Wirtschaft unter Druck

Tech-Sektor und Industrie: Europa sucht Anschluss


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Bericht: Es braucht frischen Wind für Europas Wirtschaft. (Archivbild)

Von dpa

Konkurrenzkampf mit den USA und China, gigantischer Investitionsbedarf und dazu der Klimawandel: Die europäische Wirtschaft muss nach Ansicht des ehemaligen italienischen Regierungschefs und EZB-Chefs Mario Draghi deutlich innovativer werden, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die EU stehe vor einer "existenziellen Herausforderung", schreibt der 77-Jährige in einem von der Europäischen Kommission vor rund einem Jahr in Auftrag gegebenen Bericht.

Wenn die hiesige Wirtschaft nicht produktiver werde, werde man gezwungen sein, die eigenen Ansprüche etwa in Bezug auf Klimaschutz, die Entwicklung innovativer Technologien oder das eigene Sozialmodell zurückzuschrauben. Europa stecke in einer statischen Industriestruktur fest, so der Wirtschaftswissenschaftler und frühere Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Es tauchten nur wenige neue Unternehmen auf, die die bestehenden Industrien veränderten oder neue Wachstumsmotoren entwickelten.

In der EU befürchten viele, dass hiesige Unternehmen den Anschluss verlieren könnten. So hatte dieses Jahr bereits ein anderer Bericht, den die EU-Staats- und Regierungschefs in Auftrag gegeben hatten, festgehalten: Während die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in den USA zwischen 1993 und 2022 um fast 60 Prozent gestiegen sei, habe der Anstieg in Europa weniger als 30 Prozent betragen.

Draghi führt dies nun vor allem auf den Technologiesektor zurück. "Europa hat die durch das Internet ausgelöste digitale Revolution und die damit verbundenen Produktivitätsgewinne weitgehend verpasst", heißt es in seinem Bericht. Die EU sei schwach bei neuen Technologien, die das künftige Wachstum antreiben.

Nur 4 der 50 größten Technologieunternehmen der Welt seien europäische Unternehmen. Um den Anschluss nicht zu verlieren, seien Investitionen erforderlich, mahnt Draghi. Als Größenordnung nennt er unter Berufung auf Zahlen der EU-Kommission einen zusätzlichen Investitionsbedarf von mindestens 750 Milliarden bis 800 Milliarden Euro jährlich. Dabei könnten unter Umständen klimafreundliche Technologien das Wachstum in der EU ankurbeln.

Als weitere Herausforderung nennt der Italiener die alternde Bevölkerung: "Bis 2040 werden jährlich zwei Millionen Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt verschwinden." Zudem verlangsame sich der Welthandel, und Europa habe mit Russland einen günstigen Energielieferanten verloren.

Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, verweist darauf, dass hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie und eine schleppende digitale Transformation große Hindernisse für mehr Wettbewerbsfähigkeit seien und abgebaut werden müssten. Draghi habe die richtige Botschaft.

Dass die europäische Wirtschaft unter Druck steht, zeigt sich derzeit besonders klar in Deutschlands größtem Industriezweig, der Autobranche. Volkswagen - Europas größter Autobauer - hatte angekündigt, angesichts der sich zuspitzenden Lage den eingeschlagenen Sparkurs bei der Kernmarke VW noch einmal zu verschärfen.

Werksschließungen und Kündigungen stehen im Raum. Aber auch bei anderen Herstellern ist die Lage angespannt. "Die Stimmung in der Autoindustrie ist im Sturzflug", sagte jüngst Anita Wölfl, vom Münchener Ifo-Institut.

"Die Ankündigungen von Werksschließungen besorgen mich sehr", sagte der scheidende Industriekommissar Thierry Breton dem "Handelsblatt". Die Lage der Branche sei "nicht rosig", es bringe nichts, sie zu beschönigen. Breton führt die Krise darauf zurück, dass es europäischen Herstellern nicht gelingt, ihre Kunden von der Elektromobilität zu überzeugen. Es müsse darum gehen, "unser Know-how, unsere Innovationskraft und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren und zu erhalten", forderte der französische Kommissar.

Europas Wettbewerbsfähigkeit ist längst in der Chefetage angekommen: "Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass dieses Thema ganz oben auf unserer Tagesordnung stehen und im Mittelpunkt unseres Handelns stehen muss", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorstellung des Berichts in Brüssel. Eine Frage bleibt aber: Woher soll das ganze Geld kommen?

Historisch gesehen wurden laut Draghi in Europa etwa vier Fünftel der produktiven Investitionen aus der Privatwirtschaft und das verbleibende Fünftel von der öffentlichen Hand getätigt. Draghi spricht sich dafür aus, dass die EU-Staaten Geld in die Hand nehmen sollten, um grenzüberschreitende Projekte zu finanzieren. Von der Leyen sagt, gemeinsame EU-Projekte könnten entweder über die Beiträge der EU-Staaten finanziert werden oder es seien mehr EU-Eigenmittel erforderlich.


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