitspieler seien die Bedingungen Mittelmaß bis gut. "Hier stört sich wirklich kein Mensch daran", sagt er und fügt lachend hinzu: "Ich bin quasi der einzige verwöhnte Deutsche, der das ein bisschen anders sieht." Die Umstände haben aber auch ihren Charme, findet Schumacher: "Es zeigt, dass die Fußballwelt doch nicht überall so kaputt ist, wie es oft gesagt wird. Und auch hier haben wir alles, was man zum Arbeiten braucht."

Till Schumacher hat im Nachwuchsbereich eine steile Karriere hingelegt. Nach Anfängen in seiner Heimatstadt bei Rot-Weiß Essen wechselte er in der U17 zum BVB. Er wurde Meister mit den B-Junioren und als Kapitän mit den A-Junioren. "Wir waren damals eine super Truppe, haben zurecht die Titel gewonnen. Erlebnisse, die mir niemand mehr nehmen kann", erzählt er. Die Zeit war aber auch sehr fordernd. Gerade Schule und Fußball unter einen Hut zu bringen, wurde zunehmend zu einer großen Herausforderung. In der A-Jugend hat der Fußball die Schule dann auch als erste Priorität abgelöst. "Du bist Nationalspieler, spielst eine super Rolle beim BVB und die Profikarriere ist zum Greifen nah. Da hat sich die Schule dem Sport dann schon irgendwo untergeordnet", gibt er offen zu.

Er machte das Gymnasium nicht zu Ende, machte aber das Fachabitur. Ob der Fehler im System liegt? "Die Vereine versuchen schon, darauf zu achten", findet er. "Aber keiner kann wirklich auf den Kopf eines jungen Spielers achten." Vor allem für den Kopf sei die Belastung immer größer geworden. Zu groß? "Gerade zu meiner Zeit, und vielleicht auch noch ein, zwei Jahre später war es sicher so, dass den Jugendspielern zu viel abverlangt wurde", sagt Schumacher. Inzwischen, soweit er das mitbekomme, finde da aber auch ein Umdenken statt und es werde von Vereinsseite mehr auf die Schule geachtet.

"Du musst früher zu einem Mann werden"

Auf was er für den Profitraum alles verzichtet hat, wurde ihm erst später bewusst. "Mit 16, 17 Jahren denkst du gar nicht so sehr darüber nach. Dir wird zwar immer gesagt, dass du auf vieles verzichtest. Aber man ist in seinem Alltag drin und lebt einfach weiter." Erst mit 20 Jahren habe er angefangen, sich darüber mehr Gedanken zu machen. "Jetzt weiß ich, worauf ich wirklich verzichtet habe, gerade was das Soziale angeht." Doch Schumacher bereut nichts und blickt ausschließlich positiv auf die Zeit zurück: "In einem NLZ musst du früher zu einem Mann werden als sonst. Ich wurde top ausgebildet, sowohl als Mensch als auch als Sportler. Vielleicht manchmal auch ein bisschen überfordert - aber lieber so als unterfordert zu sein."

Sportlich kam Schumacher beim BVB irgendwann an eine Grenze. Er trainierte mit den Profis, spielte bei Testspielen mit - doch der Durchbruch gelang ihm nicht. Das hat für ihn auch viel mit Glück und dem Momentum zu tun. Also stellte er sich die Frage: Was tun? Sicher hätte er in der Regionalliga unterkommen können, sich damit ein Studium finanzieren und sich ein zweites Standbein aufbauen können. Doch das würde nicht zu Till Schumacher passen. "Wir Menschen sind das, was wir erleben", so seine Einstellung. "Deshalb geht es für mich darum, in meinem Leben möglichst viele Erfahrungen zu sammeln und immer wieder neue Sachen auszuprobieren." Gesagt, getan. Als er das Angebot aus Jihlava bekam, dort in der ersten tschechischen Liga zu spielen, musste er nicht lange überlegen. "Ich habe mich gefragt, ob ich in der Komfortzone in der Heimat bleiben will oder ob ich unbedingt die Profilaufbahn einschlagen und in Tschechien erste Liga spielen will." Die Entscheidung fiel ihm leicht.

