AZ-Interview

"Luft nach oben": Patrik Kühnen über Shooting-Star Zverev


Alexander Zverev in Aktion.

Alexander Zverev in Aktion.

Von Sven Geißelhardt

Vor dem Davis-Cup-Match gegen Ungarn spricht Patrik Kühnen in der AZ über den ersten deutschen Triumph 1988, das neue Turnierformat und Shooting-Star Zverev. "Da ist noch Luft nach oben".

München - Der 52-jährige Patrik Kühnen gewann mit dem deutschen Team drei Mal den Davis Cup (1988, 1989 und 1993). Von 2003 bis 2012 war er Kapitän der deutschen Mannschaft. Heute ist er Turnierdirektor der BMW Open in München und spricht in der AZ über das Match Deutschland gegen Ungarn.

AZ: Herr Kühnen, ab Freitag tritt das deutsche Davis-Cup-Team in Frankfurt gegen Ungarn an - zwei Tage zuvor hatten auch Sie einen Davis-Cup-Termin.
PATRIK KÜHNEN: Stimmt, auf Einladung des Deutschen Tennis-Bundes gab es in Bad Homburg ein Treffen mit dem Team von 1988, das in Göteborg den Davis Cup gewonnen hatte: Boris Becker, Charly Steeb, Eric Jelen und ich.

"Wir waren die erste Boygroup"

Was Becker so macht, bekommt man ja mit. Wie schaut es bei Jelen und Steeb aus?
Eric ist Trainer im Tennisverband Mittelrhein, und Charly ist so weit ich weiß immer noch im Golf tätig. So oft sehen wir uns ja nicht. 30 Jahre ist das her: Wo ist bloß die Zeit hin? Wir waren eigentlich die erste Boygroup.

Denken Sie oft an diese Zeit zurück?
Jaja. Die Erinnerungen an gewisse Momente sind so präsent, dass ich immer noch Gänsehaut bekomme - und auch fast noch die gleichen Gefühle wie damals. Das ist so drin.

Reform des Davis Cup ist umstritten

Welche Momente sind das?
Zum Beispiel im Finale von Göteborg: als Eric im Doppel mit Boris mit dem zweiten Aufschlag zum Match aufschlägt. Stefan Edberg oder Anders Jarryd hat retourniert - und Boris geht dazwischen und spielt diesen Volley gegen den Fuß: Das sehe ich so klar vor mir! Da krieg' ich jetzt noch Gänsehaut!

Die Reform des Davis Cup ist umstritten. Wie stehen Sie dazu?
Ich habe den Davis Cup als Spieler erlebt und viele Jahre auch als Teamkapitän. Ich fand diesen Heimspiel-Auswärtsspiel-Charakter einzigartig. Das war das Alleinstellungsmerkmal des Davis Cup. Ich fand das faszinierend. Nach Buenos Aires zu fahren, auf Sand in dieser Hitze zu spielen, mit diesen temperamentvollen Zuschauern: Das waren besondere Matches. Jetzt ist in der Finalrunde alles vorgegeben. Und dann der Zeitpunkt: nach dem ATP-Finale in London, wenn alle nur noch in den Urlaub wollen. Aber Dinge verändern sich, und man muss jetzt schauen, wie es angenommen wird.

"Die vergangenen beiden Jahre waren für Zverev erfolgreich"

In Ihrem Job als Turnierdirektor der BMW Open, die vom 27. April bis 5. Mai wieder auf der Anlage des MTTC Iphitos stattfinden, konnten Sie zuletzt die erneute Teilnahme von Alexander Zverev verkünden - auch nicht die Regel, dass der Weltranglistedritte ein Turnier der 250er-Kategorie spielt, oder?
Das macht uns sehr stolz. Es ist in der Tat nicht selbstverständlich, dass der aktuelle Weltmeister und die Nummer drei der Welt bei uns aufschlägt. Aber es zeigt auch, dass er und sein Team sich bei uns offensichtlich sehr wohl fühlen.

Es gibt sicher auch sportliche Gründe.
Die vergangenen beiden Jahre waren für ihn - was die Sandplatzsaison betrifft - mit dem Plan, an den BMW Open teilzunehmen, sehr erfolgreich. Das hat für die diesjährige Planung sicher auch eine Rolle gespielt.

"Man ist Mensch, nicht Maschine"

Bei den Australian Open setzte es im Achtelfinale wieder eine herbe Niederlage, diesmal gegen Milos Raonic.
Raonic in Bestform ist grundsätzlich schwer zu spielen, weil er mit seinem gewaltigen Aufschlag viele freie Punkte macht. Gegen Zverev hat er an seiner absoluten Leistungsgrenze gespielt - und Alexander hatte nicht seinen besten Tag. Raonic war lange verletzt, davor aber viele Jahre Top-Ten-Spieler - und so ist er gegen Zverev aufgetreten. Auch in der Weltspitze entscheidet manchmal die Tagesform.

Das galt in Melbourne auch für Angelique Kerber.
Es gibt so Tage, da läuft nichts zusammen, auch im Profitennis. Man ist Mensch, nicht Maschine. Es ist natürlich bitter, wenn das bei so einem Turnier passiert, aber die Welt geht nicht unter. Im Tennis haben wir das Glück, dass viele Turniere auf dem Plan stehen und die nächste Chance schon wartet. Mit Rainer Schüttler hat Kerber einen Top-Mann, der selbst Top-Ten-Spieler war, und der viel über Kampfgeist und die Fitness kam.

Für Zverev gibt es noch Luft nach oben

Zurück zu Zverev: Wie sehen Sie seine Entwicklung?
Da ist noch Luft nach oben. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er eins der ganz großen Turniere gewinnen wird. Man darf nicht vergessen, dass er immer noch erst 21 Jahre alt ist. Er hat nun seit ein paar Monaten Ivan Lendl mit im Team - eine starke Entscheidung, gerade wenn man sieht, welchen Einfluss Lendl auf Andy Murray hatte. Und Zverev hat den Antrieb, immer besser werden zu wollen. Dieser Ehrgeiz führt dann dazu, dass er auch mal den Schläger zertrümmert. Ihn nerven solche Spiele wie gegen Raonic ja am meisten.

Sie haben Lendl angesprochen. Haben Sie mit dem damals noch die Klinge gekreuzt?
Wir haben sechs Mal gegeneinander gespielt.

Und? Wie oft haben Sie gewonnen?
Ein Mal. 1992, im Queen's Club, beim Vorbereitungsturnier für Wimbledon, habe ich in drei Sätzen gewonnen - und treffe kurz darauf in Wimbledon in der ersten Runde wieder auf ihn! Und dachte mir: "Eigentlich gewinn' ich ja gegen den!" Aber dann kam genau das zum Tragen, was man so oft sieht: Der Center Court in Wimbledon war für Lendl gewohntes Terrain - für mich war es das erste Mal! Da ging ein Kindheitstraum in Erfüllung. Ich war so beeindruckt von der Atmosphäre, dass ich den ersten Satz ruckzuck 1:6 verloren habe. Die nächsten Sätze waren knapper: 6:7, 6:7.

Wie ist Lendl als Typ?
Eigentlich witzig, aber auf dem Platz hat er halt alles daran gesetzt, der Beste zu werden, der er sein konnte. Heute als Coach verfügt er natürlich über unglaublich viel Erfahrung - gut für Zverev!

Wird Lendl in München mit dabei sein?
Das ist noch unklar. Als Spieler war er zuletzt 1993 da - und gewann das Finale gegen Michael Stich.