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Blauer Spätzünder: Eine Spurensuche der AZ bei Linus Straßer
17. Februar 2023, 18:35 Uhr aktualisiert am 17. Februar 2023, 18:35 Uhr
Der direkte Wettkampf, das Eins gegen Eins, ist seine Stärke. Das, was er so liebt. Umso mehr dürfte ihn sein letztes Rennen geärgert haben. Im Achtelfinale des Parallelrennens liegt er auf Kurs, doch die Brille verrutscht. Linus Straßer sieht nichts mehr, scheidet aus. Keine Medaille.
Ärgerlich für den 30-Jährigen, der immer das Maximum aus sich herausholt. Der beste deutsche Skifahrer gibt sich nicht damit zufrieden, wenn mal ein Patzer passiert.
Straßer kennt es nicht anders. Seit seiner frühesten Kindheit steht der Münchner auf Skiern. Seit einiger Zeit wohnt er im beschaulichen Kirchberg, zwei Bahnstationen von Kitzbühel entfernt. Ein bekannter und beliebter Wintersportort.
Kirchberg ist ein Ort, in dem sich die Straßen an aufbereiteten Fachwerkhäusern vorbeischlängeln, die von schicken Vorgärten mit teuren Autos gesäumt werden. Ein großes Sportgeschäft darf in dem kleinen Ort nicht fehlen, natürlich nicht. Linus Straßer ist nicht der einzige Top-Sportler, den es nach Kirchberg gezogen hat. Selbst David Alaba besitzt hier ein Anwesen. Auch Deutsche gibt es in der 5000-Einwohner-Gemeinde so einige.
Gerade im Winter ist Straßer sowieso kaum in seiner Wahlheimat, sondern "eh ständig auf Reisen", wie sein Vater Georg Eisenhut erzählt. Hin und wieder ist er auch in München, wo er geboren wurde und wo er für den TSV 1860 startet.
Mario Mittermayer-Weinhandl, sein langjähriger Trainer, weiß noch genau, als er Eisenhut und seinen damals sechsjährigen Buben kennenlernte. Am Zieleinlauf habe er mit dem Papa gewartet, nichts ahnend, denn die meisten Münchner Kinder können mit den Einheimischen nicht mithalten, sagt er. Doch Linus sei besser gewesen. "Es war ein einschneidendes Erlebnis für mich, als er die Piste runtergecarvt ist. Da habe ich seinem Vater gesagt: ‚Jetzt muss ich tatsächlich einen Deutschen nehmen'."
Der heute 49-Jährige trainierte den talentierten Skifahrer als Kind und von 2009 bis 2015 als Privattrainer. Ihn, den Münchner mit dem österreichischen Talent. Bis heute haben Mittermayer-Weinhandl und Straßer ein inniges Verhältnis, telefonieren oft, treffen sich aber eher selten. "Linus ist wie mein drittes Kind", sagt der Skilehrer, der als Rennleiter beim Hahnenkammrennen arbeitet und in Aschau im Chiemgau einen Fahrradladen betreibt.
Linus Straßer ist einer der besten deutschen Skifahrer und noch dazu der beste Techniker. Niemand weiß so genau, was er kann, was er nicht kann, wo er besser werden muss und wo er hin will, wie er. Der Slalomspezialist ist aktuell Siebter im Slalom-Weltcup, eine Medaille bei der WM würde ihn und seine starke Form bestätigen. Neun Podestplätze hat er im Weltcup bislang erreicht, im letzten und vorletzten Jahr war jeweils auch ein Sieg dabei. Er fährt immer öfter ganz vorn mit. Straßer ist inzwischen 30 Jahre alt - wann hat er seinen Zenit erreicht?
Straßer sei als Kind den Gleichaltrigen immer ein, zwei Jahre hinterher gewesen, sagt Mittermayer-Weinhandl. "Deshalb wollte er immer viel mit Technik wettmachen, wenn er es mit Kraft nicht konnte." Der Trainer pushte ihn in schwierigen Zeiten, etwa als er zur Abiturzeit mit einer Hüft-OP und Pfeifferschem Drüsenfieber länger ausfiel. Sie hätten damals viele Skitouren gemacht, erzählt Mittermayer-Weinhandl und wenig ans Skifahren gedacht. "Damals war es wichtig, dass wir Ruhe bewahren, dass man ihn motiviert, am Ball zu bleiben." Das Ziel, in Sotschi starten zu können, war unrealistisch. Doch dann steckten sich die beiden eben ein neues Ziel.
Jahre später ist Straßer ein "geerdeter, guter Typ", wie sein ehemaliger Trainer sagt. Einer, der im Gegensatz zu früher, auf eigenen Füßen steht. Sein Vater hat viel mitgesprochen in seiner Kindheit, heute ist er "ein extrem wohlwollender Zuschauer", sagt Eisenhut der AZ.
Von seinem Privattrainer hat sich Straßer 2015 gelöst. Diese sind beim Deutschen Ski-Verband nicht so gern gesehen. Straßer entschied sich für das Weltcup-Team des DSV.
Inzwischen ist er motivierter denn je. "Er hat dieses heiß sein aufs Gewinnen", erzählt sein Ex-Trainer. "Das ist jetzt bei ihm ausgeprägter, als es mal war. Mit einem zweiten, dritten, vierten Platz gibt er sich nicht mehr zufrieden." Der 30-Jährige will gewinnen. Und doch schiebt sich mehr Gelassenheit in seine Einstellung. "Wenn es nichts werden sollte, weil andere schneller sind, dann ist es so. Das ist der Wettkampf", sagte Straßer kürzlich der "Welt". "Dann wird sich am Tag darauf die Welt trotzdem weiterdrehen."
Seine Priorität hat sich verschoben. Im Dezember ist er erstmals Vater geworden, mitten in seiner vielleicht stärksten Saison. Die kleine Marta ist sein Glücksbringer. Mario Mittermayer-Weinhandl, glaubt, dass Straßer das Maximum noch nicht erreicht hat. "Skifahrerisch wird es nicht viele Bessere geben als ihn. Wenn er gesund bleibt, wird er dem deutschen Skisport noch viel Freude bereiten." Dann freut man sich auch in Kirchberg über den Deutschen mit dem österreichischen Talent.