Lesen Sie auf Seite 2, was Schumacher über den Spielstil in Tschechien sagt, wie er die Verpflichtung eines neuen Konkurrenten einschätzt und warum ihm Prag so gut gefällt.

Mehr Härte, neue Konkurrenz und eine enorme Lebensqualität

In Tschechien wird anders gespielt als in den Junioren-Bundesligen. Es wird härter gespielt. Das Körperliche ist wichtiger als das Fußballerische. "Ein bisschen old school", umschreibt der Westfale. Für Schumacher war das anfangs eine große Umstellung, und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Genau das sei aber auch ein Grund für den Wechsel gewesen: "Das körperliche Spiel ist ein Punkt, in dem ich mich noch am meisten entwickeln kann." Die Umstellung gelang, Schumacher machte in seinen ersten eineinhalb Jahren 24 Erstliga-Spiele, obwohl er zwischenzeitlich monatelang wegen einer Verletzung ausfiel.

Erfahrener Konkurrent sorgt für Enttäuschung

In dieser Saison sieht es bislang anders aus, erst 19 Minuten stand er auf dem Feld. Im Sommer lieh der Verein einen 32-jährigen tschechischen Linksverteidiger von Dukla Prag aus, damit ist der Deutsche derzeit nur die Nummer zwei auf seiner Position. Rivale Jakub Podany ist erfahren, hat seine Qualität über Jahre unter Beweis gestellt, ist ein klassischer Linienläufer, ein harter Arbeiter. Ein anderer Spielertyp als Schumacher, der vor allem technisch versiert ist und sich vielleicht auch noch mehr an das körperliche Spiel anpassen muss, wie er sagt.

Till Schumacher (rechts, hier im Spiel bei Slavia Prag) hat neue Konkurrenz auf der Linksverteidiger-Position bekommen. Jetzt muss er sich durchbeißen. (Foto: imago)

Till Schumacher (rechts, hier im Spiel bei Slavia Prag) hat neue Konkurrenz auf der Linksverteidiger-Position bekommen. Jetzt muss er sich durchbeißen. (Foto: imago)

"Das ist sehr enttäuschend für mich und ich kann es auch nicht ganz nachvollziehen", sagt er. Gerade in der Vorbereitung fühlte er sich gut, zudem besitze er als junger Spieler bei entsprechender Entwicklung auch ein gutes Erlöspotenzial für den Verein. "Es ist schon auch frustrierend, weil mich diese Situation ein bisschen ausbremst", so Schumachers Einschätzung. Es sei eine Situation, die er jetzt eben durchmachen müsse: "Ich kann nur Gas geben und Druck ausüben, jetzt muss ich mich durchbeißen." Er hat noch knapp zwei Jahre Vertrag - "genügend Zeit um mich durchzusetzen" - und fühle sich dennoch wohl im Verein und in der Stadt.

Schumacher schwärmt von Prag

Vor allem die Stadt Prag war bei seinem Wechsel zu Bohemians ein entscheidender Faktor. Schumacher schwärmt von der tschechischen Hauptstadt. Die Lebensqualität sei enorm. "Es gibt Tschechien und es gibt Prag", sagt Schumacher. Prag biete kulturell vieles, sei international und weltoffen. "Ich fühle mich super wohl hier, kann das kaum in Worte fassen. Prag ist wirklich eine ganz, ganz tolle Stadt." Die Vorzüge Prags nutze er noch viel zu wenig. Er gehe gern mal in die Stadt, trinke einen Kaffee und mache etwas mit Teamkollegen. Viel Zeit investiert er aber auch in ein Fernstudium in Psychologie. "Das hat mich schon immer interessiert", sagt Schumacher und würde nach der Karriere gerne in dem Bereich arbeiten. Vor allem macht er das Studium aber, um seinen Kopf zu fordern.

