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Tina Maze im AZ-Interview: "Shiffrin ist nicht mehr so dominant wie früher"
2. Februar 2023, 18:48 Uhr aktualisiert am 2. Februar 2023, 18:48 Uhr
AZ-Interview mit Tina Maze: Die Ski-Ikone (39) ist zweimalige Olympiasiegerin und viermalige Weltmeisterin, sie arbeitet jetzt als Expertin bei Eurosport.
AZ: Frau Maze, vor sechs Jahren haben Sie, die ehemalige Ski-Queen, Ihre so überaus erfolgreiche Karriere beendet - wie ist das Leben so ganz ohne Skirennen?
TINA MAZE: Nicht langweilig! Es gibt genug Dinge zu tun.
Gehört Skifahren noch dazu, auch mit Ihrer kleinen Tochter?
Ich bin immer auf den Skiern! Ich muss mich bewegen, sonst fühle ich mich nicht gut. Piste, Skitour, Langlauf, einfach alles.
Vermissen Sie die Zeit im Ski-Weltcup?
Eine Rennlaufkarriere ist sehr stressig. Ich habe das so lange gemacht, und ich denke, es war dann auch genug. Was ich aber schon vermisse, ist eine abgesperrte Piste, auf der ich mal wieder richtig schnell fahren könnte, mit ein paar Sprüngen drin. Als ich für Eurosport unlängst beim Weltcuprennen in Cortina d'Ampezzo war, habe ich mir bei der Besichtigung der Strecke schon gedacht: ‚Das würde ich jetzt auch gern mal mit langen Skiern im Renntempo fahren!' Aber sonst vermisse ich nicht viel.
Sie haben bei acht WM-Teilnahmen neun Medaillen gewonnen, vier goldene und fünf silberne. Wie speziell ist eine WM in einem vollgepackten Rennkalender, gerade wenn man wie Sie früher alle fünf Disziplinen fährt?
Meine letzte WM war in Vail, Colorado. Das liegt auf fast 2500 Metern Höhe. Das war wirklich schwierig. Allein zum Gehen braucht man da viel mehr Luft. Und bei diesen Verhältnissen alle Disziplinen zu fahren und zu trainieren: Da war ich schon sehr müde immer. Ein Slalomlauf war so anstrengend wie ein komplettes Athletik-Training. Aber eine WM ist halt das Highlight der Saison, ganz anders als ein Weltcup, deshalb braucht man einen Reset vor der WM, ein paar Tage Pause, um dann auch mental wieder bereit zu sein. Das Skifahren ist natürlich immer gleich, aber eine WM ist wie eine andere Welt.
Wie aus einer anderen Welt kommt einem zuweilen auch Rekordsiegerin Mikaela Shiffrin vor. Können Sie dieses Phänomen erklären?
Die Arbeit, die sie und ihr Team leisten, ist unglaublich. Es ist nicht nur sie, sondern auch die super Organisation hinter ihr, die ihr die volle Konzentration aufs Skifahren ermöglicht. Trotz ihrer aktuellen Siegesserie ist sie nicht mehr so dominant, wie sie es früher schon mal war.
Finden Sie?
Sie hat nicht mehr eine Sekunde oder mehr Vorsprung, sondern oft nur ein paar Hundertstelsekunden. Es ist nicht unmöglich, sie zu schlagen. Das hat jetzt Lena Dürr gezeigt. Dennoch ist sie die beste Athletin - aber auch die Beste macht Fehler, und dann haben die anderen auch Siegmöglichkeiten.
Zu Ihrer aktiven Zeit war Shiffrin vor den Rennen oft so angespannt, dass sie sich übergeben musste. Wie hat Sie sich entwickelt über die Jahre?
Es ist ein sehr intensiver Sport, und dass sie das schon seit so vielen Jahren auf diesem Niveau abrufen kann, ist für mich das Besondere, trotz all der Nöte und Sorgen, die sie nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters hatte. Sie hat viel erlebt in den letzten Jahren. Was mich immer wieder wundert: Dass sie oder auch Lindsey Vonn nie die Motivation verloren haben. Nie! Ist das amerikanischer Charakter? Wenn ich Weltcups gewonnen habe, war meine Motivation danach nie so hoch, gab es immer auch Wellentäler. Das passiert auch gerade Petra Vlhova. Ich frage mich schon, wieso Mikaela über eine so lange Zeit gewinnen kann. Oder wie hat das Marcel Hirscher über all die Jahre geschafft? So etwas finde ich total inspirierend.
Lena Dürr kennen Sie ebenfalls noch aus Ihrer aktiven Zeit. Was ist nach ihrem ersten Slalomsieg nun von ihr zu erwarten?
Vor ihrem ersten Sieg hatte ich schon gesagt: ‚Der Knoten muss bei ihr endlich mal platzen!' Ich weiß nicht, ob sie das gehört hat, aber es freut mich jedenfalls sehr für sie. Das musste einfach mal passieren, jetzt ist es passiert - und sollte auch mal bei einer WM und bei Olympia passieren, oder? Jetzt geht es viel einfacher. Jetzt muss sie nur skifahren. Das war ein großer Sprung, den sie jetzt gemacht hat, und falls ich dabei ein wenig geholfen habe, bin ich froh.