Biathlon-Olympiasiegerin
Keine Ziele mehr: Dahlmeier beendet frühzeitig Karriere
17. Mai 2019, 13:06 Uhr aktualisiert am 17. Mai 2019, 13:56 Uhr
Laura Dahlmeier hat im Biathlon alles erreicht. Neue Ziele hat die Bayerin nicht mehr und geht wie einst Magdalena Neuner mit nur 25 Jahren in die Sportrente. Viele hatten das befürchtet. Die deutschen Skijägerinnen verlieren ihr Aushängeschild.
Frei sein. Selbstbestimmt. Machen, was sie will. Für Laura Dahlmeier ist das ihre größte Lebensmaxime, die ein hohes Maß an Lebensqualität darstellt. Und das Freisein stellt die Ausnahme-Biathletin nun in den Mittelpunkt ihres Lebens. Denn mit nur 25 Jahren beendet die Bayerin ihre einmalige Erfolgskarriere.
Am allermeisten freue sie sich darauf, sich nicht mehr jede Minute an- und abmelden zu müssen, "um meinen genauen Aufenthaltsort anzugeben beziehungsweise täglich zwischen 6.00 bis 23.00 Uhr für (Antidoping-) Kontrollen zur Verfügung zu stehen. Dies war schon ein sehr großer Eingriff in die Privatsphäre", schrieb die Garmisch-Partenkirchnerin am Freitag auf ihrer Homepage.
Beweisen muss sie sich ohnehin nichts mehr. Sie hat alles gewonnen. Ziele hat sie keine mehr, für die es sich zu schinden lohnt und so auch ein Stück der geliebten Freiheit herzugeben. "Heute bin ich an dem Punkt, an dem ich nicht weiß, was genau ich mir für ein Ziel vornehmen sollte, geschweige denn, ob es mir überhaupt wieder gelingen könnte", sagte die siebenmalige Weltmeisterin.
Schon immer konsequent
Konsequent war Dahlmeier schon immer. Und so ist sie es auch bei ihrem Karriereende. Und machte es Rekord-Weltmeisterin Magdalena Neuner, für die auch Biathlon nicht alles war, gleich. Neuner hatte 2012 auch mit 25 Jahren aufgehört. Die Rekordweltmeisterin zog im "Münchner Merkur" Parallelen zu sich: "Bei mir war es auch so, dass ich alles erreicht hatte und es mir nicht darum ging, noch fünf weitere Weltmeistertitel zu holen."
Nach dem Aus von "Gold-Lena" stieg Dahlmeier schnell zum neuen deutschen Biathlon-Liebling auf. Und sie geht wie Neuner als eine der ganz Großen in die Sport-Annalen ein. Zweimal Olympia-Gold, sieben WM-Titel, dazu einmal der Gesamtweltcup. 13 WM-Medaillen in Serie sind ebenso Rekord wie ihre fünf WM-Titel 2017 in Hochfilzen.
Und doch wird ihr Karriere-Aus in der öffentlichen Wahrnehmung wohl nicht so eine Lücke reißen wie das von Neuner vor sieben Jahren. Denn Dahlmeier war nie ein wirklicher Star zum Anfassen wie ihr früheres Vorbild. Zum einen fehlt der "Sportlerin des Jahres" von 2017 zur Vermarktung der Glamourfaktor. Das einzige Kleid, das sie besitzt, sei ein Dirndl, sagte die Naturliebhaberin mal. "Mein Ziel war es nie, Promi zu werden, sondern Biathletin. Jeden Schmarrn würde ich nicht machen. Sich komplett zu verkaufen und nur das Geld in den Augen blitzen zu sehen - das bin nicht ich."
Auszeiten und Freiheiten
Zum anderen hat Dahlmeier ihren eigenen Kopf, den sie oft genug durchsetzte. Sie nahm sich die Auszeiten und Freiheiten, die sie brauchte, um Top-Leistungen zu bringen. Oft auch zum Missfallen von Trainern und Verband. "Ich bin, wie ich bin. Das Wichtigste ist, dass ich das nach wie vor sein kann", sagte Dahlmeier. Massenkompatibel war die Zollbeamtin nicht und wollte es auch nie sein. Genauso wenig wie sie im Mittelpunkt stehen wollte. "Auf Dauer ist es anstrengend, dauernd angesprochen zu werden", sagte sie einst.
Zwar immer freundlich zu Fans und Medien, ließ sie Einblicke in ihr Seelenleben nur ganz selten zu. Home-Stories gab es nie und wird es nie geben. "Ich mache Biathlon nicht, weil ich berühmt werden will und 100 000 Fotos von mir gemacht werden", begründete Dahlmeier. Mit der Pressearbeit arrangierte sie sich allenfalls, weil es sein musste. Mehr aber auch nicht. Fremdbestimmt sein - für sie ein Graus.
Ihr Refugium sind die Heimat und vor allem die Berge. Dort holte sich Dahlmeier die Energie für die harten Rennen und die noch härtere Vorbereitung. Auf dem Gipfel, in der Stille der Höhe, findet sie das für sie so existenziell wichtige Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Dort lernte sie Demut und Dankbarkeit.
Hätte man ihr das Klettern verboten, wo es bei einem Fehler schnell auch um Leben und Tod geht, hätte sie mit dem Biathlon aufgehört. Das wussten Trainer und Deutscher Skiverband, ließen ihrer unangefochtenen Nummer eins ihre Freiheiten. Auch wenn sie sich wie 2014 bei einem Sturz einen Bänderriss zuzog und den Saisonstart verpasste. Es hätte aber auch dramatischer enden können. Dahlmeier sagte, ohne Bergsteigen hätte sie Biathlon nicht in dieser Intensität betreiben können.
Feilen und lernen
Als Kind übte Dahlmeier in ihrem Zimmer zu Hause beim Trockentraining stundenlang das Schießen. Und ging mit dem Klacken des Schlagbolzens ihrer Mutter schon mal auf die Nerven. Bis zum Schluss hörte sie nie auf, an sich zu feilen und zu lernen. Nicht zuletzt durch diesen Ehrgeiz und das Streben nach Perfektion gehört Dahlmeier nun zu den ganz Großen im Biathlon.
Für viele ist Dahlmeier die kompletteste Skijägerin, die Deutschland je hatte. Noch besser als Rekord-Weltmeisterin Neuner. "Mir ist noch nie so eine komplexe Biathletin untergekommen", sagte der frühere Damen-Bundestrainer Gerald Hönig. Während Neuner zu oft daneben schoss, vereinte Dahlmeier das Schießen und Laufen auf einem noch höheren Niveau. Sie gewann in allen Rennen vom Sprint bis zum schweren Einzel, was nur wenige können.
Dahlmeier hatte eine herausragende mentale Stärke, ging über körperliche Grenzen wie kaum eine andere. Wie bei der Fabel-WM 2017, als sie mehrfach im Ziel kollabierte. Zudem jagte Dahlmeier dem Erfolg nicht zwanghaft hinterher. Nicht umsonst war ihr Motto "Scheiß da nix, dann feid nix" (Denk dir nichts, dann passiert dir nichts).
Als Kind schrieb Dahlmeier in ein Freundebuch als Berufswunsch "Hüttenwirtin oder Olympiasiegerin". Das eine hat sie erreicht. Wie es in ihrem Leben weitergeht, wird Dahlmeier in den kommenden Monaten entscheiden. "Ich freue mich auf die kommende Zeit, neue Blickwinkel, Herausforderungen und viele Erlebnisse rund um den Globus."