In Prag bekommt Schumacher auch zu spüren, welchen Stellenwert Deutschland im Ausland hat. Als Vorbild werde Deutschland in Tschechien angesehen. "Die Tschechen teilen mir immer wieder mit, wie toll es doch ist, Deutscher zu sein. Ich merke Tag für Tag, welch hohes Ansehen wir dort genießen. Das ist Wahnsinn, wenn man im Kontrast dazu sieht, dass in Deutschland sehr viele Leute unzufrieden sind, dass es derzeit einen Rechtsruck gibt."

Lesen Sie auf Seite 3, was den besonderen Flair von Bohemians Prag ausmacht, wo Till Schumacher Verbesserungspotenzial im tschechischen Fußball sieht und wie er seine Zukunft plant.

Besonderes Flair, Slavia und der BVB: Gegenwart trifft auf Vergangenheit

Als Till Schumacher auf dem Rasen des Stadions von Bohemians Prag steht, blickt er in einer Richtung auf Wohnhäuser. Das Ďolíček-Stadion steht mitten in einem Wohngebiet. "Ďolíček, víc než stadion!", also: "Ďolíček, mehr als ein Stadion!", steht in weißen Buchstaben auf grüner Fläche hinter einer der Tribünen. Die Leute, die hier ins Stadion gehen, kommen größtenteils aus dem Stadtteil. Bohemians ist ein Arbeiterverein. "Nicht weit vom Stadion gab es früher viele Fabriken, es kommen viele altgediente Tschechen ins Stadion", erzählt Schumacher. Zwar passen nur etwa 6.800 Zuschauer in das Stadion. "Aber bei den Spielen fühlt es sich nach deutlich mehr an. Alle Zuschauer auf der Tribüne sind voll dabei, jede Entscheidung wird lautstark kommentiert", sagt Schumacher. Für seine Fans sei der Verein in ganz Tschechien bekannt und deshalb auch beliebt. Ein bisschen wie der FC St. Pauli in Deutschland, zieht er einen Vergleich. Schumacher mag das besondere Flair bei Bohemians. "Hier werden Emotionen gelebt, das macht doch den Fußball aus. Wenn die Menschen mitfiebern, das Stadion schon ein bisschen angerostet ist, die Farbe von der Wand bröselt, das ist einfach etwas Wunderschönes."

"Wenn die Menschen mitfiebern, das Stadion schon ein bisschen angerostet ist, die Farbe von der Wand bröselt, das ist einfach etwas Wunderschönes." Till Schumacher findet, das Stadion von Bohemians Prag hat einen besonderen Charme.

"Wenn die Menschen mitfiebern, das Stadion schon ein bisschen angerostet ist, die Farbe von der Wand bröselt, das ist einfach etwas Wunderschönes." Till Schumacher findet, das Stadion von Bohemians Prag hat einen besonderen Charme.

Sportlich ist Bohemians ein durchschnittlicher Club, wurde vergangene Saison Elfter und ordnet sich auch jetzt im Mittelfeld der Tabelle ein. Bewertet man die sportliche Qualität der Liga, muss man laut Schumacher "die großen Drei" rausrechnen. Slavia und Sparta Prag sowie Viktoria Pilsen würden in einer anderen Liga spielen, sicherlich auf Bundesliga-Niveau. Vor allem Slavia habe eine "tolle Mannschaft". Der Rest der Liga sei zwischen unterer 2. Bundesliga und guter 3. Liga im Vergleich zu Deutschland einzuordnen. Ähnlich sei es bei den Gehältern. Während man bei den Top-Clubs auf Bundesliga-Niveau verdienen könne, bekomme man bei den anderen Clubs ein Gehalt ähnlich dem Durchschnitt der dritten deutschen Liga.

Hier würde Schumacher ansetzen

Insgesamt ist im tschechischen Fußball noch viel Luft nach oben. "Es ist, gerade körperlich, schon ein wirklich vernünftiges Niveau", sagt Schumacher, sieht aber in vielen Punkten dennoch Verbesserungspotenzial. Wo er ansetzen würde, wäre er Manager? Zunächst würde er in die Infrastruktur investieren, die Trainingsbedingungen verbessern. Als nächsten Punkt würde er die Nachwuchsarbeit in Angriff nehmen. "Ich würde das als langfristiges Projekt betrachten und zunächst wirklich bei den Basics anfangen", sagt er. Nur so sei eine langfristige Entwicklung möglich. Das Bewusstsein, grundlegende Dinge zu verändern, ist aber noch nicht wirklich vorhanden, glaubt Schumacher.

Warum er derzeit der einzige Deutsche in der Liga ist? Vielleicht hätten viele andere Vorurteile gegenüber Land und Liga, vermutet Schumacher. Auch die tschechischen Vereine würden lieber auf einheimische Spieler setzen. Wegen des Geldes gehe ein Spieler ebenso nicht nach Tschechien. Auch seien die Teams im Durchschnitt relativ alt, die Leistungen der Vergangenheit zählen vielleicht mehr als die Perspektiven für die Zukunft. Etwas, das er aktuell selbst leidvoll zu spüren bekommt. "Auch Vetternwirtschaft spielt im tschechischen Fußball eine Rolle", sagt der 21-Jährige. Schumacher würde sich von den Verantwortlichen insgesamt mehr Mut zum Risiko wünschen, sei es beim Einsetzen von jungen Spielern, in der Nachwuchsarbeit oder im Bereich der Infrastruktur. "Mir wird hier oftmals zu traditionell und zu klein gedacht. Die Vereine haben großes Potenzial, das muss aber noch viel mehr genutzt werden."

Zukunftspläne? "Ich bin komplett weltoffen"

Wo es ihn in Zukunft hinzieht, da kann und will sich der Fan des American Football noch nicht festlegen. "Ich bin komplett weltoffen", sagt er über sich selbst. Vielleicht ziehe es ihn in einem Jahr nach Thailand oder Australien. Auch der deutsche Fußball reizt ihn, eine Rückkehr in die Heimat sei mittelfristig das Ziel. "Aber nicht um jeden Preis, dafür fühle ich mich in Prag viel zu wohl", betont er. Ein ordentlicher Drittligist, vielleicht sogar ein Zweitligist würden ihn reizen. Auch das Kapitel Bundesliga hat er noch nicht abgehakt. "Ich bin noch jung, da ist noch einiges drin. Aber klar bin ich nicht vermessen und weiß, dass ich davon aktuell ein gutes Stück entfernt bin. Ich will mich einfach Schritt für Schritt weiterentwickeln. Ich muss nicht Bundesliga spielen, um am Ende eine schöne Karriere gehabt zu haben."

Wohin es ihn in Zukunft verschlägt? Das steht für Till Schumacher noch nicht fest.

Wohin es ihn in Zukunft verschlägt? Das steht für Till Schumacher noch nicht fest.

In den Katakomben des Stadions, wo auch die Büroräume der Geschäftsstelle sind, wird Schumacher von einem Mitarbeiter angesprochen. Ob er am Montag Zeit habe, ein Reporter habe ein Interview angefragt. Es gehe, natürlich, um das bevorstehende Spiel von Slavia Prag gegen Borussia Dortmund in der Champions League. Für Schumacher trifft dabei Gegenwart auf Vergangenheit. Natürlich habe er Zeit, antwortet er. Für dieses Spiel ist er eben der perfekte Anspechpartner - als Ex-Dortmunder und einziger Deutscher in Tschechiens erster Liga.